WM 2011: Deutschland - Nigeria:Pfiffe gegen die Einfallslosen

Die Euphorie ist erst mal verflogen: Deutschland steht nach dem 1:0 gegen Nigeria zwar im WM-Viertelfinale, die Afrikanerinnen zeigten der deutschen Mannschaft jedoch deutlich ihre Schwächen auf. Immerhin: Schönreden will die eigene Leistung später niemand.

Carsten Eberts, Frankfurt

Simone Laudehr wusste selbst nicht genau, wie es sich vor dem 1:0 in der 54. Minute genau zugetragen hatte. Im Grunde war ihr das auch herzlich egal. "Da war ein Tumult", erklärte sie eine gute Stunde nach dem Spiel, frisch geduscht und mit großen, weißen Kopfhörern um den Hals: "Und dann war der Ball einfach vor meinen Füßen."

Germany v Nigeria: Group A - FIFA Women's World Cup 2011

Noch mal gutgegangen: Kim Kulig, Nadine Angerer und Lira Bajramaj freuen sich verhalten über das 1:0 gegen Nigeria.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Da sich die Szene nur wenige Meter vor dem nigerianischen Tor ereignete und Laudehr eine ziemlich passable Fußballerin ist, wusste sie die Situation zu nutzen. Sie schaute kurz, wo Nigerias Torhüterin stand, und wuchtete den Ball mit aller Kraft ins Netz. Was Laudehr zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Es sollte das Tor des Tages sein - und es brauchte schon einen Gewaltakt wie diesen, um Nigeria in Frankfurt 1:0 (0:0) zu bezwingen.

Deutschland hat damit auch sein zweites WM-Gruppenspiel gewonnen, die maximale Ausbeute von sechs Punkten geholt. Ein Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Frankreich - und Tabellenplatz eins in der Vorrundengruppe A wäre sichergestellt. Das ist die positive Sichtweise.

Die negative Sichtweise ist, dass die deutsche Mannschaft keines ihrer Spiele bislang so souverän gestaltet hat, wie man es von ihr gewohnt ist. Nicht gegen Kanada, auch nicht am Donnerstagabend gegen Nigeria. Die erste Halbzeit verschlief das Team von Bundestrainerin Silvia Neid völlig, nach der Pause wurde es kaum besser. Selbst Laudehrs Siegtreffer fügt sich wunderbar ein: viel Gestocher, jedoch keine durchdachte Aktion. Laudehr hatte einfach Glück, dass ihr der Ball vor die Füße plumpste.

Immerhin versuchten die Protagonisten nach dem Spiel nicht, das eigene Spiel schönzureden. "Das war mehr Kampf und Krampf als ein schönes Fußballspiel", konstatierte Bundestrainerin Neid: "Ich bin zufrieden, dass wir die Partie gewonnen haben, aber nicht mit unserem Spiel nach vorne. Insgesamt wirkte die Mannschaft nicht so federleicht, sondern gehemmt."

Federleicht, so agierte Neids Mannschaft noch in den Wochen vor der WM. Die letzten Testspiele gegen Italien, die Niederlande und Norwegen gewann Deutschland spielerisch überzeugend, schoss 13:0 Tore, zerfledderte die Ordnung der Gegners mit schnellen Pässen und variablem Spiel. Die letzten Begegnungen gegen die Vorrundengegner Kanada und Nigeria endeten im Vor-WM-Jahr nicht etwa 2:1 und 1:0 - sondern 5:0 und 8:0.

Diese Leichtigkeit, sie ist nun weg. Kaum ein Ball gelangt unfallfrei über mehrere Stationen aus der Abwehr bis vors gegnerische Tor, das defensive Mittelfeld mit Simone Laudehr und vor allem Kim Kulig findet keine Anspielstationen - oder hat den Ball bis dahin längst schon wieder verloren. Und das gegen Mannschaften, die noch nicht USA, Brasilien oder Japan heißen.

Endspiel gegen Frankreich

Auch das Frankfurter Publikum registrierte das ideenlose deutsche Spiel verwundert. Es schwankte heftig, zwischen bemühter Aufmunterung und Resignation, in der Halbzeit gab es sogar deutliche Pfiffe, erstmals bei dieser WM. Längst geht niemand mehr davon aus, dass Deutschland, der große Favorit, einfach so mit Leichtigkeit ins Halbfinale spaziert.

Es war mitunter verblüffend, mit welch einfachen Mitteln Nigeria das deutsche Spiel zu hemmen wusste. Sicher, die Afrikanerinnen spielten hart, zeitweise überhart, Abwehrfrau Annike Krahn erklärte nach dem Spiel, einige Aktionen hätten sie "an Ringkampf erinnert". Das Publikum pfiff längst nicht mehr gegen das eigene Team, sondern auch gegen Schiedsrichterin Cha Sung Mi, die viele fiese Fouls ungeahndet ließ. Das wollte Torschützin Laudehr jedoch nicht als Entschuldigung gelten lassen. "Wir wussten ja, dass Nigeria sehr aggressiv spielen würde", sagte sie bestimmt: "Aber wir haben uns das Leben selbst schwer gemacht. Wir haben den Ball zu lange gehalten und deshalb was auf die Knochen bekommen."

Am schlimmsten erwischte es Mittelfeldspielerin Melanie Behringer: Sie knickte nach einer harten Abwehraktion um, wurde noch während des Spiels ins Krankenhaus gebracht. Der Verdacht auf einen Bänderriss im rechten Sprunggelenk bestätigte sich jedoch nicht. Die Bänder sind gedehnt; nicht ausgeschlossen, dass Behringer bis zum dritten Vorrundenspiel am Dienstag gegen Frankreich wieder einsatzbereit ist.

Auf dieses Spiel richten sich nun alle Blicke. Denn die Ausgangssituation hat sich durch das knappe Ergebnis gegen Nigeria verschärft: Da die Französinnen ihr zweites Spiel gegen Kanada 4:0 gewonnen haben, braucht Deutschland unbedingt einen Sieg. Sonst ist Vorrundenplatz eins futsch - und es droht bereits im Viertelfinale das Aufeinandertreffen mit den starken Japanerinnen.

Bis dahin will Neid die Partie analysieren, auf spielerische Trainingsformen setzen, Einzelgespräche führen. Vor allem jedoch will sie an die einfachen Dinge des Fußballs appellieren. Neid zeigte zwar Verständnis dafür, dass manche Spielerin dieser Tage etwas nervöser zu Werke geht als sonst. Sie sagt aber auch: "Meiner Meinung nach kann man einen Ball auch vor 50.000 Zuschauern normal annehmen und weiterspielen." Damit wäre dem deutschen Team bereits geholfen.

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