WM 2011: Gruppe D:Es lebe der Libero!

Brasilien spielt tatsächlich mit klassischem Ausputzer und steht nach dem 3:0 gegen Norwegen im Viertelfinale - überragende Akteurin ist die Weltfußballerin. Zwei Treffer von Genoveva Añonma reichen Äquatorialguinea beim 2:3 gegen Australien nicht, um die Niederlage zu verhindern. Abwehrspielerin Bruna sorgt für die kurioseste Szene.

Das Fußballpublikum in Wolfsburg kann grundsätzlich nicht mehr allzu viel schocken: Es hat schon die überraschendsten Meistertitel, die kuriosesten Spielverläufe und die absurdesten Trainerwechsel miterlebt. Einen Libero haben sie hier in Wolfsburg aber auch schon längere Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Der Libero gilt ja gemeinhin als mindestens so ausgestorben wie der Brontosaurus, und der letzte leibhaftige Ausputzer, der dieses Stadion betreten hat, dürfte Klaus Augenthaler (so um das Jahr 2007 nach Christus) gewesen sein - der saß allerdings auf der Trainerbank.

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Schön, das mit dem Toreschießen: Brasiliens Rosana und Marta (re.).

(Foto: AFP)

Die Brasilianerin Daiane dagegen stand am Sonntag beim 3:0 gegen Norwegen tatsächlich auf dem Rasen. Und sie stand, wie sich das für einen anständigen Libero (man spricht entgegen anders lautender Gerüchte auch im Frauenfußball nicht von Liberin) gehört, zumeist fünf bis zehn Meter hinter der eigenen Abwehrreihe.

Man könnte jetzt natürlich ausrufen, es sei besonders absurd, dass ausgerechnet das für bedingungslose Fußballfreude berühmte Brasilien mit einem solch antiquierten System aufwartet. Das muss man aber gar nicht. Es ist auch so schon absurd genug. Brasiliens Nationalcoach Kleiton Lima hat sich dafür sogar nach dem Auftaktsieg von seinem australischen Kollegen verspotten lassen müssen. Lima blieb seiner Taktik, bei der selbst Altmeister Otto Rehhagel feuchte Augen bekäme, trotzdem treu.

Die Norwegerinnen (die mit futuristischer Viererkette agierten) hätten das durchaus als Chance begreifen können. Sie hatten sich ja bereits im ersten Spiel mit Äquatorialguinea abgemüht, das einen brasilianischen Coach hat und, ja, deshalb auch einen Libero. Das Team von Eli Landsem ließ sich indes auch ein zweites Mal bereitwillig von der Vergangenheit einlullen.

Die Norwegerinnen schafften es nur äußerst selten, die extrem defensiven Brasilianerinnen in ihrem eigenen Gemäuer einzuengen. Stattdessen bildeten sie in der 22. Minute eine hübsche Gasse für einen Konter der Weltfußballerin Marta, die dann bloß noch die Linksverteidigerin Nora Berge aus dem Weg räumen musste, um frei vor dem Tor zu stehen. Und schon stand es 1:0 für den Urzeit-Fußball.

Eine Besonderheit der brasilianischen Variante ist, dass sie, bei aller sorgsam gepflegten Rückschrittlichkeit, den Torerfolg nicht grundsätzlich ausschließt. Vor allem dann nicht, wenn ein Gegner wie Norwegen die ersten fünf Minuten nach der Pause kollektiv verschläft. Rosana (46.) und Marta (48.) nahmen die Gelegenheiten dankend an und erhöhten auf 3:0. Es wäre unfair, zu behaupten, Brasilien hätte sein System danach starr herunter gespielt. Da Team bestach vielmehr mit der bislang unbekannten Libero-Rotation: Wenn Daiane einen Ausflug auf Vorstopperhöhe wagte, ließen sich eben Aline oder Erika zurückfallen.

Nun könnten natürlich wieder die Spötter auf den Plan treten, aber die Brasilianerinnen sollten sich das nicht zu Herzen nehmen. Sie stehen nach zwei Spielen im Viertelfinale. Und sie dürfen mit gewissem Recht behaupten: Der Libero lebt! Die Urzeit hat vielleicht erst begonnen.

(Boris Herrmann)

Afrika vor dem Aus

Es war ein Kuriosum, wie es selten zu sehen ist - und der bisher größte Schiedsrichter-Fehler bei der Frauen-Fußball-WM: In der 16. Spielminute der Partie Australien gegen Äquatorialguinea und beim Stand von 1:0 für Australien traf Leena Khamis den Pfosten des Tores von Äquatorialguinea. Von dort sprang der Ball in den Fünfmeterraum, wo ihn Bruna fest in beide Hände schloss, als spiele sie nicht Fuß-, sondern Brennball. Einen Augenblick lang hielt sie die Kugel versonnen fest, anschließend ließ Bruna sie unschuldig wieder fallen.

Frauen-WM 2011 - Australien - Äquatorialguinea 3:2

Skurriler Moment: Äquatorialguineas Verteidigerin Bruna fängt den Ball, der vom Pfosten zurückspringt - Elfmeter gab es nicht.

(Foto: dpa)

Ein ungläubiges Raunen lief durch das mit fast 16.000 Zuschauern gefüllte Bochumer Stadion, aber die Pfeife der ungarischen Schiedsrichterin Gyoengyi Gaal blieb stumm. Statt Elfmeter zu geben, ließ sie die Partie weiterlaufen, als sei nichts geschehen.

Auch die übrigen Aufseher des Fußball-Weltverbandes Fifa, unter ihnen als vierte Offizielle die Deutsche Bibiana Steinhaus, fanden nichts dabei. "Das war ja völlig kurios, wunderte sich die deutsche Fifa-Schiedsrichterin Riem Hussein, die für das ZDF als WM-Expertin arbeitet: "Das Spiel war nicht unterbrochen, die Schiedsrichterin hatte nicht gepfiffen, es war ein klarer Elfmeter." Der Weltverband sah sich nach der Partie sogar gezwungen, vor der Pressekonferenz ein Statement verlesen zu lassen. "Wir wissen alle, dass es eine Episode gab. Wir haben mit der Schiedsrichterin gesprochen. Sie sagt, dass es ihr sehr leid tut, dass sie das klare Handspiel nicht gesehen hat", teilte Karen Espelund, die für das Spiel zuständige Fifa-Offizielle, zerknirscht mit.

Am Ausgang der Partie änderte die Fehlentscheidung letztlich wenig: Dank der Treffer von Leena Khamis (8. Minute), Emily Van Egmond (48.) und Lisa De Vanna (51.) kamen die überlegenen Australierinnen bei zwei Gegentreffern von Genoveva Añonma (21./83.) zu einem verdienten 3:2-Erfolg (Halbzeit 1:1). Damit droht nach dem vorzeitigen Aus Nigerias in der deutschen Gruppe auch dem zweiten afrikanischen Team das Scheitern in der Vorrunde.

Australiens Trainer Tom Sermanni ging in seiner ersten Reaktion über den Elfmeter-Aufreger hinweg: "Es lag nicht an der Schiedsrichterin. Wir hätten das Spiel früher entscheiden müssen", sagte er. Torschützin Khamis war überglücklich. "Jetzt haben wir noch alle Chancen aufs Viertelfinale", jubelte sie. Im letzten Gruppenspiel trifft Australien am Mittwoch in Leverkusen auf Norwegen, die Afrikanerinnen müssen gegen Brasilien ran - und unbedingt gewinnen, um überhaupt noch eine Chacne zu haben. Vielleicht wäre auch ein kleiner Grundkurs in Sachen Regelwerk eine sinnvolle Empfehlung.

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