Süddeutsche Zeitung

WM 2010: USA:Kaiser, König, Tütenträger

Der einst in München verschmähte Landon Donovan ist bei dieser WM die prägende Figur der US-Amerikaner. Nun soll er seine Elf ins Achtelfinale führen. Behält am Ende Jürgen Klinsmann mit seiner Einschätzung doch recht?

Christian Zaschke

Persönlich hatten sie nichts gegen ihn. Warum auch, er war ja ein netter Kerl; vielleicht auf den ersten Blick nicht das, was man mit dem schönen Begriff Stimmungskanone beschreibt, aber doch umgänglich, höflich und freundlich. Mit Hamit Altintop und José Ernesto Sosa hatte er sich sogar angefreundet. Doch Landon Donovan hatte das Pech, zur ungünstigsten Zeit beim FC Bayern gelandet zu sein, er kam so gelegen wie ein Mann, der sich zur Fütterungszeit in den Löwenkäfig verirrt. Damals, Anfang 2009, war Jürgen Klinsmann Trainer des FC Bayern, und die Spieler hatten längst beschlossen, dass Klinsmann es nicht kann. Also hatte Donovan keine Chance.

Das lag daran, dass er in der Mannschaft als Klinsmanns Liebling galt. Die anderen nahmen ihn nicht in die Gruppe auf, damit wollten sie Klinsmann treffen. Sie ließen durchsickern, dass Donovan zu schlecht sei für das Team, und als es hieß, um Donovan dauerhaft zu verpflichten (er war ausgeliehen), seien acht Millionen Euro an die amerikanische Major League Soccer zu überweisen, herrschte allenthalben Empörung im Team. Acht Millionen? Für diesen Spieler? Bei allem Respekt. Im März 2009 kehrte Donovan in die USA zurück, wo er tat, was er auch vorher getan hatte: Er spielte richtig guten Fußball.

Heimlicher Komiker

In der Biographie auf Donovans Webseite fehlt diese Episode, obwohl er immer behauptet hat, die Zeit in München genossen zu haben. Zum Abschluss hat er sich dort übrigens doch einmal als Stimmungskanone versucht. Nach seinem letzten Spiel in Deutschland trug er eine verschlossene Tüte mit Abschiedsgeschenken des FC Bayern mit sich herum. Als er gefragt wurde, was drin sei in der Tüte, sagte er: "Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ein Dreijahresvertrag?" Nicht übel der Witz, wenn man bedenkt, dass er sogar eine Woche früher als ursprünglich geplant die Koffer packen musste.

Geschadet hat ihm die unglückliche Episode nicht, auch in diesem Jahr hat Donovan in Europa gespielt, diesmal lieh ihn sein Stammverein Los Angeles Galaxy während der in Amerika spielfreien Zeit an den FC Everton aus. Dort lief es besser als in München. Und bei dieser WM ist Donovan die prägende Figur des amerikanischen Spiels. Dass er sich als unumstrittener Chef auf dem Platz fühlt, lässt er seine Mitspieler deutlich spüren.

In der Partie gegen Slowenien ermahnte er nach elf Minuten Francisco Torres, er fuchtelte ihm vor dem Gesicht herum und schubste ihn schließlich sogar. Was da los war? "Ich schätze, ich wollte den Ball haben", sagte Donovan nach der Partie schiffszwiebacktrocken, als er zu der ungewöhnlichen Szene befragt wurde. Es gibt viele Möglichkeiten, den Ball von einem Mitspieler zu fordern, fuchteln und schubsen sind dabei eher unüblich, es sei denn, es geht darum, mehr zu äußern als eine schlichte Forderung. Die Maßregelung von Torres war an alle Spieler auf den Feld adressiert, und sie bedeutete: Ich, Landon, Kaiser und König, bestimme, was hier gespielt wird. Eine gute halbe Stunde später verfügte er, dass Torres einen Freistoß schießen dürfe, was dieser folgsam tat. Am Ende wurde Donovan zum Mann des Spiels gewählt.

Zwei Unentschieden gegen England und gegen Slowenien hat die Auswahl der USA bisher erreicht, beide Male holte sie einen Rückstand auf. Mit einem Sieg gegen Algerien an diesem Mittwoch könnte sie ins Achtelfinale einziehen (und unter Umständen Gegner der deutschen Elf werden, falls diese sich qualifiziert). Die Ausgangsposition ist blendend, und sie wäre noch besser, wenn dem Team gegen Slowenien nicht der reguläre Siegtreffer aberkannt worden wäre.

Allerdings haben Statistiker in den Zahlen gewühlt und Erschreckendes ans Tageslicht gezerrt: Seit 1950 traten die Amerikaner sechs Mal zu einem dritten Vorrundenspiel an, und sie haben jedes Mal verloren. Donovan kennt diese Statistik, er sagt: "Ich glaube, dass diese Mannschaft jetzt die Klasse und die Erfahrung hat, das zu ändern." Er spricht wie immer, ruhig, fast ausdruckslos, es ist nie ganz klar, ob Donovan eher ein heimlicher Komiker ist, der seine Pointen liefert, ohne eine Miene zu verziehen, oder doch eher eine dröge Nuss. Oder eine eigenwillige Mischung aus beidem.

Seit einem knappen Jahrzehnt ist Donovan das Gesicht des amerikanischen Fußballs. Er ist jetzt 28 Jahre alt, die Geheimratsecken haben zwei Lichtungen ins schüttere Haar geschlagen, sein Gesicht ist kantig geworden. 2002 marschierte er mit dem Team USA ins Viertelfinale der WM, wo die Mannschaft an Deutschland scheiterte, auch, weil der Schiedsrichter ein Handspiel von Torsten Frings auf der Torlinie übersehen hatte. Donovan wurde zum besten jungen Spieler des Turniers gewählt. Acht Jahre später trägt er die Nummer 10 auf dem Rücken und die Verantwortung.

Führt er seine Mannschaft zum Sieg gegen Algerien und ins Achtelfinale werden sich die europäischen Klubs wohl erneut für den besten amerikanischen Fußballer interessieren, und womöglich kann er noch einmal mit unbewegter Miene erzählen, dass er da in seiner Tüte einen Dreijahresvertrag dabei habe. Es wäre dann auf jeden Fall schwer zu sagen, ob Landon Donovan gerade einen gar nicht üblen Witz gerissen hätte.

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SZ vom 23.06.2010/dop
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