Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Spanien:"Unsere Seele ist der Ball"

Gegen Honduras vertraut Trainer Vicente Del Bosque auf den Stil, der zur Niederlage gegen die Schweiz führte. Für Aufregung sorgt eine Fernsehreporterin, die angeblich Torwart Iker Casillas verwirrt.

Javier Càceres

Für einen Mann, den das Leben gelehrt hat, sein Innerstes zu schützen, gab Vicente del Bosque in den Tagen nach der Niederlage gegen die Schweiz eine Menge preis. Gezwungenermaßen. Nichts konnte verbergen, dass Spaniens Nationaltrainer die Pleite unerwartet getroffen hatte. "Um ehrlich zu sein: Ich habe schlecht geschlafen", erklärte er am Tag nach der Rückkehr aus Durban, wo sich das Auftakt-Desaster abgespielt hatte.

Doch am Wochenende war Del Bosque schon wieder imstande, der Zukunft die Stirn zu bieten, die Mannschaft zu einem Akt der Konfirmation einzuladen. Es gebe keinen Anlass, Fundamentales zu ändern, keinen Grund, Überzeugungen über den Haufen zu werfen, nachdem er sich die Aufzeichnung des Spiels gegen die Schweiz gleich drei Mal angeschaut hatte. Spielt weiter so, beschwor er die Mannschaft, denn nur die Treue biete die Garantie, auch die Besten zu besiegen: "Auf diese Weise habt ihr Argentinien besiegt."

Die Spieler haben die Botschaft aufgesogen. Manche Äußerungen hören sich an, als rezitierten sie in den Mannschaftssitzungen den südafrikanischen Freiheitskämpfer Steven Biko, der einst davon sprach, dass es besser sei, für eine Idee zu sterben, die überleben wird, als für eine Idee zu leben, die dem Untergang geweiht ist. Das jedenfalls ist die Diktion der Glaubenssätze, die aus dem spanischen Lager dringen. "Wenn wir schon sterben, dann wenigstens mit unseren Ideen", sagte Stürmer Fernando Torres vom FC Liverpool, "unsere Seele ist der Ball", fügte er hinzu. Und: "Wir müssen auf das vertrauen, was uns zum Favoriten gemacht hat."

Kritik des Meistertrainers

Ausgerechnet Del Bosques Vorgänger Luis Aragonés, der mit Spanien in Wien die EM 2008 gewann, trat nun eine Systemdebatte los, die langsam vor sich hin köchelt. Als Kommentator eines spanischen TV-Senders erklärte Aragonés, dass er mit nur einem "Sechser" gespielt hätte - und nicht mit Xavi Alonso und Sergi Busquets vor der Abwehr, wie es Del Bosque verfügte.

Die spanischen WM-Delegierten haben versucht, die Kritik des Meistertrainers am Erben weitgehend zu ignorieren. "Von mir wird es dazu kein Wort geben", sagte Del Bosque. Doch es wäre alles andere als überraschend, wenn er an diesem Montag gegen Honduras (20.30 Uhr) mit nur einem defensiven Mittelfeldmann beginnen würde. Denn gegen die Mittelamerikaner sollen nach Möglichkeit Tore her. Der letzte Gruppengegner Chile hatte ja nur 1:0 gegen Honduras gewonnen.

Zu dieser Hypothese passen auch die jüngsten Erkundungen vom Training. Zwar verwandelte Del Bosque den Übungsplatz in einen Hochsicherheitstrakt. Fotografen, die im Paparazzi-Stil tätig waren, wurden laut der Zeitung As von Sicherheitskräften abgedrängt und mit dem Entzug der Akkreditierung bedroht.

Es sickerte dennoch durch, dass Del Bosque zwar nicht mit einem A- und B-Team experimentierte, wohl aber mit einem Dreier-Sturm: Jesús Navas als Rechts-, David Villa als Linksaußen, Fernando Torres im Zentrum. Offen ist, ob Del Bosque einen "Sechser" opfert - oder aber David Silva und Andrés Iniesta. Auch um einen Einsatz von Cesc Fàbregas ranken sich Spekulationen. Denn er ist von allen Mittelfeldwuslern der mit Abstand torgefährlichste.

Angesichts der spanischen Offensivkraft hat Honduras' kolumbianischer Trainer Reinaldo Rueda noch kräftiger auf die Tränendrüse gedrückt als sonst. "Im Prinzip ist alles verloren", sagte er -, da sie sich "einer so überlegenen Elf" gegenüber sehe, bedürfe seine Mannschaft nun "einer eher mentalen denn taktischen Vorbereitung". Für die Erbauung sorgte in Johannesburg der honduranische Musiker Polhache, am Rande des Trainingsplatzes brachte er zusammen mit Landsleuten ein patriotisches Lied dar: "No hay otro pubelo màs macho que el pueblo catracho", lautet der Schlüsselvers. Sinngemäß: Es gibt kein männlicheres Volk als das honduranische.

Die spanische Wencke Myhre

Für Aufsehen sorgt im spanischen Lager derweil immer noch die Wencke Myhre der selección, die "Er-steht-im-Tor-und-ich-dahinter"-Reporterin Sara Carbonero vom Privatsender Telecinco. Sie ist mit Torwart Iker Casillas liiert - und in Südafrika aus professionellen Gründen dabei. In ihrer Heimat sorgte für enorme Aufregung, dass die gerne als altehrwürdig bezeichnete Times in London behauptete, die Spielfeldreporterin Carbonero würde Spaniens Nummer eins verwirren, die klassischen Boulevardmedien sprangen ebenfalls auf das Thema an.

Casillas selbst soll einigermaßen genervt sein, dass ihm die Celebrity-Blätter nachstellen - und auch keinen Trost darin finden, dass sich die Spanier freuen, weil die Briten durch Carbonero so abgelenkt seien, dass einer ihrer Lieblingsscherze offenbar in vorübergehende Vergessenheit geraten ist. Es ist der alte Witz über vermeintliche Oberlippenbärtchen spanischer Frauen.

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SZ vom 21.06.2010
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