WM 2010: Spanien - Portugal:Iberische Affäre

Fußball verbindet Völker - oder etwa nicht? Beim Achtelfinale bleiben Spanier und Portugiesen in verschiedenen Münchner Kneipen unter sich. Ein Abend zwischen zwei Fanlagern.

David Bernreuther

An der Pariser Straße in München parkt ein kastenförmiger Mercedes mit spanischem Kennzeichen, geschmückt mit einer Deutschland-Fahne. Auf dem Dach ist ein großer Flachbildschirm montiert, damit die Menschen an den Tischen am Gehsteig das Spiel sehen können: Spanien gegen Portugal, das Duell der iberischen Nachbarn im WM-Achtelfinale. Um kurz nach acht sind alle Plätze besetzt, rund 50 Leute sitzen vor der spanischen Kneipe "El Español".

WM 2010 - Spanien - Portugal

Friedlich vereint: Zwei spanischen und portugiesischen Fans stehen die Landesfarben ins Gesicht geschrieben.

(Foto: dpa)

Innen sind es mindestens noch einmal so viele, darunter etliche Spanier. Es ist gefühlte zehn Grad wärmer als draußen und recht schummrig, Kerzen flackern auf den Holztischen. Die Bedienungen wuseln flink durch den engen Gang, sie servieren Tapas, Paella, Tortillas und Cocktails. Die Barkeeper tragen das Trikot der spanischen Nationalmannschaft, einer von ihnen hat Locken, die sich noch viel feiner kringeln als die von Carles Puyol, dem spanischen Verteidiger. Wenn er einen Moment lang nichts zu tun hat, bläst der Barmann in eine Vuvuzela.

An der Wand hinter der Theke hängt neben der spanischen Flagge ein schwarzrotgoldener Cowboyhut - wie ihn Bastian Schweinsteiger beim Jubeln nach dem 3:2 gegen Portugal bei der EM 2008 getragen hat. Ein Glücksbringer für die Spanier? Sie haben eine Rechnung mit Portugal offen, vor sechs Jahren schieden sie nach einer Niederlage gegen den EM-Gastgeber in der Vorrunde aus.

Servieren, dirigieren, diskutieren

Der Kommentator des spanischen Fernsehens wirkt schon vor dem Anpfiff hektisch. Als die Nationalhymne gespielt wird, ist es ruhig in der Kneipe, keiner singt mit. Kein Wunder, denn der Marcha Real, der königliche Marsch, hat keinen Text. Um 20:30 Uhr setzt der Chef des "El Español" seine Brille auf und bläst drei Mal in seine Trillerpfeife - es geht los. Nach sechs Minuten gibt es den ersten Aufschrei, Fernando Torres ist im Strafraum zu Fall gekommen. Als die Zeitlupe über die beiden Leinwände flimmert, kehrt wieder Ruhe ein - ein Elfmeter war das nicht. Kurz darauf ein kollektives Raunen, als Villa von der linken Seite aufs Tor schlenzt. Später ein beinahe hysterisches Aufheulen, als Torwart Iker Casillas bei einem Schuss der Portugiesen Probleme hat.

Der Chef hastet durch das Lokal, serviert, dirigiert, diskutiert. "Ich habe viel Stress", sagt er im Vorbeigehen, "ich kann nur wenig aufs Spiel schauen - das ist ein bisschen schlecht. Aber Hauptsache, die Stimmung ist gut." Zufrieden sind die spanischen Gäste nach 45 Minuten allerdings nicht. "Das war nicht so ideal", sagt Enrique, "sie hätten ein Tor schießen sollen". Seinen Tipp reduziert er deshalb von 2:0 auf 1:0. Carmen glaubt an eine Entscheidung im Elfmeterschießen: "Spanien gewinnt 5:4, Ronaldo knallt den Ball drüber."

Ortswechsel zur Halbzeit. 400 Meter weiter belagert eine Menschentraube vor einer Großleinwand die Breisacher Straße. Die Leute lehnen an parkenden Autos und stellen ihre Biergläser auf die Dächer - losfahren könnte hier ohnehin niemand. Als der Spanier Puyol den Ball fast ins eigene Tor lenkt, raunt die Menge. Es ist kein erleichtertes Raunen, sondern ein enttäuschtes, denn hier haben sich mehrheitlich die Portugal-Anhänger versammelt.

Seufzer aus hundert Mündern

Man muss sich durch die Menge wühlen, um in die "Lisboa Bar" zu kommen, die WM-Kneipe der Portugiesen. In einem schmalen, langen Raum sitzen mehr als hundert Menschen dichtgedrängt und starren auf eine Leinwand am hinteren Ende. An der Wand hängen Schwarzweißfotos von Fußball-Legenden: Pelé, Beckham, Platini, natürlich auch Cristiano Ronaldo, der Portugals Held werden soll.

Spain fans react as they watch the World Cup soccer match against Portugal during an outdoor television screening in Madrid

Auch in der spanischen Hauptstadt Madrid fieberten Tausende Fans mit der "Selección" mit.

(Foto: rtr)

Doch die Spanier werden jetzt stärker, die Leute in der Lisboa scheinen das zu spüren, sie werden leise. In der 63. Spielminute steht Villa plötzlich frei vor dem portugiesischen Tor und erzielt das 1:0 für Spanien. Seufzer aus hundert Mündern vermischen sich, dann sind alle so still, dass man von der Theke her Gläser und Flaschen aneinanderklappern hört. "Es wird ganz schwierig jetzt", murmelt einer kurz darauf. Er wirkt hibbelig, wippt von einem Bein aufs andere und saugt an seiner Zigarette.

Der Chef des "El Español" hat sich inzwischen auf den Gehsteig vor seinem Lokal gestohlen. Die Hände auf die Knie gestützt starrt er auf den Flachbildschirm, der auf den Mercedes montiert ist. Er kann jetzt nicht mehr arbeiten, Stress hin oder her - er muss das Spiel sehen. Noch sieben Minuten.

Drinnen ist es noch enger als während der ersten Halbzeit. Der Barkeeper mit den Puyol-Locken schaut beim Zapfen mehr auf die Leinwand als auf das Glas, das er füllt. Torschütze Villa wird bei seiner Auswechslung mit Sprechchören und rhythmischem Klatschen verabschiedet. Noch zwei Minuten.

Mischung aus Bayern und Ballermann

Der Theken-Puyol will bereits ein Tablett voller Schnapsgläser füllen, aber der Chef schreitet ein. "Un Momento, tranquilo, dos minutos!", mahnt er. Der Portugiese Ricardo Costa sieht noch die rote Karte, dann pfeift der Schiedsrichter ab. Ein Aufschrei im "El Español". Der Chef hüpft mit drei Kollegen Arm in Arm hinter der Bar. Er weiß nicht so recht, ob er jetzt lieber in seine Pfeife blasen oder "Olé, olé" rufen will und entschiedet sich für beides, immer abwechselnd.

Der Barkeeper mit den Wuschelhaaren darf jetzt die Freischnäpse ausschenken, natürlich in den Landesfarben Rot und Gelb. Dazu gibt es Mojito aus Riesenweißbiergläsern, wie man sie von den Meisterfeiern des FC Bayern kennt. Getrunken wird mit langen, bunten Strohhalmen, wie man sie vom Ballermann kennt.

Die Bedienungen eilen jetzt nicht mehr durch die Kneipe, sie tänzeln mit elegantem Hüftschwung. Eine Gruppe junger Müncher mit Sombreros steht auf den Stühlen. Der Chef tanzt mit einer Frau zu "Eviva España". Und Carmen ruft aufgeregt: "Siehst du, Spanien hat gewonnen, sogar ohne Elfmeterschießen. Wir werden hier jetzt ziemlich lange feiern!"

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