WM 2010: Spanien:Müde, fast depressiv

Die Spanier sind in Südafrika längst nicht die Spanier, die drei Jahre lang den Fußball beherrschten. Trotz des 2:0 gegen Honduras sieht es nicht gut aus für den Europameister.

Thomas Hummel, Johannesburg

Es muss die schnellste Flucht gewesen sein, die eine Siegermannschaft je vollzogen hat. Joan Capdevila verschwand etwa 20 Sekunden nach dem Schlusspfiff im Kabinengang unter der Haupttribüne des Ellis Parks gefolgt nur Momente später von Carles Puyol. Ihre Teamkollegen gingen ebenfalls schnellen Schrittes vom Feld, binnen drei Minuten hatte sich das Spielfeld komplett geleert. Kein Dank an die vielen spanischen Fans im Stadion, kaum ein Trikottausch mit den Gegnern aus Honduras, keine Interviews im Innenraum. Die Spanier wollten nur noch weg.

WM 2010 - Spanien - Honduras

Sieht so ein glücklicher Doppeltorschütze aus? Spaniens David Villa (links) mit Fernando Torres.

(Foto: dpa)

Dabei blies lange kein so kalter Wind mehr durch die steil aufragenden Beton-Tribünen des im nordenglischen Stil gebauten Stadions wie noch Tage zuvor bei Brasilianern und Nordkoreaner. Zum ersten Mal seit Tagen hielten sich die Temperaturen bei einem Abendspiel in Johannesburg oder Umgebung in einem Bereich, der Finger und Zehen von Taubheitsgefühlen verschonte. Der schnelle Abschied der Spanier konnte nur auf zwei Arten gedeutet werden: Entweder sie schämten sich ihrer Leistung trotz des 2:0 gegen Honduras. Oder sie wollten den Erfolg so schnell wie möglich abhaken, am besten noch auf dem Spielfeld.

Die Spanier sind nicht die Spanier

Die Beteiligten tendierten deutlich zur zweiten Antwort. Der Europameister gab freudige Kommentare im Ellis Park: Trainer Vicente del Bosque beklagte, seine Elf habe zu wenig Früchte geerntet ob der Überlegenheit und der vielen Torchancen. Der zweifache Torschütze David Villa glaubt, dass sich die Mannschaft im Vergleich zum 0:1 gegen die Schweiz im ersten Spiel der Gruppe H verbessert habe, sie sei viel harmonischer aufgetreten. Rechtsverteidiger Sergio Ramos ging weiter: "Wir haben eine große Partie gespielt." Und auch zu Hause sind die Leute zufrieden, die Sportzeitung Marca titelte: "Die Roten wieder zum Verlieben."

Man muss sich sorgen um diese Spanier. Denn ja, der Europameister spielte über weite Strecken gegen die Mittelamerikaner tribünenhoch überlegen und hätte viel mehr Tore schießen können. Villa zum Beispiel schoss noch einen Elfmeter neben den Pfosten. Doch trotz aller Dominanz und trotz aller Chancen wollte sich der Eindruck nicht verflüchtigen, dass diese Spanier keinesfalls die Spanier sind, die drei Jahre lang den Weltfußball beherrschten.

Spaniens Stil ist schwierig für die Psyche

Beispiel David Villa. Der zum FC Barcelona wechselnde Stürmer brach mit einer herrlichen Einzelaktion nach 107 WM-Minuten ohne Tor den Bann und erhöhte nach der Pause mit einem abgefälschten Fernschuss zum 2:0 (51.). Nach der Partie bekam er den Pokal für den "Mann des Spiels" überreicht und sah dabei so betrübt in die Runde, wie ein Kind bei einem Jugendturnier, das den Preis für den Letzten abholen muss.

Einen ähnlich betrübten Eindruck hatten die Spanier vorher auch auf dem Platz hinterlassen. Hin und wieder blitzten die brutalen Flachpass-Kombinationen auf, die nicht nur eine Abwehr aus Honduras in Gleichgewichtsprobleme versetzen. Doch diese Szenen blieben die Ausnahme. Zumeist wirkten die Spanier müde, als sind sie ihrer ewigen Spielkontrolle, ihres ewig perfekten Spiels überdrüssig. Immer den Ball haben, immer auf Betonmischer-Abwehrreihen zulaufen, immer kreative Lösungen finden, das kann irgendwann für die Psyche schwierig werden. Oftmals reagierten die Spanier mit Abwinken, mit Kopfschütteln, mit Ärger auf kleinste Fehler. Die Stimmung war leicht depressiv.

Torres stand neben sich

Gerard Piqué leitete Angriffe häufig mit einem formidablen Fehlpass ein, Xabi Alonso versuchte sich in einem aussichtslosen Kunstschuss aus 70 Metern, Jesús Navas verzettelte sich zumeist in Sprintaktionen am rechten Flügel, David Villa versetzte Gegenspieler Emilio Izaguirre per Rückhandschlag eine Ohrfeige, ohne dass es der Schiedsrichter ahndete. Und vorne vollzog sich ein kleines Drama: Fernando Torres zeigte bis zu seiner Auswechslung alle Varianten, wie ein Stürmer schönste Torchancen kläglich vergeben kann. Der bis zuletzt verletzte Angreifer vom FC Liverpool stand völlig neben sich.

Und so darf trotz gegenteiliger Äußerung vermutet werden, dass die Spanier am Ende doch nicht zufrieden waren mit ihrer Vorstellung. Sie galten vor dem Turnier als Favorit Nummer eins auf den Titel, jetzt müssen sie gegen starke Chilenen am kommenden Freitag gewinnen, um das Achtelfinale zu erreichen. Dort würde mit Brasilien oder Portugal bereits der erste Hochkaräter warten. Und dabei scheidet Spanien doch traditionell erst im Viertelfinale einer WM aus.

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