WM 2010: Presseschau:Farbloser Picasso

Die Presse entrüstet sich heute über Cristiano Ronaldos Eitelkeit und über die nigerianische Politik. Joachim Löws Methode wird gelobt und ein weiter Blick nach vorn riskiert - ins Jahr 2022.

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WM 2010: Presseschau: Das Presseecho für Cristiano Ronaldo fällt vernichtend aus: "Joseph Blatter, der Präsident des Weltverbandes Fifa, hatte ihn einst als Picasso des Fußballs bezeichnet. In Südafrika lieferte dieser Picasso nicht mehr als ein weißes Blatt mit wenigen Tupfern, undefinierbar, ohne Farben."

Das Presseecho für Cristiano Ronaldo fällt vernichtend aus: "Joseph Blatter, der Präsident des Weltverbandes Fifa, hatte ihn einst als Picasso des Fußballs bezeichnet. In Südafrika lieferte dieser Picasso nicht mehr als ein weißes Blatt mit wenigen Tupfern, undefinierbar, ohne Farben."

(Foto: ap)

Für Hanns-Bruno Kammertöns (Zeit Online) hat sich der Bundestrainer durch den bisherigen Verlauf der WM eine gute Ausgangsposition für die Zeit nach dem Turnier geschaffen: "Während andere in den WM-Arenen gern ihren Marktwert optimieren, orientiert sich Löw an Begriffen wie Demut, Loyalität und Zuverlässigkeit. Angriffe gegen enge Mitstreiter pariert er ohne Kompromisse, auf seine schützende Hand ist Verlass. Nie war der Trainer machtvoller als nach dem Sieg gegen England, auch eine Niederlage gegen Argentinien an diesem Samstag könnte daran nichts ändern: Eine weitere Zusammenarbeit mit dem DFB gibt es nur zu seinen Bedingungen."

Daniel Müksch (Focus Online) sieht beim Viertelfinale zwischen Deutschland und Argentinien auf den Trainerbänken verschiedene Ideologien aufeinandertreffen: "Ihre Trainerphilosophien hängen eng mit ihren Lebensläufen zusammen. Hier der wohlerzogene Bildungsbürger, der akribische Arbeiter, der mäßig begabte Teamplayer. In kleinen Schritten dient sich der Badener durch die Welt des Fußballs. Dort das Villa-Miseria-Kind, der Goldjunge ('pibe de oro'), die Ikone von 40 Millionen Argentiniern. Aus dem Nichts gelingt dem kleinen Diego der fulminante soziale Aufstieg, gefolgt von einem beispiellosen Absturz. In Südafrika haben beide als Trainer bisher die deutlichsten Spuren hinterlassen. Diego Maradona als die personifizierte Spaßgarantie mit Fremdschämpotenzial. Joachim Löw als Prozesstrainer."

Cristiano Ronaldo - Abgesang eines Schnösels

Cristiano Ronaldos Stil passt laut Ronny Blaschke (Berliner Zeitung) nicht in einen Kollektivgedanken: "Der WM ist die wichtigste menschliche Marketingfläche abhanden gekommen. Ronaldo, 25, der von Plakatwänden grinst und durch Werbespots rast, scheiterte mit Portugal an Spanien schon im Achtelfinale. Joseph Blatter, der Präsident des Weltverbandes Fifa, hatte ihn einst als Picasso des Fußballs bezeichnet. In Südafrika lieferte dieser Picasso nicht mehr als ein weißes Blatt mit wenigen Tupfern, undefinierbar, ohne Farben. Ein Tor ist ihm gelungen, beim 7:0 in der Vorrunde gegen Nordkorea, nachdem der Ball auf seinem Nacken tänzelte. Ansonsten Übersteiger, Finten, Hackentricks, viel Zauber ohne Belohnung. In jedem Fall hat Ronaldo auch während der WM zu seiner Überhöhung beigetragen. Sogar im Training jonglierte er den Ball minutenlang, während seine Teamkollegen noch in der Kabine waren. Die Fotografen hatten jene Bilder, die das einseitige Bild Ronaldos fortzeichnen konnten. Der teuerste Kicker der Welt, ein Soloartist, verliebt in sich selbst."

Für Florian Haupt (Financial Times Deutschland) ist es gar der Abgang eines Schnösels gewesen: "Stumm stapfte Portugals Kapitän durch das Untergeschoss des Green-Point-Stadions, ein Abgang, der in etwa so viel Klasse hatte wie seine Darbietungen auf dem Feld. Was sein Turnier werden sollte, was mit einem imposanten Pfostenschuss nach elf Minuten des ersten Spiels gegen die Elfenbeinküste auch verheißungsvoll begann, wurde zu seinem Debakel." Da hilft nur der Blick nach vorne: "Ronaldo ist erst 25, da bleiben noch ein paar Turniere, um das Bild wieder geradezurücken."

Für seine Spuckattacke nach dem Scheitern gegen Spanien hat auch Daniel Barthold (stern.de) kein Verständnis: "Es war ein unschöner WM-Abgang von Cristiano Ronaldo. Als das Spiel gegen Spanien im Green-Point-Stadion in Kapstadt zu Ende war, schwenkte eine Kamera auf den Star von Real Madrid. Der auf Madeira geborene Portugiese schaute daraufhin arrogant in das Objektiv und spuckte dem Kameramann vor die Füße. Nicht nur die Fußballwelt schüttelt den Kopf. Lediglich ein Pfostentreffer gegen die Ivorer und ein Tor beim 7:0 gegen erschreckend schwache Nordkoreaner hat Ronaldo bei dieser WM auf dem Konto. Viel zu wenig. Und nun als Abschluss die Spuckattacke von Kapstadt. Ein trauriger Abschied. Gut möglich, dass sich die internationale Presse auf den Portugiesen einschießt. Die heimische tat es bereits. Das `Jornal de Notícias` meint stellvertretend für viele: 'Portugal fehlte der echte Cristiano Ronaldo. Unser CR7 schlich nur wie ein Geist über den Platz.'"

Der beste Fußballer der Welt - angeblich

Birger Hamann (Spiegel Online) ist ebenfalls der Auffassung, Portugals Kapitän sei bei dieser WM kläglich gescheitert: "Mit gesenktem Kopf schlich Cristiano Ronaldo vom Platz. Schlecht gespielt, keinen einzigen Torschuss aus dem Spiel heraus abgegeben, ohne Inspiration agiert. Wohlgemerkt: Das Fazit nach dem Achtelfinale gegen Spanien galt nicht für das portugiesische Team, sondern allein für Portugals Superstar, dem Exzentriker von Real Madrid, der bei dieser Weltmeisterschaft in Südafrika komplett den Nachweis schuldig blieb, angeblich gemeinsam mit Argentiniens Lionel Messi der beste Fußballer der Welt zu sein."

Japans Zusammenhalt

Das Beeindruckende beim Auftreten der Japaner bei dieser WM war für Tetsuo Gunchi von der japanischen Zeitung Asahi, dass "sie zu keinem Zeitpunkt unkonzentriert waren. Sowohl bei der ersten WM-Teilnahme in Frankreich 1998 als auch bei den folgenden Turnieren in Südkorea & Japan 2002 sowie Deutschland 2006 führte mangelnde körperliche Fitness zu Unkonzentriertheiten, die wesentlich für das Ausscheiden verantwortlich waren." Die überzeugenden Auftritte Japans bei dieser WM seien insbesondere auf den großen Zusammenhalt innerhalb des Teams zurückzuführen: "Im Mittelpunkt steht die Mannschaft, das ist die Philosophie des Trainers. Jeder Einzelne muss stets mit dem Bewusstsein agieren, dass Japan seine Mannschaft ist. Der Trainer hatte Zettel mit Botschaften wie 'Wir sind ein Team' überall im japanischen Mannschaftshotel angebracht, damit die Spieler dies verinnerlichten." Was die Zukunft betrifft, ist Gunchi optimistisch: "Wenn alle Kräfte mobilisiert werden, kann Japan seinen Platz in der Fußballwelt finden. Es hat gerade angefangen, dafür zu kämpfen."

Chaotisch und korrupt

Dominic Johnson (taz) beschäftigt sich mit den sportpolitischen Ereignissen in Nigeria: "Am Vortag der Auflösung des nigerianischen Verbandes hatte die Polizei die NFF-Zentrale in der Hauptstadt Abuja gestürmt und Akten beschlagnahmt. Die Büros wurden gestern von der Polizei geschlossen und versiegelt. Der NFF gilt als notorisch chaotisch und korrupt. Vergangenes Jahr waren 326.000 US-Dollar aus den NFF-Büros spurlos verschwunden. Ein Kommentator der Zeitung Vanguard führte die Krise des nigerianischen Fußballs gestern auf regionale und tribale Rivalitäten zurück. Im NFF-Vorstand hätten der Norden, die Mitte und der Südwesten Nigerias zusammen die Mehrheit und würden sich regelmäßig gegen den Süden und Südosten durchsetzen, wo aber die meisten guten Spieler und Trainer des Landes herkämen, so Jimmy Salvage."

Für David Smith vom Guardian zeige die Reaktion der Politik Nigerias vor allem, dass "die Freude über die Euphorie der ersten WM-Austragung in Afrika und das Erreichen des Viertelfinales von Ghana nicht überall geteilt wird. Nigerias Mannschaft hat sich jämmerlich präsentiert. Aber auch alle anderen afrikanischen Nationen außer Ghana mussten sich nach der Vorrunde verabschieden. Kritik gab es dafür von Jay-Jay Okocha bei der BBC: 'Mir hat bei allen Spielern die Leidenschaft gefehlt. Der unbedingte Wille, für den Kontinent zu spielen und zu sterben. Anders als bei ihren Clubs haben sie all das bei der WM vermissen lassen.'"

Trainerwürde

Christian Kamp (FAZ.net) wundert sich hingegen über die stoische Ruhe, mit denen die bei diesem Turnier gescheiterten Verbände mit ihren Trainern umgehen: "Wie man mit Stil statt im ganz großen Stil scheitert, machten bei diesem Turnier andere vor. Griechenland zum Beispiel, das Otto Rehhagel in Würde gehen ließ, oder die Schweiz, die Ottmar Hitzfeld einfach weitermachen lässt, als wäre nichts gewesen. Südafrika schimpfte ein bisschen auf Trainer Parreira, ließ sich aber sonst die WM-Laune nicht verderben. Besonders rührend schließlich war, wie Japans Trainer Okada alle Verantwortung für das Scheitern auf sich nahm, obwohl Premierminister Naoto Kan wie viele seiner Landsleute lobte und gratulierte. Okadas Demut ist nichts hinzuzufügen. Wo der Blick schon in Fernost ist: Wie es den Spielern aus Nordkorea wohl zurück in der Heimat ergangen ist? Anzunehmen, dass die Politik darauf einen gewissen Einfluss hat."

Halsketten für Ehefrauen

Carolin Küter (taz) blickt derweil ferner in die Zukunft und befasst sich mit Australiens Bewerbung um die Austragung der WM 2022: "Bei der Bewerbung greift das Land, wie die australische Tageszeitung The Age berichtet, zu zweifelhaften Methoden. Das Blatt deckte mehrere Unstimmigkeiten im Bewerbungsverfahren auf: So wurden Halsketten an Ehefrauen wichtiger Fifa-Funktionäre verschenkt. Zudem soll der Tochter des Fifa-Chefs Joseph Blatters ein Job versprochen worden sein. Schließlich wurden Fußball-Lobbyisten im Falle des Erfolgs hohe Prämien in Aussicht gestellt, die dann aus Steuermitteln zu zahlen wären. Die Medien vermuten Bestechung, Sportministerin Kate Ellis kündigte die Prüfung der Vorgänge an und auch die Fifa will dem Vorwurf nachgehen."

Dirk Schümer (FAZ.net) erinnert an eine Zeit, in der der heutige argentinische Coach als aktiver Spieler eine ganze Stadt verzückte und an den vielleicht bittersten Moment seiner Karriere: "Wer weiß, wie das neapolitanische Drama ohne die Halbfinalniederlage Italiens gegen Argentinien bei der Heim-WM 1990 ausgegangen wäre. Im Endspiel gegen Deutschland pfiffen die Italiener Maradona aus; nach der Niederlage humpelte er mit Weinkrämpfen vom Feld. Von diesem Moment an hatte es sich Maradona mit der übergroßen Mehrheit im Land verscherzt. Mit dem Märchen der armen Südmetropole Neapel war es danach schnell vorbei. Polizeilich abgehörte Telefongespräche brachten - nach einem Muster, das in Italien immer noch gebräuchlich ist - Maradona mit Kokainbanden und einem Ring von Prostituierten in Verbindung. Die Ermittlungen und die Hetzkampagne trieben Maradona 1991 zur spektakulären Flucht außer Landes; er war als letzte Rettung im Besitz eines Diplomatenpasses von Argentinien gewesen. Noch im letzten Jahr beschlagnahmten italienische Steuerfahnder einen Brillantohrring Maradonas bei einer Kur in Meran, aber sonst scheinen alle Rechnungen nun beglichen. Bei seiner unverhofften zweiten Karrierechance als Argentiniens Nationaltrainer lässt der bald fünfzigjährige Maradona seinen charismatischen Irrsinn und seinen vulkanischen Charme nur mehr dosiert aufblitzen, wenngleich sein ausgebeulter Anzug immer noch etwas an die Mode im Neapel des Jahres 1988 erinnert."

Presseschau zusammengestellt von Kai Butterweck. Aus dem Japanischen übersetzt von Christian Schwöbel und Angela Falero.

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