WM 2010: Italien nach dem Aus:Chance statt Schande

Die Misere der Squadra Azzurra erinnert an die kritische Lage der Nation Italien. Doch der würdevolle Umgang mit der Pleite und der geplante Neuanfang geben Anlass zur Hoffnung - vielleicht ist der Fußball doch weiter als die Politik.

Thomas Hummel, Johannesburg

Hässlich? Das kann man nun wirklich nicht behaupten. Die Spieler der Squadra Azzurra waren wie immer hervorragend gekleidet und frisiert aus der Kabine gekommen. Sie hatten sich zumindest in dieser Hinsicht gut vorbereitet auf ihren Gang in die Öffentlichkeit nach ihrer historischen Pleite gegen die Slowakei. Dorthin, wo die Gesandten ihrer Medien seit einer Stunde eine Nachricht nach Hause sendeten, die dort schon jeder kannte: "Italia brutta" - hässliches Italien.

WM 2010 - Slowakei - Italien

Italien ist in der Vorrunde dieser WM ausgeschieden - doch die Pleite birgt auch Chancen.

(Foto: dpa)

Der Weltmeister von 2006, der Titelverteidiger, ist in der Vorrunde ausgeschieden. Mit Vorstellungen, die nicht nur im italienischen Sinne unansehnlich waren. Dabei war Italien mit der Gewissheit nach Südafrika gereist, die leichteste Vorrundengruppe erwischt zu haben, und auch wenn es seit dem WM-Sieg nichts Schönes mehr von den Blauen zu sehen gab - Paraguay, Neuseeland und Slowakei? Das sollte noch gutgehen.

Dann musste den Italienern der paraguayische Torwart Justo Villar zum 1:1 verhelfen, und das war schon der Höhepunkt für die Squadra bei dieser WM. Nach dem 1:1 gegen Neuseeland berichtete deren Trainer Ricki Herbert, er habe in den Schlussminuten seinen Mittelfeldspieler und Bankangestellten Andy Barron eingewechselt, um zu beweisen, dass auch Amateure im Fußball den hochbezahlten Profis Paroli bieten können. Was für ein Affront! Und nun das 2:3 gegen die Slowakei. Immerhin hatten die nur Profis auf dem Platz.

"Nach Hause in Schande"

"Alles schwarz - nach Hause in Schande!" titelte die Gazzetta dello Sport. Das Land muss den nächsten Tiefschlag hinnehmen, denn in einem gewissen Sinne spiegelt sich in der Leistung der Mannschaft die Lage der Nation wider. Mit einer Politik eines alternden Regierungschefs Berlusconi, der sich fast starrsinnig an der guten alten Zeit festhält, sich neuen Ideen verweigert und hofft, dass schon irgendwie alles gutgehen wird. Noch einen Caffè - und die Welt sieht wieder ganz anders aus.

Dann lässt es sich auch gut lästern und krakeelen, wie Regierungsmitglied Umberto Bossi von der radikalen Lega Nord, ausgesprochener Gegner der Squadra Azzurra, weil er seine eigene norditalienische, padanische Mannschaft sehen will. "Sie werden das Spiel kaufen", hatte Bossi vor dem Slowakei-Spiel gemutmaßt und damit Vorurteile gegen den angeblich korrupten Süden aufgewärmt. "Ihr werdet sehen, dass in der nächsten Saison zwei oder drei Slowaken in der Serie A spielen", kündigte Bossi an.

Vom Fußball lernen

Bei solchen Vertretern des Staates darf sich Italien über seine Fußballer sogar freuen. Denn die kickten zwar auf dem Spielfeld einen wunderlichen Unsinn zusammen und verantworten den schlimmsten Niedergang einer italienischen WM-Mannschaft seit 1966, seit dem 0:1 gegen Nordkorea. Doch danach machten sie bella figura, machten ihrem Land wirklich keine Schande.

WM 2010 - Slowakei - Italien

Während sich ein Teambetreuer bereits abwendet, zeigt Coach Marcello Lippi Größe im bitteren Moment des Ausscheidens.

(Foto: dpa)

Trainer Marcello Lippi, der toskanische Brummbär, musste bei der Pressekonferenz mit seinen Gefühlen kämpfen und nahm mit seinen ersten Worten allen Kritikern die Wörter aus dem Mund: "Oh, alora: Ich übernehme die volle Verantwortung. Dafür gibt es keine Entschuldigung." Weltmeister? Nein, das hätten sie sowieso nicht geschafft mit diesem Kader. Aber Neuseeland und Slowakei? Dafür hätte es schon reichen müssen. "Ich habe die Mannschaft nicht richtig vorbereitet, sie war psychisch nicht bereit", sagte Lippi. Es war ein würdiger Auftritt im Angesicht der peinlichen Pleite. Vor allem in Anbetracht dessen, wie sich die Franzosen, Berliner Finalgegner 2006, aus Südafrika verabschiedeten.

Ehre gerettet

Die Spieler widersprachen brav ihrem Trainer und nahmen selbstverständlich die Schuld auf sich. "No, no, wir tragen die Verantwortung", stellte Gennaro Gattuso klar, "no, wir haben Schuld", erklärte Giorgio Chiellini, und so weiter. Der verletzte Torwart Gianluigi Buffon analysierte seiner Meinung nach objektiv, "dass wir zu Recht ausgeschieden sind. Die Mannschaft hat schlecht gespielt und ihre Chancen nicht verwertet." Seine Einschätzung war objektiv richtig.

Mit diesem Abgang hat die schlechteste italienische Nationalmannschaft seit Jahrzehnten ihrem Land immerhin die Ehre gerettet. Es soll nun unter Trainer Cesare Prandelli einen neuen Anfang geben, ohne den Gedanken, sich an Altem, Bewährten festhalten zu wollen und zu hoffen, dass schon irgendwie alles gutgeht. Prandelli, langjähriger Trainer in Florenz, verficht den positiven, offensiven, kreativen Fußball. Mal was ganz Neues ist da aus Italien zu erwarten. In diesem Sinne sind die Fußballer Italiens schon weiter als ihre Politik.

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