WM 2010: Italien:Kreativ nur bei den Ausreden

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Bei ihrem ersten Spiel dieser WM gegen Paraguay präsentiert sich Italien erstaunlich fehlerbehaftet, undiszipliniert und ineffektiv - kreativ waren die Spieler nur bei den Ausreden für die dürftige Leistung.

Von Jürgen Schmieder

Als nach der Halbzeitpause nicht Gianluigi Buffon im Tor der italienischen Nationalelf stand, sondern Federico Marchetti, da rätselten die italienischen Journalisten auf der Pressetribüne im Green-Point-Stadion von Kapstadt, was sich denn in der Kabine zugetragen haben könnte. Das ist schon deshalb verwunderlich, weil italienische Journalisten im Ruf stehen, bestens informiert zu sein darüber, was in der Kabine der Nationalelf passiert. 0:1 lagen die Azzurri zu diesem Zeitpunkt zurück gegen eine paraguayische Elf, die offensiv ungefähr so gefährlich daherkam wie die Australier in ihrer Partie gegen Deutschland.

Italien musste die Partie ohne Star-Keeper Gianluigi Buffon (im Bild) zu Ende spielen. Der viermalige Welttorhüter blieb in der Pause wegen Ischiasbeschwerden in der Kabine. (Foto: AP)

Mittelfeldspieler schlichen wie in Zeitlupe

Es war ein eingeklemmter Nerv, der Buffon am Weiterspielen hinderte - und doch sagt es viel über das Vertrauen der Italiener in ihre fußballerischen Vertreter aus, wenn die Journalisten nicht ausschließen konnten, dass etwas anderes passiert sein könnte als ein zwickender Rücken: ein Streit zwischen Buffon und Trainer Marcello Lippi etwa oder die Weigerung des Torhüters, sich das Spiel seiner Vorderleute noch weitere 45 Minuten anzutun. Die Italiener schafften immerhin den Ausgleichstreffer durch Daniele De Rossi, ein ansehnliches Spiel gelang ihnen jedoch nicht. "Das geht besser", titelte Tuttosport nach dem Spiel und bezeichnete das Verhalten der Verteidiger beim Gegentreffer als " errore fatale".

Es gehört freilich nicht zum Selbstverständnis der Italiener, ansehnliche Spiele zu zeigen - vielmehr ist die Nationalelf seit Jahren bekannt dafür, erstaunlich fehlerfrei, erstaunlich diszipliniert und erstaunlich effektiv zu spielen. Vor vier Jahren etwa erzeugten die Italiener auch kein Zungeschnalzen bei den Zuschauern, doch sie gestalteten ihre Partien mit humorloser Effizienz und gewannen schließlich den Titel.

Beim ersten Spiel dieser WM gegen Paraguay präsentierte sich die italienische Elf erstaunlich fehlerbehaftet, erstaunlich undiszipliniert und erstaunlich ineffektiv - kreativ waren die Spieler nur bei den Interviews danach. "Wir waren nicht so gut wie Deutschland, aber wir haben ein gutes Match gemacht", sagte etwa Riccardo Montolivo. "Wir hätten nur öfter aufs Tor schießen sollen." Dass es zum Aufs-Tor-Schießen einen Angriff braucht, bei dem ein Akteur in Position gebracht wird, der aufs Tor schießen kann, das unterschlug der Italiener. Er sprach auch nicht über die doch arg brüchig wirkende Abwehr, über Mittelfeldspieler, die wie in Zeitlupe über das Spielfeld schlichen und über den Angreifer Alberto Gilardino, der Arbeitslosengeld hätte beantragen können. Stattdessen sagte Montolivo immer wieder: "Wir haben ein gutes Match gemacht."

"Alte Besen kehren gut"

Es war eine Partie, bei der beide Mannschaften so agierten, als würde nicht der gewinnen, der die meisten Tore schießt, sondern jene Elf, die mehr Fehlpässe spielt - und nur weil sich beide Teams auch eklatante Missgeschicke in der Defensive leisteten, kam es dazu, dass tatsächlich zwei Tore fielen. Beide Treffer waren nicht herausgespielt, sie fielen aus verregnetem Himmel. "Wir können trotzdem zufrieden sein", sagte der ehemalige Bayern-Stürmer Roque Santa Cruz nach dem Spiel. "Man darf nicht vergessen, dass wir gegen den amtierenden Weltmeister gespielt haben."

Vor dem Turnier war dieser amtierende Weltmeister arg gescholten worden, Trainer Lippi reagierte auf jede Form der Kritik wie ein trotziger Teenager, dem die Mutter vorwirft, dass seine Jeans Löcher hätten. Zu alt sei die Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 28,5 Jahren. Lippis Reaktion: "Es heißt nicht umsonst: Alte Besen kehren gut." Ein weiterer Vorwurf: Die Elf sei offensiv zu schwach - was Lippi so kommentierte: "Dafür werden Brasilien, Portugal und Spanien nie so verteidigen wie wir." Und als dann ein Journalist einen aufmunternden Satz des Trainers hören wollte, sagte Lippi: "Ich weiß nicht warum - aber ich bin zuversichtlich."

Die Befürchtungen der italienischen Fans wurden durch die Leistung der Nationalkicker nicht zerstreut - im Gegenteil, zumal ein neuerlicher Einsatz Buffons nach derzeitigem Stand fraglich ist. Als Favorit auf den Titel dürfte die Elf nicht gerade gelten. "Ich kann mich nicht erinnern, dass Italien je als Favorit in eine Weltmeisterschaft gegangen wäre", sagte Lippi nach dem Spiel. "Vor vier Jahren war es doch genauso. Da haben uns viele nicht einmal das Viertelfinale zugetraut." Es war beinahe verwunderlich, dass sich die italienischen Journalisten einen Zwischenruf verkniffen: "Aber da haben wir wenigstens das erste Spiel gewonnen."

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