WM 2010: Interview mit Ronald de Boer:"Van Gaal steht über allem"

Der frühere holländische Nationalspieler Ronald de Boer spricht über Vergleiche zwischen van Marwijk und van Gaal, politische Entscheidungen bei der Besetzung des Trainerstabes und die Taktik fürs WM-Finale gegen Spanien.

Javier Cáceres

Der 67-malige niederländische Nationalspieler Ronald de Boer, Zwillingsbruder des niederländischen Ko-Trainers Frank de Boer, ist als TV-Experte zur WM nach Südafrika gereist. Der frühere Mittelfeldspieler, der unter anderem bei Ajax Amsterdam und dem FC Barcelona wichtige Erfolge erzielte, wollte Südafrika eigentlich längst verlassen haben. Nach jedem K.-o.-Spiel der Niederlande musste er aber seine Rückflüge verfallen lassen - weil Oranje weiterkam.

sueddeutsche.de: Hatten Sie denn so wenig Vertrauen in die niederländische Mannschaft, Herr de Boer?

Roland de Boer: Nein, ich denke immer positiv. Und ich weiß, wozu die Mannschaft fähig ist. Aber man muss auch realistisch sein. In einem Viertelfinale gegen Brasilien kann man schon mal ausscheiden. Holland kann an guten Tagen jeden schlagen, aber an schlechten Tagen auch gegen fast jeden verlieren.

sueddeutsche.de: Was ist die Stärke des Finalisten Holland?

De Boer: Es ist eine unglaublich kompakte, solide Mannschaft. Sie ist nicht zu überraschen. Es ist völlig ausgeschlossen, dass diese Mannschaft drei zu null oder vier zu null verliert. Wir haben neben den vier Abwehrleuten mit Mark van Bommel und Nigel de Jong zwei defensive Mittelfeldspieler, die weniger kreativ sind als Spaniens Xavi, Iniesta oder auch Alonso. Van Bommel und de Jong können zwar auch Pässe schlagen. Aber ihre Hauptaufgabe ist es, den gegnerischen Angriff zum Einsturz zu bringen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt ihr Bruder Frank als Ko-Trainer?

De Boer: Es ist immer schwierig, objektiv zu sein, wenn es um meinen Bruder geht. Aber glauben Sie mir: Er ist unglaublich wichtig. Ebenso Philippe Cocu, der andere Assistenztrainer. Zusammen haben die beiden 220 Länderspiele ansolviert. Das ist eine Erfahrung, die der aktuellen Mannschaft extrem zugute kommt. Zumal Frank und Philippe schon als Spieler sehr taktisch orientiert waren.

sueddeutsche.de: Hört Trainer Bert van Marwijk auf die beiden?

De Boer: Sehr. Ich spreche oft mit meinem Bruder, und er redet sehr positiv über van Marwijk. Für uns steht Louis van Gaal (De Boers Trainer bei Ajax und dem FC Barcelona, Anm.d.Red.) über allem, und der Vergleich wäre sicherlich nicht fair. Aber nach allem, was mein Bruder erzählt, ist van Marwijk sehr offen für Ratschläge, hört gut zu und pflegt eine sehr offene Kommunikation.

sueddeutsche.de: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

De Boer: Mein Bruder ist in der Jugendabteilung von Ajax für die U18 zuständig. Er hatte eigentlich keinerlei Ambitionen. Aber Ajax drängte ihn dazu, zur Nationalelf zu gehen. Wenn man so will, aus politischen Gründen. Van Marwijk kommt von Feyenoord, Cocu vom PSV Eindhoven, und Ajax meinte, man brauche auch jemanden in der Nationalmannschaft. Zum Beispiel, um eine bessere Verhandlungsposition zu haben, wenn ein Spieler mal wegen einer Verletzung nicht zur Nationalelf soll.

Spanien wird dominieren

sueddeutsche.de: Macht es ihnen Spaß, dieser holländischen Mannschaft zuzuschauen?

De Boer: Nein. Überhaupt nicht. Ich war vor der WM voller Vorfreude, weil Holland in den Testspielen einen dermaßen überragenden Fußball gespielt hatte ... Es war ein unfassbar direktes Spiel, alle waren in Bewegung. Das Kuriose ist: Sie haben noch kein Spiel verloren. Obwohl sie noch nicht gezeigt haben, wozu sie fähig sind.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

De Boer: Vielleicht am Druck, bei einer WM zu spielen. Giovanni van Bronckhorst lief früher 20 Mal in einem Spiel nach vorne, jetzt macht er das nur noch zwei, drei Mal pro Partie. Van der Wiel ähnlich. Ich würde das gerne öfter sehen.

sueddeutsche.de: Was für ein Finale erwarten Sie?

De Boer: Mein Gefühl jetzt sagt mir, im Lichte des bisherigen Turniers, dass Spanien dominieren wird. Sie werden viel Ballbesitz haben. Was nicht heißt dass es einfach sein wird: Die Spanier haben Schwierigkeiten gehabt, Tore zu erzielen.

sueddeutsche.de: Welche spanischen Spieler gefallen Ihnen am meisten?

De Boer: Da sind so viele ... Xavi, mit dem ich noch zusammengespielt habe, Iniesta, dem man sehr gerne zuschaut, aber auch Puyol. Er gibt immer 90 Minuten lang alles. Ein großer Athlet, ein Vorbild.

sueddeutsche.de: Wird das Duell Robben gegen Capdevila der Schlüssel des Finales werden?

De Boer: Ja. Aber nur, wenn die Spieler um Robben herum permanent in Bewegung sind. Wenn sie meinen, dass es reicht, Robben den Ball zu geben, können sie es vergessen. Alle müssen sich einbezogen fühlen, um die spanische Abwehr zu verwirren.

sueddeutsche.de: Arjen Robben muss mit dem Stigma leben, ein Spieler aus Glas zu sein.

De Boer: Er hat sich zwar vor der WM wieder verletzt. Aber das war wegen einer dummen Bewegung. Ich hatte mal die gleiche Verletzung. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass er seine Verletzungsanfälligkeit in München überwunden hat. In München haben sie ihm offenbar das richtige Training und die richtige Diät verschrieben.

sueddeutsche.de: Wie erklären Sie sich die fantastische Form von Wesley Sneijder, der gegen Spanien seinen vierten Titel der Saison erringen kann?

De Boer: Das kann man nicht erklären. Alles, was er anfasst, wird zurzeit zu Gold. Ich hoffe, dass ihm das auch im Finale gelingt.

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