Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Halbfinale:Gegen die Kraft von vier Herzen

Der Sieg gegen Argentinien war das Gesellenstück der jungen deutschen Mannschaft, die Meisterprüfung wartet im Halbfinale gegen Spanien. Joachim Löw warnt vor allem vor den Mittelfeldspielern Spaniens.

Jürgen Schmieder

Das war ja leicht, gegen diese Argentinier zu gewinnen - zumal deren Trainer Diego Maradona schon vor dem Spiel verraten hatte, wie das zu schaffen ist. "Unser Ziel muss sein, dass Lionel Messi so oft wie möglich den Ball berührt", hatte er immer wieder betont, was im Umkehrschluss bedeutete, dass Maradonas Zielführung erheblich behindert würde, wenn Lionel Messi den Ball so wenig oft wie möglich berührt.

Freilich war es alles andere als leicht, gegen diese Argentinier zu gewinnen, es war eine taktische Meisterleistung von Joachim Löw ("Das 4:0 war eines der besten deutschen Länderspiele aller Zeiten") und eine läuferische Meisterleistung seiner Spieler, diesen Lionel Messi immer wieder einzukreisen. Spätestens der dritte deutsche Akteur konnte dem argentinischen Dribbler den Ball stibitzen. Begünstigt wurde dieser Eifer der deutschen Verteidiger durch die argentinischen Mittelfeldspieler Angel di Maria, Maxi Rodriguez und Javier Mascherano, die sich nicht als Mitspieler Messis begriffen, sondern darauf vertrauten, bei einer genialen Aktion ihres Kollegen den besten Platz im Stadion zu haben. "Sie waren als Mannschaft nicht gut eingestellt", urteilte Philipp Lahm nach der Partie, was eine recht nette Umschreibung war.

Messi ist es nicht gewohnt, mit Spielern auf dem Platz zu stehen, die ihre Rolle dermaßen eindimensional interpretieren: Angreifer greifen an und bleiben bei Spielzügen des Gegners stehen - Carlos Tévez band sich ein Mal gar die Schnürsenkel, als Bastian Schweinsteiger einen Angriff inszenierte. Die Verteidiger verteidigten und blieben dann stehen - es war zwar nicht zu beobachten, doch hätte es nicht verwundert, wenn sich auch Martin Demichelis die Schnürsenkel gebunden hätte, als Messi wieder einmal erfolglos versuchte, sich als Einzelkönner gegen das deutsche Kollektiv durchzusetzen.

Als Vereinsfußballer spielt Messi beim FC Barcelona in einer Elf, in der er nicht das Herz sein muss, weil neben ihm noch drei Herzen schlagen. Die Mitspieler Messis sind Xavi, Sergi Busquets und Andrés Iniesta - und diese drei bilden gemeinsam mit Xabi Alonso von Real Madrid das Mittelfeld der spanischen Elf, gegen die Deutschland nun im Habfinale antreten muss. Die spanische Elf hat eben nicht nur eines, sondern mindestens vier Herzen. "Die Spanier legen sehr viel Wert auf Spielfluss, Spielfreude und Leichtigkeit", sagte Joachim Löw am Montag. Schweinsteiger ergänzt: "Wir müssen eine taktische Meisterleistung bieten und im Kollektiv gut arbeiten."

"Xavi und Iniesta spielen in Barcelona seit Jahren zusammen, sie sind die ballsichersten Spieler der Welt", sagt Löw. Wenn gegen Argentinien das Ziel war, Messi so wenig wie möglich an den Ball kommen zu lassen, dann müsste die Ausrichtung gegen Spanien lauten: niemanden oft an den Ball kommen lassen. "Es kommt viel Arbeit auf unsere Mittelfeldspieler zu, sie müssen es lösen, wie sie es schon gegen England und Argentinien gelöst haben. Wir müssen Passwege zustellen und dafür sorgen, dass die Spanier nicht kombinieren dürfen, wie sie es gewohnt sind."

Dazu kommt, dass Stürmer David Villa nicht nur dann ein Tor erzielen kann, wenn er sich gerade die Schnürsenkel bindet, sondern auch vorbildlich in der Defensive arbeitet. "Villa nimmt am Spiel der Spanier teil, lässt sich fallen und kommt auch gerne über die linke Seite", sagt Löw. "Dazu ist er im Abschluss der wohl gefährlichste Spieler des Turniers." Kollege Fernando Torres ist zwar offensiv nach zwei Meniskusoperationen kaum vorhanden, doch ist er im Verbund mit Villa bereit, den Gegner früh zu attackieren und beim Aufbau zu stören.

Zudem agieren die Außenverteidiger Sergio Ramos und Joan Capdevilla nicht wie die behäbigen Argentinier Otamendi und Heinze fast ausschließlich defensiv, sondern sind stets an Angriffen der eigenen Elf beteiligt. Dies zeigt die Laufstatistik der beiden: Ramos lief während des Turniers 10,1 Kilometer pro 90 Minuten, Capdevilla 9,9. Nur Philipp Lahm kann mit 10,3 Kilometern einen höheren Außenverteidiger-Wert vorweisen. Zum Vergleich: Gabriel Heinze kommt auf 9,3 Kilometer. "Wir sind fit, doch das wird nicht genügen", sagt Joachim Löw. "Auch die mentale Kraft ist erforderlich. Das bedeutet die taktische Ausrichtung wie auch Konzentration."

Mit dieser WM-Formation hat die spanische Elf zwar nicht so glänzen können wie noch bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren, doch hat sie bislang auch bei diesem Turnier jeden Gegner dominiert. Durchschnittlich waren die Spanier bei ihren Partien zu 58 Prozent in Ballbesitz, die Quote angekommener Pässe lag bei 80 Prozent (Deutschland: 73 Prozent). Dazu mussten die Spanier in den fünf Spielen wie die deutsche Elf nur zwei Gegentreffer (gegen die Schweiz und Chile) hinnehmen, Torhüter Iker Cassilas musste gerade einmal zehn Schüsse abwehren, während Manuel Neuer 18 Mal eingreifen musste.

Es war schwer, im Viertelfinale gegen die argentinische Elf zu bestehen, die deutsche Elf hat diese Aufgabe formidabel gelöst. Es war das Gesellenstück dieser jungen Mannschaft. Die Meisterprüfung wartet nun im Halbfinale gegen Spanien. "Wir sind stark genug, das Finale zu erreichen", sagt Bastian Schweinsteiger. Keine Mannschaft hat bisher mehr Tore erzielt als die deutsche Elf (13), sie hat genauso oft aufs Tor geschossen (34 Mal) wie Spanien, die Zweikampfwerte liegen höher als die des Halbfinal-Gegners. Und Joachim Löw hat noch eine Geheimwaffe: "Immer wenn ich den blauen Pulli anhatte, haben wir vier Tore geschossen", sagte er am Montag. "Also werde ich den Pulli auch im Halbfinale tragen."

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