Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Frankreich und Nigeria:Fußball als Staatsaffäre

Droht Frankreich und Nigeria der Ausschluss aus dem Weltverband? In beiden Staaten mischt sich die Politik in den Fußball ein - im Reich von Fifa-Chef Sepp Blatter eine Todsünde.

Johannes Aumüller und Michael König

Es ging um das Wohl der Nation, deshalb tagte die Versammlung hinter verschlossenen Türen. Die Medien waren ausgeschlossen, doch via Twitter informierte ein Abgeordneter der konservativen Regierungspartei UMP die Öffentlichkeit. Er schrieb: "Wir sind ausgeschieden, weil wir mit 23 verwöhnten Kindern angetreten sind, die völlig die Bodenhaftung verloren haben."

Während in Deutschland die Bundesversammlung am Mittwoch mehr als neun Stunden brauchte, um in geheimer Wahl ein neues Staatsoberhaupt zu wählen, beschäftigte sich zeitgleich die französische Nationalversammlung in Paris mit einem fast noch wichtigeren Thema: Fußball. Der gescheiterte Nationaltrainer Raymond Domenech und der scheidende Vorsitzende des nationalen Fußballverbands, Jean-Pierre Escalettes, wurden zur Anhörung ins Parlament einbestellt. Das ist ungefähr so, als wären Joachim Löw und DFB-Präsident Theo Zwanziger in den Bundestag zitiert worden, um Rechenschaft über das Abschneiden bei der WM abzulegen.

Der große Unterschied zwischen den Nationen: Deutschland hofft bei der WM in Südafrika auf den Einzug ins Halbfinale, während die Franzosen bereits in der Vorrunde ausschieden - als Gruppenletzter, mit einem Punkt aus drei Spielen. Französische Medien sahen daraufhin das Ansehen der Nation beschädigt. Erst recht, als der Stürmer Nicolas Anelka Trainer Domenech als "Hurensohn" beschimpfte, die Équipe Tricolore ein Training boykottierte, Präsident Nicolas Sarkozy aus dem fernen Moskau beschwichtigend eingreifen musste, Frankreich Fußballs vollends im Chaos versank - und Domenech und Escalettes der Spielerrevolte hilflos gegenüber standen.

Blatter droht

Nach einem Bericht des UMP-Abgeordneten Lionel Tardy aus der nicht öffentlichen Sitzung habe Domenech beteuert, dass er die Situation in den Griff bekommen hätte - wenn die französische Sport-Tageszeitung L'Équipe nicht von seinem Streit mit Anelka berichtet hätte. Die Zeitung hatte die wüsten Beleidigungen des Stürmers auf der Titelseite abgedruckt. "Domenech hat uns gesagt, dass mit dieser Story alles begonnen hat. Er glaubt, er hätte die Situation unter Kontrolle gehabt, wäre die Geschichte nicht gedruckt worden", sagte Tardy.

Domenech und Escalettes wollten sich nach der Anhörung nicht äußern. Tardy hatte bereits während der Sitzung Twittermeldungen verschickt und sich selbst als "Verräter" bezeichnet, der von anderen Abgeordneten die "rote Karte" gesehen habe und deshalb aufhören müsse. "Diese Sitzung hätte öffentlich sein müssen", klagte er anschließend. Der zuständige Kulturausschuss erklärte, der Fußballverband habe um die Nichtöffentlichkeit der Sitzung gebeten.

Ob öffentlich oder nicht - Joseph Blatter, Präsident des Fußball-Weltverbands Fifa, geißelte die Anhörung als Einmischung der Politik in die Angelegenheiten des Verbands: "Frankreich hat eine wahre Staatsaffäre aus dem Fußball gemacht, aber der Fußball gehört in die Hände der Verbände." Sollte es zu politischen Einmischungen kommen, könne Frankreichs Fußball auf die Fifa zählen - "selbst, wenn es auf der Präsidentenebene geschieht". Blatter droht: "Sollten alle weiteren Konsultationen scheitern, bleibt uns als einziges Mittel die Suspendierung des Verbandes."

Frankreich ist nicht das einzige Land, das in den Fokus des Fifa-Chefs geraten ist. Auch Nigeria hat den Unmut des Schweizers erregt, weil die politische Führung die fußballpolitische Todsünde begangen hat, sich in die Angelegenheit des Sports einzumischen. Nach dem enttäuschenden Abschneiden bei der WM (Vorrunden-Aus mit nur einem Punkt) hatte Nigerias Präsident Goodluck Jonathan den Fußball-Verband (NFF) überraschend aufgelöst und die Nationalmannschaft für zwei Jahre von allen internationalen Wettbewerben zurückgezogen.

Die Fifa betonte, dass ihr diesbezüglich noch keine Information vorliege. Sollte sich das aber bestätigen, droht dem nigerianischen Verband eine Sanktion. Die Autonomie des Sports ist der Fifa heilig, und für die Missachtung dieses Grundsatzes hat sie bereits mehrfach nationale Verbände vorübergehend ausgeschlossen, inklusive allen sportlichen und finanziellen Folgen.

Langjährige Beobachter kritisieren aber die Willkür, mit der sich die Fifa dieser Instrumente bedient. So gab es beispielsweise Ende 2009 in Russland einen Vorgang, der durchaus in die Kategorie "politische Einmischung" fiel. Damals verfügte nämlich Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew, dass in Zukunft Minister oder Beamte nicht zugleich als Präsidenten eines Sportverbands tätig sein dürfen.

Dieses Dekret betraf unter anderem auch Witalij Mutko, damals zugleich Sportminister und Chef des russischen Fußballverbandes. Nur wenige Wochen später trat Mutko als Fußball-Chef zurück und es übernahm Sergej Fursenko. "Witalij Mutko ist rechtmäßig zurückgetreten. In einem Wahlverfahren wird bis 3. Februar 2010 ein neuer Präsident bestimmt. Der Prozess läuft unter Einhaltung der Statuten der Fifa und des Russischen Fußballverbandes", antwortete der Weltverband auf Anfrage von sueddeutsche.de nach Mutkos Rücktritt. Muss man aber ein Schelm sein, um die Haltung in diesem Fall in Zusammenhang zu bringen mit der Tatsache, dass Blatter in Osteuropa als gut vernetzt gilt und Russland sich gerade anschickt, die WM 2018 auszurichten?

Das Schicksal der Nordkoreaner

In einem zweiten aktuellen Fall sah Blatter über großzügig politische Einmischungen hinweg - diesmal unter lautem Applaus der weltweiten Fußball-Beobachter. Als bei einem Attentat auf die togoische Nationalmannschaft vor dem Afrika-Cup drei Menschen ums Leben kamen, wies die Regierung des Landes die Spieler an, das Turnier abzubrechen. Der afrikanische Fußballverband sperrte die Nationalelf und revidierte die Entscheidung, als Blatter vermittelnd eingriff. Hätte Blatter diese zynische Entscheidung mitgetragen, wäre weltweiter Protest programmiert gewesen.

Frankreichs Politik scheint Blatters Appell bereits verstanden zu haben. Die französische Regierung bemühte sich, die Wogen zu glätten: Niemals habe man sich in die inneren Angelegenheiten des Verbands einmischen wollen, sagte Regierungssprecher und Erziehungsminister Luc Chatel (UMP): Der französische Fußballverband sei souverän, betonte er. Allerdings sei die Regierung "Zeuge einiger disziplinarischer Verfehlungen" gewesen, über die sie nicht einfach hätte hinwegsehen können.

Dass es im Vergleich zu Frankreich und Nigeria noch wesentlich schlimmer geht, zeigt derweil eine Nachricht aus Nordkorea. Moon Ki-Nam, ein 2004 aus der Diktatur geflohener Fußballtrainer, sagte im Interview mit einer Nachrichtenagentur, die Spieler des aktuellen Kader müssten nach ihrer Rückkehr mit schlimmsten Strafen rechnen. Nordkorea war mit null Punkten und 1:12-Toren in der Vorrunde gescheitert. Nach Angaben des Trainers werden die Spieler deshalb zur Arbeit verdonnert - in Kohlebergwerken.

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