WM 2010: Frankreich - Südafrika:Titanic gesunken. Niemand gerettet.

Nicht einmal das desolate Frankreich, der Schiedsrichter und Uruguay zusammen können Südafrika ins Achtelfinale verhelfen. Das 2:1 beschert Bafana Bafana immerhin einen letzten Moment des Glücks vor der großen Leere.

Das Oberdeck der Titanic wäre wohl der bessere Austragungsort gewesen für dieses letzte Spiel der Gruppe A zweier dem Untergang geweihter Mannschaften. Wie sollten sie ihrem Schicksal entgehen, die Gastgeber aus Südafrika und der WM-Zweite aus Frankreich, die in ihren beiden Partien zuvor doch schon fast alles verspielt hatten und nur durch ein Wunder zu retten gewesen wären? Wie macht man das überhaupt, so ein Wunder, wenn man nur auf 50 Prozent davon Einfluss hat, weil die andere Wunderhälfte in einem anderen Spiel erzeugt werden müsste?

France v South Africa: Group A - 2010 FIFA World Cup

Südafrikas Katlego Mphela erzielte das zweite Tor für "Bafana Bafana".

(Foto: Getty Images)

Nun, man macht es wie die Südafrikaner, die alle günstigen Umstände für sich bündelten. Sie bedankten sich bei einer opferbereiten französischen Elf, einem ergebenen Schiedsrichter und einer ehrgeizigen Mannschaft aus Uruguay, würzten das ganze mit afrikanischer Wundergläubigkeit und schossen einfach so viele Tore, wie ihnen gestattet wurden. Am Ende waren es zwar zu wenige, um ins Achtelfinale vorzustoßen, aber das 2:1 (1:0) gegen Frankreich bescherte Bafana Bafana immerhin einen letzten Moment des Glücks. "Die Jungs haben das Land stolz gemacht", lobte der Trainer Carlos Alberto Parreira sein Team: "Wenn wir das 3:0 machen, kommen wir weiter."

Was nun kommen wird, nachdem der Gastgeber seine Party aber als einer der Ersten hat verlassen müssen, steht in den Sternen. Es gibt dafür keine Erfahrungswerte, es passiert zum ersten Mal. Schon vor dem Spiel gegen Frankreich war den Kickern vom Kap die Unterstützung im Land abhanden gekommen. Im Radio flehten Kommentatoren ihr Publikum an, nicht zu früh aufzugeben. Der Rausch der Gefühle, der die Elf noch kurz vor der WM auf einer Triumphfahrt im offenen Bus begleitet hatte, war der Ernüchterung gewichen, weil sich die Prophezeiung des erfahrenen Trainers Parreira zu erfüllen schien: Mit Südafrika die Vorrunde zu überstehen, hatte er gesagt, sei genauso schwer, wie mit Brasilien Weltmeister zu werden. Nach dem Vorrunden-Aus trat Parreira dann zurück.

Abidal mag nicht mitmachen

Südafrika war nicht zu retten, auch von Frankreich nicht - und das will was heißen. Sporthistoriker müssen klären, ob es in der Geschichte der großen Turniere jemals einen desolateren Auftritt gab, abgesehen von den Franzosen selbst, die sich 2002 als Titelverteidiger aus dem Turnier in Südkorea und Japan verabschiedet hatten, mit null Toren in der Vorrunde. Damals hing alles am Oberschenkel von Zinédine Zidane. Als er spielen konnte, war seine Elf schon draußen.

Diesmal sind es keine höheren Mächte, die sich gegen Les Bleus verschworen hätten, sie waren es schon selbst. Nicolas Anelkas Schimpftirade gegen den Trainer, die folgende Suspendierung, der Trainingsboykott der Mannschaft, zuletzt mochten einige Akteure gar nicht mehr mitmachen. So hat Eric Abidal den Trainer Raymond Domenech vor dem Spiel aufgefordert, ihn nicht aufzustellen. "Verweigert hat er sich nicht, aber er hat gesagt: 'Ich fühle mich ausgebrannt, ich ziehe es vor, nicht zu spielen'", sagte Domenech, der ansonsten wenig zu sagen hatte. "Im Moment bin ich nicht fähig, eine Bilanz zu ziehen", erklärte Domenech, 58, nach seinem letzten Spiel als Nationaltrainer: "Ich wünsche meinem Nachfolger (Laurent Blanc, Anm. d. Red.) viel Glück."

Als am Ende des Spiels gegen Südafrika plötzlich sogar wieder Thierry Henry mit der Binde des Kapitäns am Arm über den Rasen lief, hatte sich auf aberwitzige Art ein Kreis geschlossen. Denn Henrys Handtor gegen Irland in der Qualifikation hatte die schon damals im Untergang befindliche Elf zu dieser Reise in den afrikanischen Winter überhaupt erst gezwungen, und Henrys zwischenzeitliche Degradierung vom Spielführer zum Bankdrücker war eine entscheidende Etappe auf dem Sturzflug zurück in die Heimat. Dazwischen hatte die Elf allen Respekt verloren, 95 Prozent der Franzosen wünschten ihr das Vorrunden-Aus. Noch gegen Mexiko hatte Domenech Henry 20 Minuten warm laufen lassen, ohne ihn einzuwechseln. Ihn jetzt zu bringen, als Südafrika 2:0 führte - Teil zwei einer Verhöhnung. Immerhin reichte ihm Diarra demonstrativ die Kapitänsbinde.

Patrice Evra, der eigentliche Kapitän, der nicht spielte, erklärte hinterher, die Mannschaft verzichte wegen der Peinlichkeiten rund um den Vorrunden-K.o. auf sämtliche WM-Prämien. Überdies kündigte er eine Erklärung in den nächsten Tagen an. "Es wird in dieser Woche eine Pressekonferenz geben, so schnell wie möglich", sagte der Abwehrspieler, "weil die Franzosen die Wahrheit wissen sollen." Um die Aufklärung der Vorkommnisse im Teamquartier soll sich demnächst aber auch eine Kommission kümmern.

Der Impuls traf Südafrika

Das letzte Spiel der Franzosen bei dieser WM ist schnell erklärt. Eine der beiden Mannschaften hätte hoch gewinnen müssen, um überhaupt rechnerische Chancen auf ein Weiterkommen zu haben. Dazu brauchte es einen Impuls, für wen auch immer. Es traf die Südafrikaner, die nach einer Ecke von Tshabalala, einem schweren Fehler von Torwart Lloris und einem Kopfball von Bongani Khumalo früh in Führung gingen. Khumalo hatte sich dabei allerdings am Körper des französischen Abwehrspielers Diaby in die Höhe gehangelt wie an einer Stehleiter (20.). Das hatte Schiedsrichter Oscar Ruiz (Kolumbien) toleriert, nicht aber den Einsatz des Ellbogens von Gourcuff bei einem Kopfballduell (25.). Der Franzose sah Rot, Südafrika schoss bald das 2:0, und da schien sich der Traum der Fifa auf eine Endrunde mit Afrika erfüllen zu lassen. Doch weitere Chancen nutzte Südafrika nicht. "Es war mehr möglich, aber es sollte nicht sein", sagte Torschütze Katlego Mphela, der mit seinen Chancen das Team allein in die nächste Runde hätte schießen können. Die Franzosen schossen durch Malouda (70.) noch den Anschlusstreffer, der keinem Team mehr Hoffnung ließ.

Mit dem Schlusspfiff sank die Titanic. Niemand wurde gerettet.

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