Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Teure Flops:Das Messi-Syndrom: Stars, die keine waren

Die Großen Fünf der WM hätten sein sollen: Messi, Ronaldo, Ribéry, Kaká und Rooney. Keiner von ihnen war in Bestform, einige schlummerten dahin. Fünf kleine Geschichten der Enttäuschung.

Christian Zaschke

Die WM strebt ihrem Höhepunkt entgegen, und sie sind nicht mehr dabei. Die Männer, an die die höchsten Erwartungen gestellt wurden, von Fans, Sponsoren und Werbemenschen, und sicherlich hatten sie auch die höchsten Erwartungen an sich selbst. In Südafrikas Tierwelt gibt es die "Big Five", es sind Elefant, Büffel, Löwe, Leopard und Nashorn. Die Großen Fünf der Welt des Fußballs hätten sein sollen: Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Franck Ribéry, Kaká und der großartige Wayne Rooney. Keiner von ihnen war bei der WM in Bestform, einige spielten, als habe sich ein sanfter Schlummer über sie gelegt; das Geschehen zog an ihnen vorbei. Von den verhinderten Großen Fünf bleiben fünf kleine Geschichten der Enttäuschung.

Lionel Messi

Am Ende wirkte er verstört. Er blickte über den Rasen, auf all die Menschen, auf all den Jubel und die Trauer der Mitspieler, und in seinem Gesicht stand zu lesen, dass er Zeuge der falschen Geschichte war. In der richtigen Geschichte hätte er, Lionel Messi, begabtester Fußballer seiner Generation, die Welt verzaubern und die WM erobern sollen. Er hätte Teil der Erzählungen des Fußballs werden sollen, so wie Maradonas Triumphzug von 1986 wieder und wieder von Chronisten und Fans und den Anhängern der Iglesia Maradoniana, der Maradona-Kirche, erzählt, überliefert wird. Doch das Jahr 50 nach Diegos Geburt war kein gutes Jahr für den Fußballer Messi. Teil der Erzählungen ist er nun, aber er spielt nicht die Rolle des Helden.

Vermutlich werden sie in Argentinien noch in 30, in 50 Jahren erzählen, raunend, mit kratziger Stimme: "Aber weißt du noch, wie wir in Südafrika diese schreckliche Abreibung von den Deutschen kassiert haben? Und das, obwohl wir damals Messi hatten." Messi spielte nicht schlecht. Die Nigerianer verwirrte er, den wendigen Südkoreanern drehte er Knoten in die Beine, auf die jeder Seemann von Kiel bis zum Kap neidisch war, die Griechen nahm er nicht ernst, die Mexikaner nahm er sehr ernst, auch gegen die Deutschen zauberte er bisweilen, doch blieb es eine Zauberei ohne Ziel. 23 Jahre alt ist der wunderbare Fußballer Lionel Messi, in vier Jahren wird seine Zeit kommen, und was kann es für einen Argentinier Schöneres geben, als Weltmeister in Brasilien zu werden?

Immer wieder muss sich Ronaldo den Vorwurf gefallen lassen, dass er sein Spiel nicht auf die Höhe des Moments heben kann. Das ist ein bisschen gemein, denn immerhin war er dreimal englischer Meister mit Manchester United, er gewann mit dem Klub die Champions League, und er hat viele herausragende Spiele gezeigt. Von der WM 2006 ist allerdings in erster Linie ein Bild in Erinnerung, wie Ronaldo nach einer Schwalbe noch im Fluge flehentlich zum Schiedsrichter blickt. Bei der EM 2008 hat er nach Ansicht der meisten Experten nicht mitgespielt, zumindest können sie sich nicht daran erinnern. Er hat aber sehr wohl mitgespielt und sogar ein Tor erzielt, es war gegen, dings - jedenfalls hat er eins erzielt. Der Ball dieser WM schien wie für ihn entworfen zu sein, denn er lässt sich auf abenteuerlichen Flugbahnen ins Netz befördern.

Doch Ronaldo und der neue Ball wollten nicht so recht Freunde werden. Vor Freistößen legte Ronaldo die Kugel liebevoll ins Gras, wie ein Vater sein Neugeborenes in die Wiege bettet. Der Zeit der Zärtlichkeit folgte stets die Zeit der Wucht: Ronaldo nahm Anlauf, er schritt zurück wie ein Soldat, rannte los wie ein Sprinter, jagte den Ball in die Wolken, in die Mauer, ins Nichts, und manchmal lächelte er höhnisch, als wolle er sagen: "Du, Schicksal, hältst dich wohl für besonders komisch." Dass Ronaldo die Kugel stets so liebevoll platzierte und anschließend von einem Mangel an Konzentration befallen wurde, hat aber wohl nichts mit den Göttinnen des Schicksals zu tun, die über den Fußball wachen.

Soeben gab Ronaldo bekannt: "Mit viel Freude und Emotionen teile ich mit, dass ich Vater eines Sohnes geworden bin. Wie mit der Mutter des Babys abgesprochen, bleibt ihre Identität geheim, und ich habe das alleinige Sorgerecht für meinen Sohn." Ob Ronaldo, den als ewigen Stenz zu beschreiben der Wahrheit sehr nahe kommt, der richtige Mann fürs alleinige Sorgerecht ist, sei dahingestellt. Gegönnt sei ihm die gute Nachricht am Ende des dann doch eher unwichtigen Turniers.

Was haben sie schon wieder gute Laune beim FC Bayern. Das ganze WM-Halbfinale wird ja mehr oder weniger von Spielern des Klubs bestritten, zumindest, wenn man die Beteiligung von Spanien und Uruguays der Einfachheit halber mal außen vorlässt. Gern hätten die Bayern auch ihrem Franzosen Franck Ribéry eine bessere WM gegönnt, aber die Franzosen haben sich dazu entschieden, ohne Trainer anzutreten, wenn man der Einfachheit halber mal außen vorlässt, dass ein gewisser Raymond Domenech vorgab, diese Rolle zu spielen.

Ribéry ging unter mit der Mannschaft, er konnte nichts dagegen tun. Nun hat eine große Wut Wohnstatt in seinem Bauch genommen. Er wollte auf der großen Bühne zeigen, dass nicht Messi, Ronaldo oder Kaká die größten Künstler dieses Sports sind, sondern er, der, wie man in München sagt, Frohnk Ribberi (bzw. der Ribberi Frohnk). Das ging so gründlich schief, dass die meisten Experten in zwei Jahren bezweifeln werden, dass Ribéry an der WM teilgenommen hat. Die große Wut, das wissen sie beim FC Bayern, wird er kanalisieren. Es darf nach dieser WM als sicher gelten, dass Franck Ribéry, getrieben von Trotz und von Wut, die bisher beste Saison seines Lebens spielen wird.

Eine seltsame Geschichte. Nachdem die Delegation Brasiliens am Sonntag aus dem Flugzeug gestiegen war, sagte Mannschaftsarzt Jose Luiz Runco: "Möglicherweise hätte Kaká unter anderen Voraussetzungen nicht bei der WM gespielt. Aber er wollte unbedingt dabei sein." Ein wenig erinnert die Geschichte an 1998, als Ronaldo beständig fitgespritzt werden musste und im Finale (0:3 gegen Frankreich) eingesetzt wurde, obwohl er am Nachmittag offenbar eine Art Anfall erlitten hatte, mit Zuckungen und Schaum vor dem Mund. Er wollte, so hieß es, unbedingt dabei sein. Es gab Gerüchte, der Ausrüster der Brasilianer habe den Einsatz Ronaldos verlangt, was allseits bestritten wurde. Kaká wirkte bei dieser WM nach verkorkster Saison in Madrid allerdings recht munter. Doch wann immer Brasilien und mit ihm der designierte Superstar scheitert, ist das Ende von Geschichten umwölkt.

So wie es kaum ein Buch über den Sinn des Lebens gibt, in dem nicht die Geschichte von Bertrand Russell und dem Taxifahrer vorkommt (in Terry Eagletons "Der Sinn des Lebens" kommt sie in dem Sinne nicht vor, dass er erzählt, welche Geschichte nicht vorkommt. Ein einfacher, aber immer wieder schöner Trick), so gibt es kaum eine Erzählung über Wayne Rooney, in der nicht die Geschichte von der Prostituierten Charlotte und der Nachricht vorkommt.

Die Bertrand-Russell-Geschichte? Also gut: Der Dichter T.S. Eliot steigt eines Abends in ein Taxi, und der Fahrer erkennt ihn sofort. Wie das komme, fragt Eliot. Der Taxifahrer erzählt, dass er Berühmtheiten immer sofort erkenne, neulich habe er Bertrand Russell gefahren und ihn gefragt, was der Sinn des Lebens sei. "Und wissen Sie was, er konnte es mir nicht beantworten." Die Charlotte-Geschichte soll an dieser Stelle tatsächlich nicht vorkommen (jeder weiß, dass er ihr schrieb: "Für Charlotte, ich vögelte dich am 23.Dezember, alles Liebe, Wayne Rooney"), weil der Sport im Vordergrund steht.

Wayne Rooney ist die "Big Five" Südafrikas in einer Person, stark wie ein Elefant, schlau wie ein Büffel, schnell wie ein Löwe, anmutig wie ein Leopard und ausgestattet mit dem Torriecher eines Nashorns. Nichts davon war im Turnier zu sehen, und wenn sich Wayne Rooney nun wie die anderen Gescheiterten im Angesicht des Ungemachs die große Frage stellt, so ist es erstens tröstlich, dass nicht einmal Bertrand Russell weiß, was der Sinn des Lebens ist, und zweitens erheiternd, dass es bei allem Ernst ums Spiel ganz sicher nicht der Fußball ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.970325
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.07.2010/leja/mikö
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.