WM 2010: Elf des Turniers:Tintenfisch und Tangotänzer

Ein Krake aus Ghana und ein Alchimist aus den Niederlanden, ein zum besten WM-Spieler gekürter Uruguayer und drei Deutsche, die als Entdeckungen dieses Turniers gelten dürfen. Die Elf der WM 2010.

Javier Cáceres und Christian Zaschke

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Über manche Positionen dieser Mannschaft kann man diskutieren, über einige nicht. Dass Forlan, Sneijder, Xavi, Schweinsteiger oder Müller zur Elf des Turniers gehören, steht außer Frage. Das Problem: Für manche Spieler ist einfach kein Platz in der Auswahl; auf der Bank säßen zum Beispiel Özil und Iniesta, was allerdings auch einiges für sich hat: Wenn Xavi entgegen aller Wahrscheinlichkeit mal einen nicht ganz so guten Tag hätte (vielleicht, weil er sich am Vorabend den Magen mit Tintenfisch vollgeschlagen hat), könnte der Trainer gelassen reagieren. Welcher Trainer? Nun, Vicente del Bosque wäre Chefcoach, weil er so eine erfreuliche Erscheinung ist und zudem viel weiß über das Spiel. Bert van Marwijk ist erster Kandidat für den Posten des Assistenten, allein schon, weil er zum strubbeligen Haar immer diese herrlich schlechtsitzenden Anzüge trägt. Die Vorstellung des Kaders übernehmen Javier Cáceres und Christian Zaschke.

Richard Kingson, Ghana

Unmöglich, eine Elf der WM aufzustellen, in der nicht Iker Casillas im Tor steht? Nichts leichter als das. Im Tor, mit der Nummer 22, der große, der wunderbare, der seltsame, der flatterhafte, der Mann mit den goldenen Fäusten, der Strafraumflieger, Linientänzer und Beherrscher der Lüfte, meine Damen und Herren: Im Tor steht Richard Kingson. Zugegeben, es ist eine Wahl, über die man streiten kann, denn nicht ohne Grund ist Kingson in seiner verschlungenen Karriere oft der Ersatz des Ersatzmannes gewesen. Bei dieser WM aber hat er oft hervorragend gehalten, beim Sieg Ghanas gegen die USA im Achtelfinale erwischte er einen ganz großen Tag; der Mond stand fast voll über Rustenburg, und Kingson faustete, schlug und prügelte den Ball aus seinem Strafraum. Wenn die Amerikaner allein auf sein Tor zuliefen, blieb er lange stehen, ruhig wie ein Baum. Wenn sie dann schossen, schien es, als habe Kingson mehr Arme als ein Tintenfisch, klappmesserschnell bewegte er sie durch die Lüfte, unmöglich, dass der Ball ihn passierte. Kingson hat einige gute Spiele gezeigt; das in Rustenburg qualifizierte ihn für diese Elf.

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Maicon, Brasilien

Die Spielweise Maicons hat Sven-Göran Eriksson am besten beschrieben, der schwedische Trainer Nigerias. "Dieser rechte Verteidiger rennt wie ein Zug die Linie rauf und runter", sagte er. Das Zughafte hat Maicon seinen Platz in dieser Auswahl beschert, es war eine knappe Entscheidung. Der Spanier Sergio Ramos hätte mit einigem Recht die Position des Rechtsverteidigers beanspruchen können, doch zum einen wäre es eine Beleidigung der großen Fußball-Nation Brasilien gewesen, sie nicht zu berücksichtigen, zum anderen bedeutet Maicons Spielweise das größere Spektakel. Bis heute rätseln die Experten, ob er sein Tor im ersten Spiel gegen Nordkorea mit Absicht erzielt hat, oder ob ihm eine Flanke missriet: Aus spitzem Winkel hatte er den Ball ins Netz gejagt, und wenn er die Flugbahn des Balles wirklich so berechnet hatte, dann vereint Maicon in sich die Fähigkeiten eines großen Physikers und eines großen Künstlers. Es sei zu seinen Gunsten angenommen, dass es sich genau so verhält. Jose Mourinho, der neue Trainer von Real Madrid, will Maicon bei Inter Mailand abwerben, was Sergio Ramos mit Befremden hören dürfte. Dann müsste er in die Innenverteidigung oder, wie bei dieser Auswahl, auf die Bank.

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Carles Puyol, Spanien

Zu den Haaren des Abwehrchefs dieser Elf ist von allen alles gesagt worden, deshalb soll hier nicht weiter auf diese Mähne eingegangen werden, die von einfallslosen Menschen mit einem Wischmob verglichen worden ist. Wischmob, also bitte. Ein Wischmob ist ein unbelebtes Objekt, schlaff, müd und fad. In Carles Puyols Haaren hingegen steckt Leben, jedes einzelne tut, was es will; es hat ja nicht ernsthaft jemand geglaubt, das wäre der Wind, der die Mähne bisweilen wehen, abstehen oder flachliegen lässt, oder? Die Haare passen sich der jeweiligen Spielsituation an. Wenn Puyol zum Kopfball ansetzt, versammeln sie sich stromlinienförmig hinter dem Kopf, wenn er gerade eine ruhige Phase hat, hängen sie ihm vor den Augen wie ein Vorhang. Er zieht sich dann gewissermaßen ins Private zurück. Manchmal tippen die Haare den Gegenspielern kurz auf die Schulter oder kitzeln sie am Ohr, was natürlich zu Verwirrung führt, zumal die Haare stets so tun, als sei nichts. Carles Puyol trägt, was es selten gibt: eine aufregende Frisur. Er hat, was die Haare angeht, alles, was seinem Partner in der Innenverteidigung dieser Elf fehlt.

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Arne Friedrich, Deutschland

Hat in der Nationalelf jahrelang auf der falschen Position gespielt. Ihm war der Posten des Rechtsverteidigers, was dem Tintenfisch die Wüste ist, doch hatte Arne Friedrich das Pech, dass zu großen Turnieren stets Christoph Metzelder nach mehrjähriger Verletzungspause plötzlich genas und einen Platz in der Innenverteidigung beanspruchte. Diesmal hat Metzelder offenbar vergessen, seine Ansprüche anzumelden, weil er so sehr mit seinem Wechsel zum FC Schalke 04 beschäftigt war. Für die deutsche Nationalelf war das ein Glück, denn Friedrich stand in der Abwehr wie ein Leuchtturm, der den Weg weist in stürmischer Nacht. Oft musste er Per Mertesacker den Weg weisen; dass Friedrich der weitaus stabilere der beiden zentralen Abwehrspieler sein würde, hätte vor dem Turnier kaum jemand gedacht. Nur gegen Spanien zeigte er einige Schwächen, als er sinnlose Dribblings mit Pässen zum Gegner abschloss. Persönlicher Höhepunkt: Wie er gegen Argentinien nach einem Sprint übers ganze Feld ein Tor erzielte. Was die Haare angeht, hat er nichts, wovon sein Partner in der Innenverteidigung dieser Elf nicht viel mehr hätte.

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Jorge Ciro Fucile, Uruguay

Richtig gute Linksverteidiger sind schon länger rar, die WM hat den auf dem Weltmarkt herrschenden Mangel nur eindrucksvoll bestätigt. In Erinnerung bleibt allein Fucile, den selbst uruguayische Fußballfans (das heißt: alle Uruguayer) noch kurz vor der WM für eine Sorte Pasta hielten. Fucile hat einst, in sehr jungen Jahren, beim uruguayischen FC Liverpool angefangen (der weder verwandt noch verschwägert mit dem englischen FC Liverpool ist), und wurde später, als man ihm immer noch Jugend unterstellen konnte, zum FC Porto ins ferne Portugal transferiert. Dort fristete er ein so beschauliches und unauffälliges Dasein, dass man Trainer Oscar Washington Tabárez nur danken kann, sich seiner erinnert und ihn in die Nationalmannschaft berufen zu haben. So wissen nun uruguayische Fußballanhänger und die ganze Welt, dass Fucile, 25, auf die schönen Vornamen Jorge Ciro hört. Zudem hat er genau das im Wortsinne verkörpert, was er nach dem Spiel um den dritten Platz gegen Deutschland im übertragenen Sinne auf die gesamte Mannschaft münzte: "Der Uru (sic!) ist wieder da, wo er hingehört", hatte er gesagt. Der FC Porto bietet Fucile jetzt zum Schnäppchenpreis von sieben Millionen Euro an.

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Bastian Schweinsteiger, Deutschland

Es ist vielleicht ein wenig vermessen, Bastian Schweinsteiger als die Entdeckung der WM zu preisen. Dass er ein exzellenter Fußballer ist, war immer schon klar, aber dennoch: Wie er bei diesem Turnier aufgetreten ist, war rundum überraschend. Er spielte gelassen wie ein Zen-Buddhist, bestimmt wie ein Orchesterdirigent, klug wie ein Philosoph, strategisch wie ein Schach-Großmeister, elegant wie ein Tango-Tänzer und charismatisch wie ein großer Staatsmann. Es war eine Freude ihm dabei zuzusehen, wie er all die kleinen Dinge richtig machte. Selten nur dribbelte er, meist leitete er die Kugel mit einer Berührung weiter. Wenn er sah, dass das Spiel schnell werden musste, machte er es schnell. Wenn er sah, dass das Spiel langsamer werden musste, machte er es langsam. Es war, als hätte Schweinsteiger sich seit Jahren intensiv darauf vorbereitet, die Rolle des Chefs im Mittelfeld zu übernehmen, und als wären diese Vorbereitungen unmittelbar vor WM-Beginn abgeschlossen gewesen. Unvorstellbar, dass die Nationalelf künftig wieder einen anderen zum Chef in der Mitte macht - sie würde sich ihrer neuen größten Stärke berauben.

Paraguay v Spain: 2010 FIFA World Cup - Quarter Finals

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Xavi, Spanien

"¡Maquina!" - "Maschine!", so nennt Spaniens Mittelfeldregisseur Xavi Hernandez, 30, im Gespräch all seine Gegenüber, aus Gründen, die wissenschaftlich noch nicht erforscht worden sind. Im Umfeld des FC Barcelona angesiedelte Linguisten weisen darauf hin, dass der Terminus "maquina" erstmals von Ivan de la Peña verwendet wurde und mit den Jahren zu einer Art Unterscheidungsmerkmal der Absolventen der Barça-Akademie geworden ist, wo sie sogenannte "Rondos" üben, nie enden wollende Ballkreisläufe. Der herausragende Repräsentant der Barça-Schule ist nun schon seit Jahren Xavi, der trotz widriger Umstände zum besten Passspieler der WM wurde. Widrige Umstände? Der Ball, so erklärte er der Zeitung El Pais, laufe nicht besonders gut, er mache seltsame Dinge, "nimmt keinen Effet an, hat kein Fleisch. Ich denke schon die ganze WM: 'Der Pass war gut'. Aber, fiuuu, weg isser. Und Du fragst: 'Was ist los?'" Wobei sich nach diesen Worten natürlich nur der Rest der Welt etwas fragt, nämlich: Wie präzise wären die wunderbaren Pässe von Xavi erst, wenn sie ihm einen richtigen Ball gäben?

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Wesley Sneijder, Holland

Ein früherer niederländischer Internationaler, der um strenge Vertraulichkeit bat, sagte, nach dem Geheimnis von Wesley Sneijder befragt: "Er hat, wie wir so sagen, einen goldenen d***." Das Wort, das er verwandte, stammt aus dem Englischen, es ist ein sehr umgangsprachlicher Ausdruck für das männliche Sexualorgan. Die Bedeutung der Redewendung: Womit auch immer Sneijder die Dinge berührt, sie werden zu Gold. Nach Südafrika reiste er mit drei Titeln, als italienischer Meister, Pokal- und Champions-League-Sieger. Bei der WM wurde ihm ein Tor gutgeschrieben, das er nicht geschossen hatte. Der Brasilianer Felipe Melo schläft nach eigenen Angaben nun schon seit einer Woche nicht mehr, weil er im Viertelfinale einen von Sneijder getretenen Ball ins Tor gelenkt hatte und seither von Selbstzweifeln zerfressen wird. Der Fußballweltverband schrieb den Treffer jedoch Sneijder zu. Vermutlich will auch er seinen Teil beitragen zur großen Legende des goldenen Sneijder, der vor einem Jahr bei Real Madrid noch als "Whiskey Sneijder" veralbert wurde. Was sie bei Real nicht wussten: Es war Sneijder Gold Label.

Germany's Mueller eyes the ball during the 2010 World Cup third place playoff soccer match against Uruguay in Port Elizabeth

Quelle: rtr

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Thomas Müller, Deutschland

Da Thomas Müller erst 20 Jahre alt ist, kann er noch bei mindestens drei weiteren WM-Turnieren mitspielen, und da er bereits bei dieser Auflage fünf Treffer erzielt hat, ist davon auszugehen, dass er den Torrekord des Brasilianers Ronaldo (15 Treffer) eines Tages pulverisiert. In der Berichterstattung in Deutschland ging bisher so ein bisschen unter, dass es schon einmal einen erfolgreichen deutschen Stürmer namens Müller gab, einen gewissen Gerd Müller, und dass dieser Mann ebenfalls mit der Rückennummer 13 auflief und sehr viele Tore schoss. Doch schon mal gehört, diese Müller-Müller-Sache? Ach, rund 480 Mal gehört in den vergangenen Wochen? Erstaunlich. Dann soll über die erstaunliche Parallele fortan geschwiegen werden. Der Berater des aktuellen Müllers hat übrigens gerade kundgetan, sein Klient werde beim FC Bayern München bleiben, was insofern von eher geringem Nachrichtenwert war, als etwas anderes gar nicht zur Debatte stand. Immerhin, jetzt ist's gesagt, und außer beim FC Bayern München hat Thomas Müller auch in der Elf dieses Turniers einen Stammplatz sicher.

WM 2010 - Höhepunkte - Spanien - Portugal

Quelle: dpa

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David Villa, Spanien

Von wegen, die Spanier sind ein stolzes Volk. Die Asturier erst! Sie pflegen - angeblich im Scherz, doch natürlich auch ein wenig im Ernst - auf ihre einzigartige Ursprünglichkeit hinzuweisen, mit dem geflügelten Wort: "Asturien ist Spanien - und der Rest bloß von den Mauren zurückerobertes Land." David Villa, der einer asturischen Bergarbeiterfamilie entstammt, hat sich den Sinnspruch seiner Heimat nicht ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben; auf seinen Schuhen aber prangt, neben den Namen seiner Kinder, seiner Frau, den spanischen Landesfarben und dem Firmenlogo auch die asturische Flagge. Die Schuhe bergen zudem ein kleines Geheimnis: Obschon mit Symbolen überfrachtet, wiegen sie lediglich 163 Gramm. Sie sind damit sogar noch ein bisschen leichter als die von Lionel Messi oder Kaká, die auf das gleiche Modell schwören. "Damit bin ich schneller am Ort des Geschehens", sagt Villa. Bewiesen ist: Villa kam definitiv öfter am Ort des Geschehens vorbei als die beiden Südamerikaner, und ja, schneller war er dabei auch.

Uruguay's Diego Forlan reacts after the final whistle in Port Elizabeth

Quelle: rtr

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Diego Forlan, Uruguay

Diego Forlan war der spektakulärste Spieler dieses Turniers. Seine Läufe übers Feld gemahnten an einen Geparden im Sprint, sein Blick aus blauen Augen verzauberte die Damen, auch einige Männer aus Funk und Fernsehen gerieten in einer Weise ins Schwärmen, die der Ekstase nahe kam. Forlans Vater Pablo war ebenfalls Nationalspieler, und auch sein Großvater war Fußballer. Im Grunde hat jeder in der Familie Fußball gespielt, auch einige Onkel waren Profis. So, wie es Künstlerfamilien, Metzgerfamilien und Tintenfischfischer-Familien gibt, gibt es eben auch Fußballer-Familien. Von 2002 bis 2004 spielte Forlan bei Manchester United. Die letzten Jahre verbrachte er beim FC Villarreal und bei Atletico Madrid; er ist der vielleicht weltbeste Spieler, der nicht bei einem der ganz großen Vereine beschäftigt ist. Und seit Sonntagabend, als er zum besten Spieler der WM gekürt wurde, muss Atlético bangen, ob er in Madrid bleibt.

© sueddeutsche.de
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