WM 2010: Einzelkritik Deutschland:Feine Füße, schwere Last

Ein unheimlicher Abwehrchef, ein lieber Bruder und ein zappeliger Stürmer. Die deutschen Spieler zeigen gegen Ghana ihr Talent und ihre Nervosität. Die Einzelkritik.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

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Beim 1:0-Erfolg gegen Ghana zeigen die deutschen Spieler ihr Talent, aber auch ihre Nervosität. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik.

Manuel Neuer: Deutschlands Ampelkoalition im Tor: Trug im ersten Spiel grün, im zweiten Spiel gelb, diesmal rot. In seinem dritten WM-Spiel durfte er zum ersten Mal maßgebend mitwirken. Gute Szenen, wenn es darum ging, mitzuspielen und den Spielfluss zu starten. Zunächst weniger gute Szenen, wenn es vor seinem Tor eng und unübersichtlich wurde. Dann strahlte er nicht die Ruhe eines Routiniers aus, der er aber auch nicht ist. Mildernder Umstand: Sein routinierter Vordermann Mertesacker trug nicht gerade zur Beruhigung bei. Eher zur Beunruhigung. Rettete direkt nach der Pause gegen Kwadwo Asamoah - das war, auch ohne Routine, ziemlich großartig. Hielt die deutsche Mannschaft damit im Spiel. Danach souverän und sicher - fast wie ein Routinier.

WM 2010 - Ghana - Deutschland

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Philipp Lahm: Nach 20 Minuten wurde es ihm erstmals zu bunt, und zwar fast so bunt wie Neuers Trikot. Preschte über rechts nach vorne, nahm Cacau mit in den Doppelpass, spielte aber zu spät ab - das war, wie Lahm wohl sagen würde, eine falsche Entscheidung. Traf aber auch viele richtige Entscheidungen, gefiel - offensiv wie defensiv - mit den üblichen feinen Füßen. In der 26. Minute machte er sich um Deutschland und seinen geschätzten Bundestrainer verdient, als er geistesgegenwärtig den Ball auf der Linie abwehrte. Sehr, sehr richtige Entscheidung! Rettete in der 65. Minute gegen Ayew die Führung. Der Münchner war auf aller-, aller-, allerhöchstem Niveau verlässlich.

WM 2010: Ghana - Deutschland

Quelle: ag.ddp

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Per Mertesacker: War als heimlicher Abwehrchef vorgesehen, dieser Erwartung ist er bisher nicht gerecht geworden. Hat sich stattdessen zum unheimlichen Abwehrchef entwickelt, wirkte staksig. Schwerfällig. Nervös. Hibbelig. Zittrig. Strahlte Unruhe aus, ungefähr so ansteckend wie bei Christoph Metzelder bei der EM 2008. Damals deckte Mertesacker für ihn mit. Zurzeit braucht er einen, der für ihn mitdeckt.

Germany's Friedrich jumps for a header over a Ghana player during a 2010 World Cup Group D soccer match at Soccer City stadium in Johannesburg

Quelle: rtr

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Arne Friedrich: Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss man wohl eingestehen, dass Arne Friedrich als bessere Notlösung gelten musste, bevor er ins Turnier gestartet ist. Das würde man jetzt jedoch eher über seinen Partner in der Innenverteidigung sagen. Friedrich begann aufmerksam, konzentriert, zweikampfstark - lauter Eigenschaften, durch die sich ein Innenverteidiger (oder ein heimlicher Abwehrchef?) auszeichnen sollte. Wechselt angeblich nach Wolfsburg - guter Transfer, Dieter Hoeneß.

WM 2010: Ghana - Deutschland

Quelle: ag.ddp

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Jerome Boateng: Der liebe Bruder, im Gegensatz zum bösen Bruder. Begann auf der ungewohntesten Position: links hinten, wo er beim Hamburger SV, seinem alten Klub, nur ganz selten spielte und bei Manchester City, seinem neuen Klub, ganz bestimmt nicht spielen wird. Ist aber geschmeidiger und technisch runder als Badstuber, den er ersetzte. Überzeugte gleich mit gewaltiger Einwurfkraft, gutem Zweikampf- und Raumgefühl sowie einem feinen rechten Fuß. Den linken führt er allerdings vor allem der Vollständigkeit halber mit sich. Wie gesagt: Es ist Boatengs ungewohnteste Position.

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Sami Khedira: Wurde nach acht Minuten von Schweinsteiger umgehauen, aus Versehen vermutlich. Hoffentlich. Nahm sich danach seinen WM-typischen Abseitssprint in der Mittelstürmerrolle, dachte und handelte ansonsten aber deutlich defensiver als zuletzt. Bemühte sich, gemeinsam mit Schweinsteiger die Kontrolle über das zerfahrene Spiel zu gewinnen. Gutes Passspiel, kämpfte wie Schweinsteiger. Wichtige Figur, wirkt erfahrener, als ihm eigentlich zusteht. Er sieht nicht aus, als ob er erst sein sechstes Länderspiel bestreiten würde. Heimlicher Mittelfeldchef?

WM 2010 - Ghana - Deutschland

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Bastian Schweinsteiger: Haute nach acht Minuten Khedira um, aus Versehen vermutlich. Hoffentlich. Der kleine Unfall wurde ihm fünf Minuten später sowieso verziehen, als er im eigenen Strafraum wie ein Vorstopper gegen Gyan rettete. Regelte mit Autorität den Verkehr im Mittelfeld, geriet aber gelegentlich in Situationen, in denen seine überschaubare Sprintgeschwindigkeit auffiel. Kämpfte wie ein emotionaler Leader (O-Ton Löw), das heißt: wie Michael Ballack und Torsten Frings zusammen. Sein Aufbauspiel wirkte gelegentlich angestrengt. Wurde später schwer ermüdet ausgewechselt.

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Thomas Müller: Wieder als Rechtsaußen aufgeboten, eigentlich zweckentfremdet. Gemessen an seinen vielseitigen Fähigkeiten hält er zu streng die Position an der Außenlinie - offensichtlich befolgt er aber eine Anweisung seines Trainers. Hatte diesmal aber mehr Spielraum als in der Begegnung mit Serbien und nutzte ihn auch besser. A propos vielseitig: Zeigte erstmals, dass er auch foulen kann. Sah gelb. Gab in der 25. Minute einen wertvollen Pass auf Mesut Özil, der ihm Erwähnung in der Weltpresse eingetragen hätte, wenn - siehe Özil. Spielte in der 60. Minute noch einen schönen Pass, der Özil einen Eintrag in die Weltpresse verschaffte - den Pass zum 1:0. Durfte danach gehen.

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Mesut Özil: Er ist als Schwungrad für das schwer startende deutsche Aufbauspiel unentbehrlich. Ziemlich viel Verantwortung für einen 21-Jährigen, der erst am Beginn seiner internationalen Karriere steht. Ist wichtiger fürs deutsche Spiel, als ihm guttut. An diesem Mittwoch merkte man ihm die Last an, er wirkte häufig gehemmt und unsicher. Seine Begabung blieb nicht verborgen, setzte sich aber nur in losen Momenten durch. Hatte nach 25 Minuten eine exzellente Torchance, doch auch in dieser Szene war ihm anzusehen, dass er nicht frei spielte: Unter allen Varianten des Torschusses wählte er die untauglichste und versuchte, den Torwart zu tunneln. Als man ihn für eine Auswechslung empfehlen wollte, schoss er das 1:0. Wie sagt man so schön: Das Tor tat ihm gut.

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Lukas Podolski: Begann gut, wurde häufig ins Spiel einbezogen, und bekam zum Start auch wieder eine dieser Gelegenheiten für seinen typischen Links-Torschuss - ein lebensmüder Abwehrspieler warf sich jedoch dazwischen. Verlief sich dann aber immer mehr in einem engen Spiel, verlor den Anschluss und fand keinen Weg zurück. Weiter gilt die alte Regel: Tut Deutschland sich schwer, tut sich Podolski auch schwer. Drängte sich auf - für eine Auswechslung.

WM 2010 - Ghana - Deutschland

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Cacau: Ersetzte erwartungsgemäß den gesperrten Klose. Wollte allen beweisen, dass er nicht nur der zappelige, unberechenbare Herumwusler ist, sondern auch die Laufwege eines echten Mittelstürmers kennt. War in der Tat präsent, immer anspielbar und trotzdem zappelig, unberechenbar und herumwuselig. Glänzte mit Doppelpässen und diversen technischen Kostbarkeiten. Spielte, als sei er ein gebürtiger Brasilianer. Allerdings spielte er nicht immer wie ein gebürtiger Mittelstürmer, der zur rechten Zeit am rechten Fleck zu finden ist. Wenn er auf den Flügel oder ins Mittelfeld rochierte, rochierte keiner in das Loch, das er in der Mitte hinterließ. Der Stuttgarter Stürmer verzettelte sich später gelegentlich.

Germany's Trochowski reacts after getting hit on the leg during the 2010 World Cup Group D soccer match against Ghana in Johannesburg

Quelle: rtr

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Piotr Trochowski: Kam für Müller, durfte ein paarmal seine gute Ballbehandlung zeigen.

Marcell Jansen: Der Hamburger bekam wie Piotr Trochowski seinen ersten WM-Einsatz. Aber: Warum kam er für Boateng, nicht für Podolski?

Toni Kroos: Für Schweinsteiger. Noch'n Debüt.

© SZ vom 24.06.2010/dop
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