WM 2010: DFB-Serbien:Warnung vor lahmen Enten

Vor dem zweiten Vorrundenspiel gegen Serbien steckt die DFB-Teamleitung im Zwiespalt: Sie will die Hochstimmung erhalten, muss aber auf Gefahren hinweisen.

Philipp Selldorf

Oliver Bierhoff schwante sofort Böses, als er am Sonntagabend auf dem Weg zum Stadionausgang in Durban mit Fragen bestürmt wurde, die bereits die Antworten enthielten. Die Fragen besagten, dass es noch nie eine so gute Nationalelf gab wie diese; dass das neue deutsche Spielsystem Vorsprung durch Technik und weltweite Marktführerschaft garantiert; und dass entweder Mesut Özil oder Bastian Schweinsteiger oder womöglich doch Lukas Podolski die Superstars des Turniers sein werden, von Philipp Lahm und natürlich Arne Friedrich ganz zu schweigen. Bierhoff leistete nach besten Kräften Widerstand.

WM 2010 - Deutschland Training

Mit breiter Brust: Lukas Podolski (li.) und Mesut Özil proben im Training für das Duell gegen Serbien.

(Foto: dpa)

"Am Ende war es ein bisschen einfach für uns", warf Bierhoff in die Debatte. "Australien ist nicht so aggressiv rangegangen, wie man das erwarten musste", erinnerte er, und trug dann er immer wieder eine Bitte vor: "Wir müssen aufpassen - wir dürfen das nicht so hoch hängen."

Balance halten

Drei Tage später. Im deutschen Quartier ist der Turnieralltag eingekehrt. Die Partie gegen Serbien ist noch 48 Stunden entfernt. Längst hat die Besatzung ihre Art von afrikanischem Lebensrhythmus gefunden, es herrschen Ruhe und Gelassenheit. Die Angst vor Sicherheitsproblemen hat sichtlich nachgelassen; in einer Ecke hinter dem blickdichten Zaun am Hotelgelände dösen die Polizisten wie alte Schäferhunde, die keinen Dieb mehr beißen; auch die Männer vom privaten Wachdienst nehmen es nicht mehr so genau mit den Kontrollen. Über den Hof schlendert der Bundestrainer, grüßend und scherzend. Auch sein Assistent Hansi Flick befindet sich in Plauderlaune.

Die Spieler machen ihre Witzchen mit den Leuten aus dem Betreuerstab und vertreiben sich die Mittagszeit, indem sie sich von Reportern angenehme Fragen stellen lassen. Unangenehme Themen scheint es ja spätestens seit dem 4:0 gegen Australien nicht mehr zu geben im DFB-Team. Dieser Auftritt hat großen Anklang gefunden. Auf einmal muss der Bundestrainer ständig Fragen beantworten, ob die Abwesenheit von Michael Ballack nicht eigentlich ein Segen sei, notorische Kritiker aus aller Welt sind plötzlich Freunde. Selbst der chronisch brummige Italiener Fabio Capello hat die Deutschen gelobt. Das letzte Ärgernis, das Deutschland der Fußballwelt noch beschert, ist der WM-Ball von adidas.

Verlust der inneren Spannung?

Es gibt selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden, dass Joachim Löw und Hansi Flick locker gestimmt und die deutschen Fußballer entspannt und unverkrampft sind. Es passt bloß perfekt in Bierhoffs spontan angefertigte Gefahrenanalyse. Am Tag der Abreise nach Port Elizabeth wiederholte der Teammanager daher seine Warnung vor dem Übermut. "Ich will keine Spaßbremse sein", sagte er, "ich freue mich über die Euphorie zuhause und über das Vertrauen in die Mannschaft, aber wir haben noch nichts erreicht", gab er zu bedenken. Flick hatte bereits tags zuvor ein Schlusswort versucht. "Wir sind jetzt für unser Spiel genug gelobt worden", sagte er.

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Die Stimmung stimmt beim DFB-Team - kann die Löw-Mannschaft auch gegen Serbien so auftrumpfen wie gegen Australien?

(Foto: dpa)

Seit Sonntag haben die Trainer laut Bierhoff keine Gelegenheit ausgelassen, ihre junge und weitgehend unerfahrene Mannschaft zu erziehen, was nicht einfach ist: Einerseits wollten sie die Hochstimmung erhalten, andererseits die Gefahren des Serbien-Spiels vermitteln. "Man darf die positiven Effekte nicht zu sehr runternehmen", erläuterte Bierhoff. Gleichwohl musste Löw ins Bewusstsein rufen, dass eine Niederlage gegen Serbien das letzte Gruppenspiel gegen Ghana in den Rang des K.o.-Spiels befördern könnte.

Erschlaffung unerwünscht

In der Geschichte finden sich viele Vorbilder, die belegen, was der Verlust der inneren Spannung bewirken kann. Franz Beckenbauers infernalischer Wutausbruch über den lahmen Auftritt seiner Elf beim WM-Viertelfinale 1990 gegen Tschechien gehört zu den großen Momenten des deutschen Fußballs - die Begeisterung über das gloriose 2:1 gegen die Niederlande hatte den Spielern den Kopf verdreht. Löw, Flick und Bierhoff kennen die Tücke solcher Mentalitätsprobleme aus eigenem Erleben. Bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren hatte die Nationalelf im ersten Spiel Polen überlegen besiegt, was, wenn man den Schilderungen des Torwarts Jens Lehmanns folgt, zu einer augenblicklichen Erschlaffung im Team führte.

"Bis zum nächsten Spiel trainierten die Stammspieler nicht mehr richtig", berichtet er in seinen kürzlich erschienen Memoiren. Angeblich ließ sich Löw durch den Einfluss der Führungskräfte Michael Ballack und Torsten Frings dazu verleiten, sein geplantes Arbeitsprogramm zu reduzieren. Die beiden Alten hätten "die ganze Gruppe zum Nichtstun verdammt", behauptet Lehmann, der allerdings weder mit Ballack noch mit Frings freundschaftliche Beziehungen unterhält. Wahr ist zweifellos: Auch damals spielte man im zweiten Gruppenspiel gegen einen Gegner, dessen Heimat der Balkan ist. Und gegen die schlauen Kroaten gingen die Deutschen, da hat Lehmann recht, "wie lahme Enten" vor und verloren verdientermaßen 1:2. Prompt musste die DFB-Elf gegen Österreich ins Gruppenendspiel.

Ohne Ballack, Frings oder den Belastungszeugen Lehmann beim Namen zu nennen, hat Flick jetzt darauf verwiesen, dass 2008 "eine andere Mannschaft, eine andere Generation" zugange gewesen sei. Er unterstellt damit, dass die jugendliche Auswahl, die der DFB nach Südafrika geschickt hat, eine straffere Haltung besitzt. Und trotzdem können die Verantwortlichen nur hoffen, dass die Spieler nicht gleich glauben, was ihnen schlaue Leute zugerufen haben. Als Mark van Bommel jetzt erklärte, die Deutschen seien nach ihrem tollen Sieg gegen Australien der Turnierfavorit schlechthin, war das weniger ein ehrliches Kompliment als ein psychologischer Schwindel. Man könnte es auch als Verführung Minderjähriger bezeichnen.

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