WM 2010: Deutschland:Zum Glück verloren

Nach dem 0:1 gegen Serbien verfallen viele deutsche Fans in Panik. Dabei ist eine Niederlage der DFB-Elf in der WM-Vorrunde ein gutes Omen für das Erreichen des Endspiels.

David Bernreuther

Bei der Bewertung von Fußballergebnissen lässt sich der Fan gerne von Emotionen leiten. Wenn etwa die deutsche Nationalmannschaft ihr erstes WM-Spiel mit 4:0 gewinnt, verfällt das ganze Land in einen kollektiven Hurra-Zustand: Deutschland gilt sogleich als Titelfavorit und als letzter Hort des attraktiven Angriffsfußballs. Jungnationalspieler werden mit Weltfußballern und Rekordtorjägern verglichen. Alles ist gut. Dass der Sieg durch einen überforderten Gegner und einen optimalen Spielverlauf (frühe Führung, Platzverweis gegen Australien) sehr erleichtert wurde, bleibt eine Randnotiz.

Germany v Serbia: Group D - 2010 FIFA World Cup

Eine Niederlage in der Vorrunde ist kein Grund zur Panik, sondern ein gutes Omen. Ist das der Grund für die Gelassenheit von Bundestrainer Joachim Löw?

(Foto: getty)

Wenn die deutsche Mannschaft aber ihr zweites WM-Spiel mit 0:1 verliert, dann verfällt Fußball-Deutschland in Panik: Die Mannschaft stehe vor dem Aus, der schöne Fußball sei so weit weg wie der letzte WM-Titel, heißt es dann. Und alle fragen sich: Wie kommt der Bundestrainer bitte auf die Idee, die Krisenstürmer Klose und Podolski aufzustellen? Die frühe gelb-rote Karte, der verschossene Elfmeter und die Moral der Mannschaft in Unterzahl werden zwar als mildernde Umstände bewertet - an eine erfolgreiche WM glauben aber nur noch unverbesserliche Patrioten.

Oder jene, die sich in der deutschen WM-Historie auskennen.

Geschickter Schachzug

Denn manchmal hilft es, seinen Blick auf das große Ganze zu richten, anstatt kurz nach Spielende ein emotional geleitetes Urteil zu fällen. Zum Beispiel nach einer Niederlage der deutschen Mannschaft in der WM-Vorrunde. In der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft ist dieses schlimme, unverzeihliche, bis Freitagmittag völlig undenkbare Missgeschick nämlich bereits vier Mal passiert - und jedes Mal erreichte Deutschland anschließend das Finale.

Die erste Vorrundenniederlage ereignete sich 1954 in der Schweiz, beim 3:8 gegen Ungarn. "Schwerster Schlag für den deutschen Fußball", titelte damals die Bild-Zeitung, die Welt fand die Vorstellung "beschämend". Heute gilt das 3:8 in erster Linie als geschickter Schachzug des Trainers Sepp Herberger. Er bot eine B-Elf auf, täuschte die Ungarn und legte so der Legende nach den Grundstein für den späteren Finalsieg.

"Rückkehr zur gesunden Selbstkritik"

Bei der Heim-WM 1974 verlor die Auswahl der Bundesrepublik Deutschland im dritten Vorrundenspiel 0:1 gegen die DDR. Diese Niederlage hatte gleich zwei positive Folgen: Sie veranlasste die Spieler zur "Rückkehr zur gesunden Selbstkritik", wie Paul Breitner später sagte. Zudem ebnete sie der DFB-Elf den Weg ins Finale, denn die Mannschaft kam als Vorrundenzweiter in die einfachere Zwischenrunden-Gruppe mit Jugoslawien, Schweden und Polen - anschließend wurde sie Weltmeister. Die DDR traf als Gruppensieger in der Zwischenrunde auf Brasilien, Holland und Argentinien - und schied aus.

1982 startete Deutschland mit einem 1:2 gegen Algerien ins Turnier. Es folgten ein 4:1 über Chile und das als "Schande von Gijón" bekannte 1:0 gegen Österreich. Bis zum Finale verlor Deutschland kein Spiel mehr, dort unterlag sie allerdings Italien. Vier Jahre später bei der WM in Mexiko leistete sich die deutsche Mannschaft eine Niederlage gegen Dänemark. Hinterher fühlten sich die Dänen ausgetrickst, weil sie als Gruppenerster im Achtelfinale gegen Spanien antreten mussten und verloren. Deutschland kam dagegen bis ins Finale (2:3 gegen Argentinien).

Drei Siege sind ein schlechtes Omen

Der Serbe Milan Jovanovic hat Deutschland also einen Gefallen getan, als er den Ball am Freitag in der 38. Spielminute ins Tor beförderte. Nach dem 0:1 gegen Serbien hat Deutschland die Finalteilnahme so gut wie sicher - zumindest aus historischer Sicht. Vielleicht ist das der Grund für die gute Laune und die Gelassenheit von Joachim Löw vor dem Gruppenfinale gegen Ghana am Mittwoch.

Aus eigener Erfahrung weiß der Bundestrainer nämlich auch: Drei Siege in der WM-Vorrunde sind kein gutes Omen für Deutschland. Nur zwei Mal, 1970 und 2006, kam die DFB-Elf ohne Punktverlust durch die Vorrunde. Beide Male schied sie anschließend im Halbfinale aus, jeweils gegen Italien nach Verlängerung. Aus historischer Sicht und unter Missachtung aller Emotionen muss man deshalb sagen: Zum Glück hat Deutschland am Freitag verloren!

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