WM 2010: Deutschland verliert:Dämpfer für die Deutschen

Der Tag, an dem alles schiefläuft: Klose sieht Gelb-Rot, Khedira trifft nur die Latte und Podolski verschießt einen Elfmeter. Das 0:1 gegen Serbien versetzt den deutschen Ambitionen einen Dämpfer - und setzt die Löw-Elf nun unter Druck.

Johannes Aumüller

Bundestrainer Joachim Löw hatte in den Tagen vor diesem zweiten Gruppenspiel gegen Serbien mit einem etwas ungewöhnlichen Problem zu kämpfen. Nach diesem guten, ja vielleicht zu guten, Auftakt gegen Australien (4:0) konnte er noch so sehr versuchen, die Euphorie zu bremsen und auf den Klassenunterschied zwischen Australien und Serbien hinzuweisen: Die Erwartungen in Deutschland schossen in die Höhe, das Land erfasste bereits wieder eine Renaissance der Schwarz-rot-geil-Stimmung, und die Zahl der Fans, die an den Titel glaubten, verdoppelte sich binnen zweier Tage.

90 Minuten später konnte Löw zwar behaupten, seine Warnungen zu Recht ausgesprochen zu haben. Doch das nutzte ihm nicht viel, denn das intensive und spannende Spiel übertraf selbst seine Befürchtungen. Nach einer gelb-roten Karte für Miroslav Klose (37.) und einem Treffer von Milan Jovanovic (38.) verloren die Deutschen mit 0:1, und statt der verfrühten Achtelfinal-Qualifikation steht der Löw-Elf nun ein Gruppenendspiel gegen Ghana bevor (Mittwoch, 20.30 Uhr, im Liveticker bei sueddeutsche.de) - und damit eine Drucksituation, die für die junge deutsche Mannschaft nicht einfach ist.

"Wir haben in der ersten Halbzeit schon Schwierigkeiten gehabt, ins Spiel zu finden. In der zweiten Halbzeit hat die Mannschaft alles gegeben", sagte Löw nach dem Spiel. "Trotz Unterzahl haben wir es geschafft, Chancen herauszuspielen und eine gute Moral bewiesen."

Fünf Mal Gelb nach 30 Minuten

Dabei konnten die Zuschauer in den ersten Minuten gegen Serbien die Hoffnung haben, dass dieses Spiel ähnlich verlaufen würde wie das vor fünf Tagen gegen Australien. Die erste kleinere Torgelegenheit gehörte wieder dem Gegner, die erste deutsche Chance durch Thomas Müller entstand wieder nach einem Zusammenspiel über die rechte Seite, und den ersten deutschen Torschuss hatte wieder Lukas Podolski nach etwa acht Minuten.

Doch anders als gegen Australien flog der Vollspannversuch des Kölners knapp neben das Tor, und in der Folge konnten die Zuschauer nur schwerlich der Meinung sein, dieses Spiel vor kurzem schon einmal gesehen zu haben. Diesmal gab es keine den Gegner um Längen überragende deutsche Mannschaft zu sehen, sondern das Duell zweier mehr oder minder gleichwertiger Teams. Das lag allerdings nicht daran, dass die Mannschaft von Joachim Löw weniger engagiert zu Werke ging. Es lag schlichtweg daran, dass sie sich nun einer ganz anderen fußballerischen Qualität gegenübersah.

Unter den gegnerischen Defensivspielern war eben niemand, der wie Australiens Craig Moore in der Kategorie Verein als "vereinslos" geführt wird, sondern dafür der eine oder andere, der in einem europäischen Spitzenklub als Stammkraft wirkt. Und unter den Offensivspielern waren ein paar Akteure wie Moskaus Milos Krasic, Lüttichs Jovanovic oder Inters Dejan Stankovic, die in der Lage waren, die deutschen Abwehrakteure auch mal auszuspielen. Dazu zeigten die Serben genau die (über)harte Gangart, welche die deutsche Teamleitung bereits befürchtet hatte. Bereits nach einer guten halben Stunde hatte der spanische Schiedsrichter Alberto Undiano fünf Mal Gelb gezeigt - für die laufende WM ein Rekordwert.

War Gelb-Rot berechtigt?

Jedoch: Drei dieser fünf Verwarnungen sahen auch deutsche Spieler. Als wollten diese neuen Deutschen, die mit ihrem Angriffswirbel gegen Australien die Welt geschockt hatten, zeigen, dass sie nicht nur spielen, kombinieren und zaubern können. Sondern dass sie auch noch die alten deutschen Tugenden können. Khedira, Schweinsteiger & Co. erschraken nicht ob der physischen Stärke der Serben, sondern hielten dagegen, kämpften und grätschten - und weil sie parallel dazu ihre spielerische Klasse zumindest bisweilen zeigen konnten, durften sie die erste halbe Stunde unter "leicht überlegen" verbuchen.

Doch ein deutscher Spieler übertrieb es mit dem Dagegenhalten, Kämpfen und Grätschen - und zwar ein Spieler, von dem man das nicht unbedingt erwartet hatte. Nach 37 Minuten legte der bereits verwarnte Miroslav Klose im Mittelfeld seinen Gegenspieler Dejan Stankovic und sah die gelb-rote Karte. Es gibt Schiedsrichter, die es in diesem Moment bei einer letzten Ermahnung belassen hätten, doch Klose muss sich auch fragen lassen, warum er in diesem Moment hinlangte. "Die Schiedsrichter ziehen hier ganz schnell die gelben Karten, bei früheren WM-Turnieren war das anders", sagte ZDF-Experte Oliver Kahn in der Halbzeitpause.

Podolskis Chancen-Triple

Das Schlimme für die DFB-Elf war: Noch ehe sie sich Gedanken machen konnte, wie sie auf diese Unterzahlsituation nun reagieren solle, kassierte sie den ersten Gegentreffer des Turniers. Serbiens rechter offensiver Mittelfeldspieler Krasic überlief zum wiederholten Male Badstuber, Nikola Zigic übersprang Philipp Lahm, und Torwart Manuel Neuer kam gegen den völlig freistehenden Jovanovic etwas zu zögerlich aus seinem Tor. Es war kein Torwartfehler, der zitierte ZDF-Experte aber hätte zu aktiven Zeiten Jovanovic wahrscheinlich umgerissen.

Wer allerdings geglaubt hatte, dieser Rückstand würde die junge deutsche Mannschaft schocken, sah sich getäuscht. Noch vor der Pause hatte sie genügend Gelegenheiten zum 1:1. Zuerst verpasste Sami Khedira eine Vorlage von Mesut Özil nur knapp, dann setzte er einen 14-Meter-Kracher an die Latte, und der wieder unermüdlich rackernde Thomas Müller versuchte sich an einem sehenswerten Fallrückzieher. Spätestens jetzt war das alte Deutschland wieder da.

Verblüffenderweise wechselte Löw in der Halbzeit nicht. Cacau blieb ebenso auf der Bank wie Gomez und Kießling. Der Bundestrainer beorderte zwar Özil ein Stück weiter nach vorne, spielte aber fortan ohne echten Angreifer und setzte stattdessen auf eine breite Front an Mittelfeldspielern, die wechselweise in die Spitze vorstoßen sollten. Vielleicht hatte sich Löw an das Champions-League-Spiel des FC Bayern gegen Olympique Lyon erinnert, als die Bayern nach Ribérys Hinausstellung kurzzeitig stürmerlos spielten - und nach einem Tor von Arjen Robben mit 1:0 gewannen.

Badstuber wirkt überfordert

Es war erstaunlich, wie die deutsche Mannschaft in Unterzahl die Initiative übernahm und das Spiel dominierte. Doch anders als Louis van Gaal hat Löw keinen Robben in der Mannschaft - sondern nur einen Lukas Podolski. Der Kölner verzog erst nach einem feinen Diagonalpass von Mesut Özil (57.), traf keine zwei Minuten später nur das Außennetz und vergab wiederum keine zwei Minuten später vom Elfmeterpunkt aus, nachdem Nemanja Vidic den Ball im Strafraum mit der Hand berührt hatte. "Ich bin eigentlich ein sicherer Schütze. Das muss ich auf meine Kappe nehmen. Diese Niederlage ist natürlich ganz bitter. Wir hätten einen großen Schritt Richtung Achtelfinale machen können", sagte Podolski.

Die Serben wurden nur noch gefährlich, wenn Krasic mal wieder zu einem seiner Soli gegen den bisweilen überfordert wirkenden Badstuber ansetzte. So resultierten auch aus Vorbereitungen des 25-Jährigen die besten serbischen Chancen des zweiten Durchgangs: ein Pfostenschuss von Jovanovic (66.) und ein Kopfball von Zigic, der die Oberkante der Latte streifte (74.).

Erst in den letzten 20 Minuten reagierte Löw personell. Erst brachte er Cacau und Marin für Özil und Müller (Podolski durfte überraschenderweise weiterspielen), später noch Gomez für Badstuber, womit Löw in der Defensive auf eine Dreierkette umstellte. Doch die Einwechslungen bewirkten nur wenig, die Zahl der Tormöglichkeiten nahm eher ab denn zu. Podolski bekam noch seine vierte Chance des Tages, doch das war's dann auch. Nun wartet auf die Löw-Elf also das Endspiel gegen Ghana. Zu viel Euphorie dürfte in Deutschland niemand mehr haben.

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