WM 2010: Deutschland - Argentinien:Date mit Diego

Mit Argentinien erwartet die Deutschen im Viertelfinale ein altbekannter Gegner mit großartigen Einzelspielern - und einem außergewöhnlichen Trainer. Von einer taktischen Entscheidung Maradonas könnte die DFB-Elf profitieren.

Jonas Beckenkamp

"Was ich über das Viertelfinale gegen Deutschland denke? Schreib doch, was du willst - ich gebe dir freie Hand." Diego Maradona war nach dem 3:1 seiner Argentinier gegen Mexiko voll in seinem Element. "Lass mich erst mal diesen Moment genießen, ab morgen denke ich dann an Deutschland," sagte der Trainer der Albiceleste auf der Pressekonferenz zu einem Journalisten, der ihn nach den Aussichten für das Treffen mit dem alten europäischen Bekannten gefragt hatte. Die Angespanntheit des "Pibe de Oro" (Goldjunge) war gewichen, er schien glücklicher denn je und das passte ins Bild. Maradona ist bisher der Strahlemann dieser WM, seine ganze Erscheinung ist eine einzige Schau und die Leistung seines Teams steht dem großartigen Auftritt des besten Fußballers aller Zeiten in nichts nach.

An eine solche Symbiose aus Maradonas beinahe magischer Aura und der schier überbordenden Motivation seiner Klassespieler hatten wohl auch die unmelancholischsten Argentinier nicht geglaubt. "Nach der Kabinenansprache fühlst du dich, wie wenn du ein Messer zwischen den Zähnen hast," erklärte Mittelfeldspieler Ángel Di María im Laufe der Vorrunde und legte damit die wohl größte Stärke der Gauchos offen: Sie zerreißen sich für den größten Helden ihres Landes, der sie trainiert.

Spürbar ist diese besondere Beziehung in jeder Sekunde dieser WM, mit jedem Schmatzer, den Maradona an seine Spieler vor den Matches verteilt und mit jeder Regung des kleinen, dicken Diego auf dem Spielfeld. Maradona, so scheint es, verfügt über mehr Trainerqualitäten, als ihm viele zugetraut hätten. Er führt diese Mannschaft wie ein väterlicher Strippenzieher, er liebt sie abgöttisch - und sie vertraut ihm.

Emotion statt Taktik

Nun kommt es, ob Maradona daran denken will oder nicht, zu einem erneuten Duell mit den Deutschen und die Erinnerung eines jeden halbwegs Fußballinteressierten sprudelt vor legendären Begegnungen in der Historie deutsch-argentinischer Duelle. Stellvertretend für die immer wiederkehrende Rivalität mit der Albiceleste werden viele deutsche Fans an die WM 2006 denken, als die DFB-Elf ebenfalls im Viertelfinale eine bärenstarke argentinische Auswahl niederrang. Erst ein spätes Tor von Miroslav Klose hatte die deutsche Mannschaft damals in die Verlängerung gerettet, das anschließende Elfmeterschießen wurde auch deshalb zur Legende, weil Torhüter Jens Lehmann dank eines kleinen Zettels mit den Schussvorlieben der Argentinier zweimal in die richtige Ecke sprang. Als wäre das nicht genug Drama, entfachte sich nach Spielende auch noch eine wilde Keilerei auf dem Feld, infolge derer Torsten Frings eine Sperre fürs Halbfinale aufgebrummt bekam.

Doch die aktuelle Elf Argentiniens ist noch besser als die von 2006: Sie ist talentierter, fixierter und gerissener. Überaus souverän manövrierte sie sich durch die Vorrunde. Mit Siegen gegen Nigeria (1:0), Südkorea (4:1) und Griechenland (2:0) demonstrierten die Argentinier, dass mit ihnen zu rechnen ist bei dieser WM - und das, obwohl Lionel Messi, ihr Begabtester, außer mit ein paar Vorlagen noch nicht einmal mit von ihm gewohnten Großtaten glänzte. Während der kleine Dribbelfloh beim FC Barcelona stets über rechts zu seinen gefürchteten Solos loslegt, besetzt er im Nationalteam systembedingt die Position hinter den Spitzen. Ob das seinen Qualitäten entgegenkommt, sei dahingestellt, doch was die Offensive betrifft, fehlt es den Südamerikanern ohnehin nicht an Klasse.

Hinten verwundbar

Auf die deutsche Defensive kommt wohl mehr Arbeit zu, als es gegen den seltsam wirkungslosen Wayne Rooney und seine Engländer der Fall war. Mit Messi dürfte es die deutsche Mittelfeldzentrale um Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira zu tun bekommen, die Innenverteidigung um Arne Friedrich und Per Mertesacker wird die schwierige Aufgabe haben, den Wuchtstürmer Carlos Tévez (zwei WM-Tore) und den Knipser Gonzalo Higuaín (vier Tore) in Zaum zu halten.

WM 2010 - Argentinien - Mexiko

Die großen Umarmer: Argentiniens Spieler und ihr Trainer Maradona bejubeln den Viertelfinaleinzug.

(Foto: dpa)

Dafür scheint trotz aller Genialität der Gauchos ihre Defensive verwundbar: Torhüter Sergio Romero offenbarte gegen Mexiko ein paar Unsicherheiten, Außenverteidiger Gabriel Heinze ist nicht mehr der bissige Giftzwerg früherer Tage, und dann wäre da ja noch Abwehrmann Martin Demichelis, allen bestens bekannt als Bayern-Verteidiger mit Tendenz zum Toreverschulden. Im Vorrundenspiel gegen Südkorea lieferte er bereits einen eindrucksvollen Beweis dafür.

Höhepunkt der WM

Gegen die Mexikaner wirkte Maradonas Mannschaft in den ersten 25 Minuten fahrig und fern von der Form der Vorrunde, erst ein irreguläres Abseitstor von Tévez brachte etwas mehr Ruhe in ihr Spiel - auch das dürfte den Deutschen Hoffnung geben. Das Viertelfinale Deutschland gegen Argentinien könnte der vorläufige Höhepunkt dieser WM werden. Spielerisch erreichten bisher weder die hochgelobten Spanier noch die Brasilianer das Niveau beider Teams und auch taktisch kann dieser Klassiker durchaus als Sahnestückchen durchgehen.

Bisher schien das deutsche Team von Bundestrainer Joachim Löw hervorragend eingestellt. Gegen die Frische, Finesse und den Vorwärtsdrang der DFB-Elf dürfte zur Gretchenfrage werden, ob Trainerneuling Diego Maradona bei aller emotionalen Hingabe dazu in der Lage ist, einen taktischen Gegenentwurf aus dem Hut zu zaubern. Er täte gut daran, sich bald darüber Gedanken zu machen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: