WM 2010: Deutsches Team:Lust- und Fruststürmer

Der blendend aufgelegte Cacau soll gegen Ghana den gesperrten Miroslav Klose ersetzen. Mario Gomez und Stefan Kießling hingegen warten ernüchtert, immerhin bekommen sie jetzt wichtige Kondolenzbesuche.

Christof Kneer

Es wäre eine spannende Aufgabe, in Flugzeugen, die zurzeit zwischen Frankfurt am Main und Johannesburg verkehren, eine kleine Erhebung über den jeweiligen Zweck der Reise in Auftrag zu gegeben. Gewiss wären Fußballfans dabei, die Deutschland im Vorrunden-Endspiel gegen Ghana ihre Stimme leihen wollen, auch Geschäftsleute und Urlauber wären mühelos zu ermitteln. Erstaunlich wäre aber wohl der hohe Anteil jener, die in beratender Mission unterwegs sind.

Am Himmel herrscht ein hohes Berateraufkommen zurzeit. Ali Bulut, der Vertreter von Stefan Kießling, ist am Montagabend in den Flieger nach Südafrika geklettert, Oliver Mintzlaff, Geschäftsführer von Mario Gomez' Beraterfirma, ist schon dort angekommen. Es gehört zu den Dienstleistungen einer professionellen Agentur, ihren Profis auch am anderen Ende der Welt nah zu sein. Im aktuellen Fall sind aus den lange geplanten Terminen aber fast schon Kondolenzbesuche geworden - Stefan Kießling und Mario Gomez haben Beistand zurzeit dringend nötig.

Es dürfte die Laune der beiden Angreifer nicht verbessern, wenn sie zurzeit einen dritten Angreifer durchs DFB-Quartier strahlen sehen. Cacau, 29, sieht nicht so aus, als habe er erhöhten Trostbedarf. Er hat sich am Montag sogar die Frage gefallen lassen müssen, ob er denn auch mal schlechte Laune habe. Ja, sagte Cacau, selbstverständlich blendend gelaunt, nach Niederlagen habe er schon schlechte Laune, aber nicht sehr lange. Er hat dann, blendend gelaunt im Übrigen, berichtet, dass er noch keine Hinweise auf einen möglichen Einsatz gegen Ghana erhalten habe, aber wer im deutschen Lager ein wenig herumfragt, dem begegnen kaum mehr Zweifel.

Wie ein WM-Tourist

Cacau wird wohl die Rolle des gesperrten Miroslav Klose übernehmen - jene zentrale Mittelstürmerrolle, von der es vor kurzem noch hieß, Cacau könne sie wegen seiner wuseligen und herumtreiberischen Art gar nicht spielen. Aber der deutsche Fußball ist seinem eingebürgerten Brasilianer inzwischen ja sehr entgegengekommen: "Wir spielen Fußball, wie er in Deutschland lange nicht gespielt wurde", sagt Cacau, "wir halten den Ball am Boden und brauchen nicht unbedingt den kopfballstarken Zentrumsstürmer." So einen wie Mario Gomez. Oder wie Stefan Kießling.

Die Geschichte von Cacau ist auch die Geschichte von Gomez und Kießling, nur umgekehrt. Gomez und Kießling müsste man zurzeit eher die Frage stellen, ob sie denn auch mal gute Laune haben. Was Körperbau und Spielweise anbelangt, wären sie die natürlichen Anwärter auf den Klose-Platz, aber die letzten Bilder, die man von beiden im Kopf hat, sehen nicht so aus, als könnte Deutschland von ihnen die Rettung gegen Ghana erwarten.

Das Bild von Gomez zeigt einen Spieler, der nach seiner Einwechslung hochmotiviert und voller Eifer aufs Feld rennt, der sich aber vor lauter Motivation und Eifer selbst im Weg steht. Das Bild von Kießling zeigt einen Profi, der nach dem Spiel mit Brille und Akkreditierung um den Hals durch die Mixed Zone schlendert, als sei er ein vom Verband eingeladener WM-Tourist. Stefan Kießling fühlt sich im Übrigen auch so.

Entweder kommt Klose - oder Deutschland ist raus

"Ein bisschen komisch" käme die Situation seinem Klienten schon vor, sagt Kießlings Berater Ali Bulut. Er kennt ja die Stimmung in der Heimat, er hört die Stimmen, die nach dem Liga-Torschützenkönig fragen. Er kann denen auch nichts anderes antworten, als dass er nicht weiß, warum Kießling beim DFB bislang kaum vorkommt.

Auch Kießling selbst, ziemlich ernüchtert, weiß es nicht. Im Trainingslager in Südtirol war er durch ein paar unglückliche Torabschlüsse aufgefallen, was Bundestrainer Löw zur Ansicht brachte, der Spieler habe nach einer langen Saison etwas an Schwung und Spannung verloren. Ohnehin zählt Kießling nicht zu Löws bevorzugten Spielertypen, er ist ihm zu schlaksig und zu wenig Kombinationsspieler.

In Löws Treuepunkte-Tabelle rangiert er außerdem deutlich hinter dem verdienteren Gomez, dessen Seelenlage sich derzeit aber ungefähr auf Kießling-Niveau befindet. Er hat vor dem Serbien-Spiel mal in der A-Mannschaft trainiert, und es hat sein Selbstbewusstsein nicht gesteigert, dass er sich nach einer Nacht voller Hoffnung doch wieder auf der Bank wiederfand.

Rätselhaft pomadig

Gomez hat ein merkwürdiges Jahr hinter sich, er hat beim FC Bayern einen Trainer, der ihm im Begrüßungsgespräch als erstes mitteilte, dass er ihn niemals verpflichtet hätte. Aber Gomez hat die Phase hinter sich, in der van Gaals Bild beim Torschuss vor ihm auftauchte. "Überragend trainiert" habe Gomez, sagte Löw zu Beginn des Südafrika-Aufenthalts - aber wer Gomez gegen Serbien sah, erkannte denselben Profi wie in München, wo seine Spielweise auf rätselhafte Weise pomadisierte.

Beide Fruststürmer, Kießling wie Gomez, müssen jetzt abwarten, wie sich der Luststürmer Cacau gegen Ghana anstellt. Gomez hofft insgeheim noch auf die Startformation, aber eigentlich wissen beide, dass sie sicherheitshalber nur auf eine Einwechslung hoffen sollten. Und nach dem Ghana-Spiel kommt dann entweder Miroslav Klose zurück, oder Deutschland ist ausgeschieden.

Wobei: Letzteres kann ja eigentlich nicht passieren. Sonst müsste sogar Cacau schlechte Laune bekommen, und das kann niemand wollen.

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