WM 2010: Deutsche Mannschaft:Später Sieg für Klinsmann

Ein Praxistest vor dem Auftaktspiel gegen Australien: Welche Mannschaft ist besser? Die deutsche Startelf der WM 2006 oder der junge WM-Kader 2010? Ein Vergleich auf allen Positionen.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

17 Bilder

WM 2010

Quelle: dpa

1 / 17

An der Fußball-WM 2010 nimmt eine deutsche Mannschaft teil, die im Schnitt noch jünger ist als die berühmte Sommermärchenkombo von 2006. Es handelt sich genau genommen um den jüngsten Kader seit der WM in jenem Jahr, in dem Gerhard Mayer-Vorfelder ein Jahr alt wurde (1934). Um die Perspektiven von Joachim Löws junger Elf zu ermitteln, vergleicht die SZ die Startformationen der WM-Teams 2006 und 2010.

Während 2006 das Motto "Wir knallen die durch die Wand" lautete, heißt der Plan 2010: "Wir spielen sie an die Wand." Daraus ergibt sich, Position für Position, die Bewertung der SZ. Liegt Jürgen Klinsmanns 2006er-Elf vorn, lautet das Urteil: "durchgeknallt". Bei Vorteil für Löws 2010er-Elf heißt es: "ausgespielt".

Alle Texte: Christof Kneer und Philipp Selldorf

WM 2010 - Deutschland Training

Quelle: dpa

2 / 17

Tor

Jens Lehmann (2006) gegen Manuel Neuer (2010, im Bild)

Welcher dieser beiden Torhüter ist von sich überzeugt, "dass ich einer der komplettesten und konstantesten Torhüter sein werde, die es je gegeben haben wird?" Kleiner Tipp: Manuel Neuer ist es nicht. Selbstredend stammt diese wunderschöne FuturI-FuturII-Konstruktion von Jens Lehmann, sie steht in seinen Memoiren. Immerhin akzeptiert Lehmann, der sonst vor allem Lehmann akzeptiert, Neuer als Schüler seiner überlegenen Lehre. Ihre offensive Spielidee ist nahezu identisch, ebenso ihr Weg ins WM-Tor. Während Lehmann den ewigen Rivalen Oliver Kahn, einen Vertreter der unterlegenen Lehre, ausstach, setzte sich Neuer gegen Tim Wiese durch, einen Vertreter der Kahn-Lehre. Während Lehmann sich 2006 auf der Höhe seines (überlegenen) Könnens befand, hat Neuer die Höhe seines Könnens noch vor sich.

SZ-Urteil: durchgeknallt

WM 2010 - Deutschland Training

Quelle: dpa

3 / 17

Rechtsverteidiger

Arne Friedrich (2006, rechts) gegen Philipp Lahm (2010, links)

Arne Friedrich hat im Trainingslager in Südtirol gesagt, er sei kein Philipp Lahm. Stimmt.

SZ-Urteil: ausgespielt

WM 2010 - Deutschland Training

Quelle: dpa

4 / 17

Innenverteidiger, rechts

Per Mertesacker (2006) gegen Per Mertesacker (2010)

Von Hannover zu Werder Bremen war es nach der WM 2006 nur ein kleiner Schritt, seitdem muss er sich gegen den Vorwurf wehren, stehen geblieben zu sein. Entlastend ist anzuführen, dass er damals schon sehr gut war. Aber besser geworden? Joachim Löw hat neulich Schweinsteiger und Lahm für ihre Fortschritte seit der vergangenen WM belobigt. Über Mertesacker hat er nichts gesagt. Immerhin haben ihn vier Jahre Dienst in Bremen, wo Abwehrarbeit für überschätzt gehalten wird, abgehärtet. Er wird aber wohl nicht mehr der kompletteste und konstanteste Verteidiger, den es je gegeben haben wird. Dennoch, dank Zugewinn an Routine:

SZ-Urteil: ausgespielt

FBL-WC2010-GER-TRAINING

Quelle: afp

5 / 17

Innenverteidigung, links

Christoph Metzelder (2006) gegen Arne Friedrich (2010, im Bild)

Hätte Arne Friedrich im Trainingslager in Südtirol über 2006 gesprochen, hätte er gesagt, dass er kein Christoph Metzelder ist. Auch das hätte gestimmt. Metzelder war 2006 auf der Höhe seines (überlegenen) Könnens, was für Friedrich 2010 aber auch gilt. Allerdings ist dessen Höhe nicht ganz so hoch. Immerhin spielt er jetzt nicht mehr Außenverteidiger, sondern da, wo er wirklich seine Stärken hat: innen. Hält sich bisher sehr solide auf der ungewohnten halblinken Seite, wo ihm laut eigener Aussage die Spieleröffnung etwas schwerer fällt. Wobei: So richtig leicht fiel sie ihm halbrechts auch nicht.

SZ-Urteil: durchgeknallt

-

Quelle: afp

6 / 17

Linksverteidiger

Philipp Lahm (2006) gegen Holger Badstuber (2010, im Bild)

Auch Badstuber ist kein Philipp Lahm, was aber keine Schande ist. Tut Lahm sogar einen Gefallen, indem er sich freundlicherweise für jene Position zur Verfügung stellt, auf der Lahm 2006 im Eröffnungsspiel das weltberühmte Eröffnungstor schoss. SZ-Prognose: Das wird Badstuber gegen Australien nicht gelingen. Ist kopfballstärker als Lahm, schießt bessere Ecken und Freistöße, ist noch jünger. Hat dadurch noch mehr Zukunft vor sich, am liebsten aber auf seiner Stammposition in der linken Innenverteidigung (Achtung, Arne!). Links außen ist er nur die Aushilfe.

SZ-Urteil: durchgeknallt

Bastian Schweinsteiger

Quelle: ap

7 / 17

Mittelfeld defensiv

Torsten Frings (2006) gegen Bastian Schweinsteiger (2010, im Bild)

Wäre Torsten Frings im Trainingslager in Südtirol (wo er zugegebenermaßen nicht war) nach 2006 gefragt worden, hätte er sagen müssen, dass er kein Torsten Frings mehr ist. Der Frings von 2006 war eine furchterregend frisierte Autorität, die gemeinsam mit dem adrett frisierten Nachbarn Michael Ballack das Zentrum im Griff hatte. Der Frings von 2010 ist eine furchterregend frisierte Ex-Autorität, deren Qualitäten statt im Futur II eher im Plusquamperfekt zu beschreiben sind. Der Schweinsteiger von 2010 ist ein Neuling auf dieser Position, aber an seiner Autorität arbeitet er mit gutem Erfolg. Und über Laufwege und Verschiebeverhalten weiß er sowieso alles, denn beim FC Bayern hat er in Louis van Gaal einen der komplettesten und konstantesten Trainer, die es je gegeben haben wird. Den Frings von 2010 schlägt Schweinsteiger um Längen, aber den von 2006? Diese Frage lässt sich noch nicht beantworten, das SZ-Urteil wird daher unter Vorbehalt gefällt und ist nicht rechtskräftig.

SZ-Urteil: ausgespielt

Sami Khedira, Lukas Podolski

Quelle: ap

8 / 17

Mittelfeld defensiv

Tim Borowski (2006) gegen Sami Khedira (2010, im Bild)

Tim Borowski ersetzte im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica den verletzten Michael Ballack, im Gegensatz zu Sami Khedira, der den verletzten Michael Ballack während des gesamten Turniers ersetzen muss. Der Borowski von 2010 ist kein Gegner für Khedira, der Borowski von 2006 schon eher, aber Khediras Maßstab ist ohnehin Michael Ballack, dessen Spielweise seiner tatsächlich ähnelt. Er ist breitschultrig, kopfballstark und mit einem klaren Passspiel ausgestattet, und er hat "ein Gespür für Symmetrie", wie einer seiner größten Fans, ein gewisser Joachim Löw, meint. Über Ballack hat er das noch nie gemeint. Trotzdem kann der Khedira von 2010 das Duell gegen den Ballack von 2006 nicht gewinnen, obwohl er beim VfB Stuttgart spielt, einem Klub, dessen größter Fan ein gewisser Joachim Löw ist. Allerdings teilt Khedira mit Ballack auch eine gewisse Begabung für Verletzungen aller Art. Und wer ersetzt Khedira, wenn er im Turnier ausfällt? Schwierig. Den Borowski von 2006 gibt's nicht mehr, und der von 2010 steht sicherheitshalber gar nicht im Kader. Trotz der Symmetrie:

SZ-Urteil: durchgeknallt

98892772

Quelle: afp

9 / 17

Rechtes Mittelfeld

Bernd Schneider (2006) gegen Piotr Trochowski (2010, im Bild)

Man tut Trochowski nicht unrecht, wenn man Schneider für unvergleichlich hält. "Wenn man sieht, was bei Oliver Neuville und bei Bernd Schneider immer auf dem Zimmer los war und was für Leistungen sie danach gebracht haben, dann müsste man Weizenbier mit Cola und Marlboro ganz nach oben auf die Ernährungsliste für Sportler setzen", sagte kürzlich bei Schneiders Abschiedsspiel der Insider Reiner Calmund, dessen Völlereien man auf der Ernährungsliste für Sportler ebenfalls ganz nach oben setzen sollte. Piotr Trochowski lebt vorbildlich, aber es hilft alles nichts. Er ist chancenlos gegen den heiligen Schnix, der das offizielle Fifa-Gütesiegel "Weißer Brasilianer" führt. Trochowski ist nur ein weißer Mitteleuropäer.

SZ-Urteil: durchgeknallt

DFB-Trainingslager in Südtirol - Deutschland

Quelle: dpa

10 / 17

Hängende Spitze

Lukas Podolski (2006, rechts) gegen Mesut Özil (2010, links)

Özils Position gab's im 2006er-Team nicht, der Vollblutstürmer Klinsmann hält nichts von hängenden Spitzen. Und er hatte auch keinen Spieler wie Özil, für den Löw die Position als Nummer 9,5 eigens erschaffen hat. Man darf behaupten, dass Özil das Spiel der deutschen Nationalmannschaft verändert hat, nicht nur, weil er niemals Weizenbier mit Cola trinkt. Er wird weniger torgefährlich sein als der kraftstrotzende Podolski 2006, der - als Höflichkeitsadresse an die deutschen Gastgeber - von einer absolut neutralen, komplett unbestechlichen Jury nach dem Turnier zum besten WM-Nachwuchsspieler gewählt wurde - vor Messi und Ronaldo. Sollte Özil 2010 diesen Titel holen, dann wäre er wirklich der beste gewesen. Wegen des Potentials:

SZ-Urteil: ausgespielt

Training Nationalmannschaft in Frankfurt

Quelle: dpa

11 / 17

Linkes Mittelfeld

Bastian Schweinsteiger (2006, links) gegen Lukas Podolski (2010, rechts)

Keiner hat das damals verstanden, aber eigentlich hat Schweinsteiger schon 2006 dafür geworben, endlich in der Zentrale spielen zu dürfen. Er spielte damals sehr anständig am Flügel, aber eben nicht so gut, dass ihn eine absolut neutrale, komplett unbestechliche Jury zum besten Nachwuchsspieler des Turniers gewählt hätte. Der damalige, natürlich hochverdiente Sieger, ein gewisser Podolski, spielt inzwischen mit viel Zug zum Tor auf jener Position, die Schweinsteiger endlich räumen durfte. Podolski hat eine Saison hinter sich, in der nicht mal wohlgesonnene Jurys einen Preis für ihn erfinden könnten, aber Löw meint, das Podolski "jetzt explodiert". Und Franz Beckenbauer, eine weitere absolut neutrale, komplett unbestechliche Instanz, sieht in Podolski "einen möglichen Star der WM 2010". Okay, Franz, weil Du's bist:

SZ-Urteil: ausgespielt

WM 2010: Training deutsche Nationalmannschaft

Quelle: ag.ddp

12 / 17

Mittelstürmer

Miroslav Klose (2006) gegen Miroslav Klose (2010)

2006 wurde Deutschland von einem sehr präsenten, sehr torgefährlichen Angreifer angeführt, um den sich die europäischen Topklubs stritten. 2010 wird Deutschland von einem sehr unsichtbaren, sehr ungefährlichen Stürmer angeführt, der kürzlich mit dem 1. FC Kaiserslautern in Verbindung gebracht wurde. Befindet sich derzeit auf der Tiefe seines Könnens, gilt schon jetzt als einer der rätselhaftesten Mittelstürmer, die es je gegeben haben wird. Wird vielleicht wieder WM-Torschützenkönig, Löw zumindest glaubt daran.

SZ-Urteil: durchgeknallt

-

Quelle: afp

13 / 17

Ersatzbank

2006 befanden sich zwei Geheimwaffen in Klinsmanns Köcher, Oliver Neuville und David Odonkor. Ansonsten wirkte der Kader, als sei er bereits fürs Spiel um Platz drei konzipiert, in dem einige verdiente, aber nicht wesentliche Kräfte (Nowotny, Hanke, Huth, etc.) noch etwas Auslauf erhielten. 2010 dagegen: Cacau! Marin! Müller! Kroos! Gomez! Jansen! Diesmal prägt die Bank den Charakter des Kaders, die Elf ist geradezu darauf angelegt, von der Bank verstärkt zu werden. Erst dribbelt der Mitteleuropäer Trochowski den Gegner müde, dann kommt der Oberbayer Müller (oben, im Gespräch mit Marin). Oder umgekehrt.

Eindeutiges SZ-Urteil: ausgespielt

Umfrage: Weniger zentrale Public-Viewing-Veranstaltungen zur WM

Quelle: ag.ddp

14 / 17

Stimmung

Damals herrschte im Land ein "positiver Patriotismus" (Oliver Bierhoff), diesmal herrschen die Vuvuzelas. Der Heimvorteil definierte den Fußball der 2006er-Elf, die von der ersten Sekunde an über den Gegner herfiel, um Publikum und Land gleich mitzureißen. Die 2010er-Elf hat es schwerer: Sie muss schon selber gewinnen.

SZ-Urteil: durchgeknallt

Deutschland - Brasilien

Quelle: ag.dpa

15 / 17

Trainer

Jürgen Klinsmann (2006, links) gegen Joachim Löw (2010, rechts)

Bei der WM 2006 hatte Jürgen Klinsmann den Vorteil, dass er einen exzellenten Fachmann an seiner Seite hatte, der absolut akribisch trainierte und absolut akribisch analysierte. Bei der WM 2010 ist der exzellente Fachmann selbst Bundestrainer, und er hat den Vorteil, dass er bei einer Auswärts-WM keinen Klinsmann braucht.

SZ-Urteil: ausgespielt

MAYER VORFELDER ZWANZIGER

Quelle: ag.ap

16 / 17

Präsident

Gerhard Mayer-Vorfelder (2006, links) gegen Theo Zwanziger (2010, links)

Gerhard Mayer-Vorfelder war im DFB-Quartier ein gern gesehener Gast. Ob das auch für Theo Zwanziger gilt, dessen Politik Löw und seinen Stab in die Flucht schlagen könnte? Hm.

SZ-Urteil: durchgeknallt

WM 2010 - Deutschland Training

Quelle: dpa

17 / 17

Fazit

Das System Klinsmann liegt theoretisch 8:7 vorn. Aber keine Sorge: Als Außenseiter fühlt sich Joachim Löws Mannschaft immer am wohlsten.

© SZ vom 12.06.2010
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: