WM 2010: Deutsche Abwehr:Das Paar in der Mitte

Bundestrainer Joachim Löw musste lange überlegen, ehe er Arne Friedrich den Platz neben Per Mertesacker in der Innenverteidigung anvertraute. Michael Ballack könnte die Entscheidung beeinflusst haben.

Philipp Selldorf

Einen Tag nach der Ankunft im Hotel ist Per Mertesacker beim Nachdenken über die afrikanische Umgebung noch nicht sehr weit gekommen. "Es ist alles sehr neu", sagt der Verteidiger. Sein Vergleich mit der Kanareninsel Fuerteventura ("auch eine Mondlandschaft") war gut gemeint, blieb aber ein Annäherungsversuch, der sein Ziel verfehlte. Tatsächlich ist es auch nicht einfach für die deutschen Nationalspieler, sich einen Reim auf den Ort zu machen, an dem sie in den nächsten Wochen zuhause sein werden. Er entzieht sich ihren gewohnten Maßstäben.

WM 2010 - Deutschland Pressekonferenz

Die zwei von der Zentralstelle: Per Mertesacker (links) und Arne Friedrich haben den Kampf um die Stammplätze offenbar gewonnen.

(Foto: dpa)

Betrachtet man das Gute am Hotel Velmore Grande, dann hebt man dessen beschauliche Lage im Grasland hervor, die einen Eindruck von der Schönheit der afrikanischen Savanne gibt. Betont man die prosaischen Aspekte, dann fällt der Blick auf die bucklige, viel befahrene Landstraße vor der Tür - von DFB-Angehörigen als "Todespiste" gekennzeichnet - und auf den Schrottplatz gleich nebenan mit einer Ansammlung toter Lastwagen und einer pittoresken Kollektion ausrangierter Altkleidercontainer.

Warnung vor Räubern und Entführern

Viel los ist nicht drum herum, die nächste Einkaufsgelegenheit ist das Käsegeschäft auf einer benachbarten Farm und ein Zwiebelverkaufsstand am Pistenrand. Die Großstädte Johannesburg und Pretoria sind zwar nah, aber gedanklich weit weg, und die Wege dorthin sind durchaus gefährlich. Amtliche Schilder warnen vor "Hijacker Hotspots" - Straßenpassagen, die von Räubern und Entführern bevorzugt frequentiert werden. Der Bundestrainer braucht sich nicht zu sorgen, dass seine Leute heimlich zu Vergnügungstouren aufbrechen.

Angeblich stört das alles aber niemanden, selbst der verhinderte Handybetrieb hat noch keine Klagen hervorgerufen. In dieser letzten Woche vor dem Turnierstart ist die Mannschaft ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, ihrer Premierenbesetzung den finalen Schliff zu geben. "Das ist jetzt die absolute Abstimmphase, eine sehr intensive Zeit. Da ist jeder Tag wichtig, um sich gegenseitig besser kennen zu lernen", sagt Mertesacker, der zwar erst 25 Jahre alt ist, mittlerweile aber sein drittes Turnier als Stammkraft angeht.

Zum ersten Mal wird er dabei nicht an der Seite von Christoph Metzelder stehen. Metzelder, bei der WM 2006 die ideale Ergänzung zum langen Mertesacker, bei der EM 2008 allerdings ein destruktiver Faktor in der Hintermannschaft, nahm bereits im vorigen Winter von seinen WM-Ambitionen Abstand; aber die Nation hatte längst vorher darüber gerätselt, wer eigentlich den zweiten tragenden Defensivposten erhalten sollte.

Ballacks letzter Dienst

Die Umfragewerte für den Kandidaten Arne Friedrich, 31, lagen dabei hinter der Kommagrenze, im Winter, das sagt er selbst, "war die WM für mich ganz weit weg". Als Kapitän und Hauptverteidiger hatte er erhebliche Verdienste um den Niedergang von Hertha BSC erworben. Jetzt ist die WM für Friedrich greifbar nah, am Sonntag beim Treffen mit Australien in Durban wird er Aufstellung neben Mertesacker beziehen. Wenn nichts Gravierendes geschieht, dann werden die Beiden bis zum Schluss das Paar in der Mitte bilden, auf diesen Positionen, sagt der Bundestrainer, "wechselt man nicht so gern".

Joachim Löw hat lange überlegen müssen, bis er Friedrich ausgewählt hat. Es gab höher favorisierte Gegenkandidaten wie Heiko Westermann oder Serdar Tasci, und noch im Frühjahr hatte Löw ernsthaft die Reaktivierung des schrankartigen Stoppers Robert Huth ins Spiel gebracht. Huth - eine Erfindung von hartnäckiger Haltbarkeit aus der Ära Jürgen Klinsmann - fand dann aber keine Erwähnung mehr, und möglicherweise ist das einem der letzten Dienste zu verdanken, die Michael Ballack der Nationalelf hat erweisen können. Mit dem FC Chelsea hatte Ballack Huth und dessen Team, Stoke City, in der Premier League mit 7:0 zertrümmert - just an jenem Sonntag, als Löw und seine Assistenten bei ihm in London vorbeischauten.

Mit Ballack verbindet Friedrich aber noch weitere positive Effekte: Mehr oder weniger offen spricht der Verteidiger aus, dass durch die Abwesenheit des großen Mittelfeldchefs andere Spieler besser zur Geltung kommen könnten, vorsichtshalber zieht er als Zeugen dieser These Jens Lehmann heran, der die deutsche WM-Equipe durch das Fehlen von Autoritäten definiert. "Er hat gesagt, unserer Mannschaft fehlt die Struktur. Das kann jedoch eine Chance sein", meint Friedrich. Für ihn gilt das auf jeden Fall: Jenes Maß an Erfahrung, das durch Ballacks Ausfall fehlt, soll nun Friedrich in die Mannschaft bringen.

Abwehr ohne Chef

Seine Kommandos werden moderat bleiben, Arne Friedrich verfügt über Erfahrung, aber nicht über die Manieren des klassischen Haudegens. Er passt in die demokratische Gesellschaft, die dieses Team darstellt. Es gibt keinen Mittelfeldboss mehr, der von oben nach unten seine Kommandos durchreicht, und den traditionellen Abwehrchef hat die Nationalmannschaft schon längst nicht mehr.

Arne Friedrich, der zwar schon 72 Länderspiele aufweist, aber erstmals in seiner DFB-Karriere zum Stammspieler im Deckungszentrum ernannt wurde, muss also nicht als Juniorpartner seines etablierten Nebenmanns anfangen. "Es gibt keinen Takt- und Tongeber, wenn man professionell eine Viererkette betreiben will. Es ist wichtig, dass beide sagen, was Sache ist", meint Per Mertesacker und versichert, er liege mit seinem Partner "auf einer kommunikativen Wellenlänge". Dieser Funkverkehr funktioniert auch im afrikanischen Grasland einwandfrei.

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