Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Dänemark - Kamerun:Zähmung der Löwen

Kamerun scheidet nach einem 1:2 gegen Dänemark vorzeitig aus dem Turnier aus. Nach teaminternen Querelen zeigen sich die "unzähmbaren Löwen" zwar verbessert, doch gegen eiskalte Dänen vergeben die Afrikaner zu viele Chancen.

Jonas Beckenkamp

Wenn vor einer entscheidenden Partie bei einer Mannschaft die Rede von "Selbstzerfleischung" ist, bedeutet das in der Regel nichts Gutes. Im Vorfeld des zweiten Gruppenspiels gegen Dänemark hatte es bei den "unzähmbaren Löwen", so der Kampfname der Auswahl Kameruns, so ausgesehen, als würde sich das Löwenrudel wieder einmal in Eigenregie die Butter vom Brot nehmen. Stürmer Samuel Eto'o, der stolzeste aller Kameruner, und Mittelfeldmann Achille Emana moserten gegen Coach Paul Le Guen. Eto'o beschwerte sich, weil er als Nationalheld beim 0:1 gegen Japan auf dem Flügel ran musste - Emana, weil nach seinem Geschmack zu viele Junglöwen der Sorte Eric-Maxim Choupo-Moting (1. FC Nürnberg) und Joel Matip (FC Schalke 04) gespielt hatten - während er selbst zum Banklöwen degradiert worden war.

Das bittere 1:2 der Westafrikaner gegen nicht unbedingt umzähmbare Dänen dürfte die Diskussionen bei Eto'o & Co. zu einem mittleren Erdbeben ausbauen, denn vom anvisierten Achtelfinale ist Kamerun jetzt genauso weit entfernt wie eine Löwenherde von einer Kiwidiät - die Löwen sind nach zwei Niederlagen bei dieser WM bereits ausgeschieden. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass nach den teaminternen Debatten ausgerechnet Eto'o der Schütze des einzigen Tores war, während Dänemark mit Trainer Morten Olsen nach den Treffern von Nicklas Bendtner und Dennis Rommedahl nun wieder vom Achtelfinale träumen darf.

Eto'o trifft zum 1:0

Olsen hatte tief in die Trickkiste gegriffen. "Ich werde den Kamerunern doch nichts verraten", erklärte der frühere Kölner auf die Frage, ob Kapitän Jon Dahl Tomasson nach seiner Verletzung erstmals bei dieser WM stürmen würde. Beim letzten Training von "Danish Dynamite" ließ Olsen dann sogar Sturmhoffnung Bendtner im Hotel - um gegen Kamerun doch beide von Beginn an als stürmende Sprengmeister ins Spiel zu schicken. Kameruns Trainer Le Guen schien dagegen auf Versöhnungskurs: Im Mittelfeld setzte er neben Jugendstil-Kritiker Emana anstatt des 19-jährigen Matip auf den immerhin 22-jährigen Alexandre Song von Arsenal London, während Kapitän Eto'o als Mittelstürmer auflaufen durfte.

Mit einem ersten, zaghaften Torschuss in der fünften Minute verdeutlichte Eto'o dann auch gleich seine Ambitionen, sein Team durch einen engagierten Auftritt wieder zu vereinen. Dass auch die Dänen Lust auf Wiedergutmachung für ihre 0:2-Auftaktpleite gegen Holland hatten, zeigte ein gefährlicher Schuss von Dennis Rommedahl nach Pass von Tomasson nur wenige Minuten später. Just als sich eine ausgeglichene Anfangsphase anzudeuten schien, spielte der dänische Mittelfeldhaudegen Christian Poulsen einen wohl kaum ernstgemeinten Pass in Richtung Kollege Lars Jacobson, den Pierre Achille Webo vom RCD Mallorca locker abfing und direkt zu Eto'o querschob. Der Inter-Stürmer zog dermaßen unbedrängt von der Strafraumkante ab, dass man meinen konnte, die Dänen wollten gegen Kameruns Streithähne den spendablen Schlichter spielen.

Nach einer 20-minütigen Leerlaufphase, in der besonders die Dänen ziemlich fahrig wirkten, zirkelte dann Dänemarks strohblonder Abwehrmann Simon Kjaer einen langen Ball in den Lauf von Rommedahl, der ziemlich zielstrebig die rechte Seite hinuntergespurtet war. Seine flache Hereingabe landete genau auf dem Fuß von Nicklas Bendtner, der per Stechschritt zum 1:1 eindrückte.

Sollte Le Guens Mannschaft nach der schnellen Versöhnung erneut auseinanderfallen? Als nur noch zwei Minuten in der ersten Halbzeit zu spielen waren, überschlugen sich die Ereignisse: Erst scheiterte Dänemarks pfeilschneller Außenflitzer Rommedahl alleine vor Kameruns Keeper Souleymano Hamidou, dann traf der aufgedrehte Eto'o im direkten Gegenzug freistehend den Pfosten des dänischen Gehäuses - und weil die Abwehr des Olsen-Teams wieder zu schlafen schien, schnappte sich Emana den ins Mittelfeld geklärten Ball und stieß einfach mitten durch die dänische Defensive hindurch - seinen unplatzierten Schlenzer hätte Dänen-Torwart Thomas Sörensen aber auch gehalten, wenn er zuvor vor Kälte erstarrt worden wäre.

Überragender Rommedahl

Das Spiel verlor auch nach Wiederanpfiff nichts von seinem Unterhaltungswert. Wer bisher ein munteres, chancenreiches Spiel bei dieser WM vermisst hatte, bekam hier Balsam für die frustrierte Schönspielerseele. Die Tatsache, dass schon ein Remis für beide Teams die Chancen auf das Achtelfinale arg minimieren würde, führte zu einem temporeichen Schlagabtausch. In der 47. Minute zischte ein Kopfball von Abwehrmann Mbia hauchdünn am dänischen Tor vorbei, dann präsentierte der eingewechselte Bremer Daniel Jensen im Strafraum gegen Kameruns Außenverteidiger Ekotto, dass er den Fußfeger von hinten vorzüglich beherrscht, der Elfmeterpfiff blieb aber aus.

Nächster Höhepunkt in der 61. Minute: Wieder wackelte der überragende Rommedahl über rechts mit geschickter Körpertäuschung an seinem Gegenspieler Makoun vorbei und drehte das Leder mit einem gefühlvollen Schlenzer um den kamerunischen Torhüter herum zum 2:1 für die Dänen ins Tor. An Versöhnung war bei den geschockten Kamerunern zu diesem Zeitpunkt kaum mehr zu denken, eher noch an Schadensbegrenzung. Dabei hatten sie bis dahin viel besser gespielt als beim uninspirierten Kick gegen Japan.

Besonders Emana schien sich seine Kritik selbst zu Herzen genommen zu haben und trieb sein Team immer wieder mit energischen Sprints an. Einer davon endete in der 71. Minute beim erneut gut reagierenden Sörensen, der gerade noch seine Hand gegen den Schuss des durchgebrochenen Kameruners auf den Boden brachte. Die Dänen waren von diesem Moment an nur noch darauf bedacht, das 2:1 über die Zeit zu bringen und stürzten sich in die wütenden Angriffe der Westafrikaner, als ginge es gegen einen Deichbruch an der Skagerrak-Küste. Vereinte Kräfte und das Unvermögen der Kameruner, ihre vielen Chancen in Zählbares umzumünzen, brachten die Dänen letztlich mit einem knappen Sieg ins Ziel. Aus den "unzähmbaren Löwen" sind nach nur zwei Spielen bei dieser WM ganz brave Kätzchen geworden - zumindest dürfte sich somit das Problem der Selbstzerfleischung erledigt haben.

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