WM 2010: Chile - Schweiz:Der Schiedsrichter vom Strand

Nach einer umstrittenen roten Karte verlieren zehn Schweizer 0:1 gegen Chile - ihr Trainer Ottmar Hitzfeld richtet in Sachen Schiedsrichter deutliche Worte an die Fifa.

Ottmar Hitzfeld, 61, hat schon viel erlebt, er war bei unzähligen bedeutenden Spielen, und wenn es kalt war, trug er stets einen der Temperatur angepassten Mantel, so einen, in dem man elegant aussieht. In Südafrika ist Hitzfeld gerade bei seiner ersten Weltmeisterschaft, er hat natürlich mehrere Mäntel dabei; am Montagnachmittag, es war sehr windig, trug er zum Spiel seiner Schweizer gegen Chile einen beigen Trenchcoat, aber es war nicht alles wie immer. Ottmar Hitzfeld stand da an der Seitenlinie und schimpfte und gestikulierte und schrie, und hätte er den Trenchcoat nicht getragen, hätte man ernsthaft hinterfragen können, ob der Grauhaarige da wirklich Ottmar Hitzfeld war.

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Der eigentlich so ruhige Ottmar Hitzfeld geriet ob der Schiedsrichterleistung im Spiel seiner Schweizer gegen Chile in Rage.

(Foto: afp)

Aber Ottmar Hitzfeld ist eben ein korrekter Mensch, wie Mathematiklehrer so sind, und jetzt, in der 32. Minute, witterte er eine Ungerechtigkeit, eine himmelschreiende. Der Mittelfeldspieler Valon Behrami hatte die rote Karte gesehen, als erster Schweizer der WM-Geschichte, und das hing natürlich direkt damit zusammen, dass die Schweizer ihr zweites Gruppenspiel 0:1 (0:0) verloren.

Valon Behrami, 25, läuft in der englischen Premier League für West Ham United auf, und man kann nicht sagen, dass er dort als harter Spieler aufgefallen wäre: In 50 Einsätzen hat er vier gelbe Karten erhalten, keine gelb-rote, keine rote. Dass er bei der WM nun als Rotsünder auffiel, lag weniger an ihm als vielmehr an den theatralischen Befähigungen des Leverkuseners Arturo Vidal sowie an den locker in der Brusttasche des saudi-arabischen Schiedsrichters Khalil Al-Ghamdi sitzenden Kärtchen.

Eine halbe Stunde lang war wenig passiert in dieser Partie, als Behrami an der Seitenlinie den Ball führte, der Chilene Jean Beausejour kam hinzu, Behrami lief in energischem Stil, ruderte mit den Armen, und Beausejour gab leicht touchiert auf. Dann kam Vidal, und als Behramis rechter Arm aus der Bewegung heraus irgendwie Vidal berührte, schlug Vidal die Hände vors Gesicht und fiel. Der Schiedsrichter pfiff, Behrami blickte ungläubig, dann musste er gehen. Sein Laufstil war zu energisch, weshalb der Pfiff zu Recht ertönte. Aber - Rot?

"Ärgerlich" sei das gewesen, stellte Hitzfeld später fest, "ich habe da keine Regelwidrigkeit erkennen können." Er hatte als taktische Reaktion noch während der ersten Halbzeit Alexander Frei durch den Leverkusener Tranquillo Barnetta ersetzt - Freis Aufstellung war ja ohnehin überraschend gewesen.

Die Chilenen dominierten das Spiel

Die Chilenen dominierten das Spiel, und die Schweizer konzentrierten sich auf das, was sie am besten können: verteidigen. Nach 49 Minuten jubelten die Chilenen, sie hatten einen Treffer erzielt - allerdings aus Abseitsposition, was das Schiedsrichtergespann erkannt hatte. Die Statistiker hatten zu dem Zeitpunkt elf zu drei Torschüsse für Chile gezählt.

Aber die Schweizer haben nicht nur Ottmar Hitzfeld, sondern auch Diego Benaglio, der zwar im Dienst nie Trenchcoats trägt, dafür aber Torwarthandschuhe, die manchmal auf eigenartige Weise mit dem Ball verbunden zu sein scheinen. In der 55. Minute lief der Chilene Alexis Sanchez nach einem üblen Fehler von Stephane Grichting alleine auf Benaglio zu, der warf sich Sanchez entgegen, und irgendwie wehrte er den Ball ab. Grichting schüttelte Benaglio danach, er schüttelte all seine Erleichterung aus sich heraus. Und doch gibt es Momente, in denen beide nichts tun können, weder Hitzfeld, noch Benaglio.

In der 75. Minute hebelten die Chilenen die gesamte Schweizer Abwehr mit einem Pass aus, Benaglio versuchte, Esteban Paredes den Weg zu verstellen, weshalb in seinem Rücken dann aber Mark Gonzalez frei stand; Paredes flankte, und Gonzalez drückte den Ball mit der Stirn über die Linie. Damit ging eine Serie mit einem Rekord zu Ende: Die Schweizer hatten 559 WM-Minuten ohne Gegentor absolviert, neun Minuten mehr als der bisherige Rekordhalter Italien zwischen 1986 und 1990.

Doch was nützt das? Bunjaku legte in der 90. Minute per Hacke auf Derdiyok ab, doch der verfehlte das Tor, und die Schweizer verloren. Sie brauchen nun wohl einen Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Honduras, um das Achtelfinale zu erreichen, weshalb Ottmar Hitzfeld schon mal eine Botschaft an die Fifa hinterließ: "Bei einer WM sollten die besten Schiedsrichter der Welt pfeifen, die in den großen Ligen tätig sind", sagte er, "und nicht irgendwo am Strand."

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