WM 2010: Brasilien - Elfenbeinküste:Mit dem Arm Gottes

Ein Handtor, viele fiese Tritte und fast eine Massenschlägerei: In einem am Ende unheimlich brutalen Spiel siegt Brasilien 3:1 gegen die Elfenbeinküste und qualifiziert sich fürs Achtelfinale. Doch ein wichtiger Spieler sieht Gelb-Rot.

Ein klarer 3:1 (1:0)-Sieg für Brasilien über die Elfenbeinküste, der die Seleção ihre Turnierform finden ließ und bereits ins Achtelfinale bringt, ging gestern Abend in der Johannesburger Soccer City vollständig unter im mächtigen Schatten des Monsieur Stephane Lannoy. Der französische Schiedsrichter brachte die Partie mit einer unfassbaren Vielzahl an Fehlentscheidungen an den Rand einer Massenschlägerei und des Abbruchs. Erst gab er einen bizarren Treffer Luis Fabianos, bei dem Brasiliens Doppeltorschütze den Ball zweimal mit der Hand führte. Dann ließ er reihenweise rotwürdige Fouls der Ivorer ungeahndet durchgehen, und am Ende schickte er Brasiliens Spielmacher Kaká vom Platz, der einem Schauspiel Keitas zum Opfer gefallen war.

Explosionsgefahr hatte schon Stunden vor dieser aufgeladenen Partie geherrscht. Plötzlich stand eine Rauchsäule in Stadionnähe, und eine schwere Explosion verstörte die Menschen rund um Soccer City. Die Behörden beeilten sich, den Knall als "kontrollierte Explosion" durch eine Sprengstoff-Firma zu Testzwecken zu erklären. Warum die Öffentlichkeit über eine Detonation, deren Schockwelle bis ins Fernsehzentrum am Stadion reichte, nicht vorab informiert worden war, blieb offen.

Schwere Erschütterungen hatten auch Brasiliens Team heimgesucht nach dem dürftigen 2:1-Auftakt gegen Nordkorea. Im Epizentrum stand Kaká, der sein Formtief von Real Madrid nahtlos in die Seleção hinüber transportiert hatte und gegen die Elfenbeinküste schon auf Bewährung spielte. Vor der Partie hatte alles um die Fragen gekreist, wer ihn ersetzen könnte, falls er nicht in Form kommen sollte - zumal darunter ja auch Trainer Dungas Ein-Mann-Sturm litt: Luis Fabiano hatte in Ermangelung brauchbarer Zuspiele aus Kakás Offensivzentrale seit November nicht mehr getroffen.

So uninspiriert wie gegen Nordkorea

50 Sekunden waren gespielt, als sich Robinho mit einem Gewaltschuss als neuer Impulsgeber der Seleção empfahl. Eine Art provisorische Kaká-Nachfolge hatte er schon gegen Nordkorea angetreten, wo er nach der Pause als Spielgestalter in Erscheinung getreten und die Partie zum Besseren gewendet hatte. Gegen die Elfenbeinküste begannen die Brasilianer ähnlich uninspiriert wie beim Auftakt. Da hatte Dunga "zu langsames Passspiel" bemängelt, wirklich erreicht hat die Kritik seine Auswahl nicht. Abgesehen vom leichtfüßigen Robinho, dem letzten Vertreter des unter Dunga erloschenen Jogo-bonito- oder Schönspieler-Geblüts, erinnerte eigentlich nichts daran, dass hier die Führungsnation der Fußballwelt zugange war.

Aber womöglich war all das der Politik des konsequenten Understatements geschuldet, das die Seleção seit Dungas Stabsübernahme 2006 pflegt. Nach 24 Minuten war es just der schwächelnde Kaká - der bis dahin erneut keinen Fuß aufs WM-Gelände gebracht hatte - der an der Strafraumgrenze mit höchster Finesse den Ball für Luis Fabiano durchsteckte, ideal in den Lauf, ein humorloser Gewaltschuss unters ivorische Tordach - schon führte der Favorit mit 1:0.

Der Leitwolf kann's also noch: Das löste die Blockade in den Köpfen, nun wirkten die Brasilianer befreit. Und weil auch bei den Afrikanern die Fesseln abfielen, wurde das Match etwas offener. Allerdings nicht offen genug aus Sicht der Elfenbeinküste, um ihren Hoffnungsträger Didier Drogba wirkungsvoll in Szene setzen zu können. Er wirkte gehemmt, schon in den 15 Minuten gegen Portugal hatte der Torjäger den erst vor 16 Tagen gebrochenen Ellbogen mit (gut nachvollziehbarer) Vorsicht durchs Spiel getragen.

Vor dieser Partie war die Armmanschette erneut Gegenstand intensiver schiedsrichterlicher Untersuchungen, bevor es grünes Licht gab. Drogbas Einsatz war insofern eher als Ermunterung für seine Spielkameraden gedacht. Das hatte Brasiliens Kapitän Lucio schnell durchschaut: Nach 14 Minuten setzte er Drogba beim ersten direkten Zweikampf so hart zu, dass Schiedsrichter Lanno eine Ermahnung aussprach. Eine physische Attacke, die auf die Psyche des Angreifers gemünzt war - und Früchte trug. Von Drogba war lange nichts zu sehen.

Ein heillos überforderter Schiedsrichter

Im Gegensatz zu Luis Fabiano auf der Gegenseite. Bei dem war der Knoten geplatzt, und mit Händen und Füßen erkämpfte er sich kurz nach der Pause den Treffer zum 2:0. Aus der Luft ließ er den Ball über Hand und Arm nach unten tropfen, lupfte das Spielgerät - eins, zwo, drei - über drei staunende Gegenspieler hinweg, nahm es dann aus der Luft erneut mit dem Oberarm in Empfang und drosch den Ball an Barry vorbei ins Tor - das 2:0 (50.), so wunderschön wie irregulär.

Für Gesprächsstoff könnte noch die Szene Minuten später sorgen. Da lief Schiedrichter Lannoy am Torschützen Luis Fabiano vorbei und deutete auf just jene Oberarm-Partie, mit welcher der Brasilianer sich den Ball vorgelegt hatte - grinsend, fast augenzwinkernd. Die nächste Schiedsrichter-Debatte bei dieser WM dürfte damit gesichert sein.

Nach 54 Minuten ein Lebenszeichen von Drogba. Er köpfte knapp am Tor vorbei, nachdem ihn Lucio und Maicon, sechs Meter vorm brasilianischen Tor, irgendwie aus den Augen verloren hatten. Man konnte es aber auch als Signal neuen, überbordenden Selbstbewusstseins werten. Die Seleção hatte jetzt alles im Griff, selbst Kaká hätte ums Haar ins Tor getroffen (62.). Dafür legte er zwei Minuten später das 3:0 von Elano auf.

Gelb-Rot für Kaká

Eine armselige, ganz und gar schlimme Vorstellung der Ivorer folgte, die sich unter den Augen des heillos überforderten Schiedsrichters Tritt um Tritt in eine Knüpplertruppe verwandelten. Erst beförderte Tiote den Torschützen Elano mit ausgestrecktem Fuß in den Krankenstand (64.), dann betätigte sich Keita gegen Bastos (75.) im Stil eines professionellen Knochenbrechers - in diesem Fall verhütete der Schienbeinschützer schlimmeres.

Referee Lannoy ahndete beide brutalen und erkennbar absichtlichen Fouls nicht. So blieb die Elfenbeinküste wenigstens zahlenmäßig auf dem Stand, was sich nach 79 Minuten sogar noch auszahlte. Wie schon gegen Nordkorea in der Schlussminute, hatte die Seleção die Defensivarbeit weitgehend eingestellt, und plötzlich stand Drogba frei vor Julio Cesar und köpfte Toures weiten Flankenball ein.

Denn am Ende hatte sich durch all die Fouls soviel Frust aufgestaut, dass auf beiden Seiten Sicherungen durchbrannten. Als Keita auf Kaká auflief und theatralisch zu Boden sank, krönte der Referee seine Leistung mit einer gelb-roten Karte für Brasiliens Regisseur, der gerade die Form wiedergefunden hatte.

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