WM 2010: Bilanz:Der Sieger heißt Südafrika

Gewalt, Verbrechen, Chaos! Die Zweifel an Südafrika waren groß. Umso bemerkenswerter ist der Verlauf des Turniers: Südafrika hat als WM-Gastgeber geglänzt. Doch die Freude ist nicht ungetrübt.

Arne Perras

Die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden neigt sich dem Finale zu. Und alle Besucher haben überlebt! Man muss das betonen, denn im Vorfeld der WM klangen manche Kommentatoren so, als müsse sich die Welt samt ihrer Mannschaften für einen vierwöchigen Vorstoß auf feindliches Gebiet rüsten. Oftmals war die Kritik an diesem Land so überzogen, dass man sie rational nicht mehr erklären konnte.

WM 2010 - Höhepunkte - Deutschland - Australien

Feiernde Fans in Durban: Südafrika hat alle Zweifler widerlegt.

(Foto: dpa)

Die Südafrikaner haben Wort gehalten. Sie haben ihre Fußball-Gäste mit offenen Armen empfangen, mit großer Herzlichkeit versorgt und vor etwaigen Gefahren geschützt. Die Mannschaften des eigenen Kontinents spielten zwar nicht sehr lange mit bei diesem Turnier. Selbst Ghana, Afrikas letzte Hoffnung, musste sich unglücklich im Viertelfinale geschlagen geben. Nun kämpfen nur noch Europäer um den Pokal. Aber das macht alles nichts. Die Zeit der afrikanischen Teams wird noch kommen. Und das Gastgeberland Südafrika darf sich jetzt schon freuen, weil es seine Sache gut gemacht hat.

Unvorstellbar friedlich

Gewalt, Verbrechen, Chaos - das war das Drillings-Gespenst dieser WM. Viele Fans hat die Angst vom Kap ferngehalten, und manchmal sah es in den Vorbereitungsjahren so aus, als würde dieses Land das Turnier sogar noch abgeben müssen - so übermächtig erschien die Kritik. Aber Südafrika hat dies stoisch durchgestanden und die vielen Zweifler widerlegt. Zwar hat es einige wenige Überfälle auf Fans gegeben, ein Amerikaner wurde verletzt. Ansonsten aber verlief das Turnier so friedlich, wie es sich viele nicht hatten vorstellen können.

Die Worte von Uli Hoeneß klingen noch in den Ohren. Es sei eine der größten Fehlentscheidungen des Weltfußballverbandes (Fifa) gewesen, Südafrika dieses Turnier zu geben, beklagte der Präsident des FC Bayern München noch Anfang des Jahres. Damit nährte er ein verbreitetes Vorurteil, wonach die Afrikaner es schlicht nicht könnten. Zu unzuverlässig, zu gewalttätig, zu unorganisiert seien sie - das war die Botschaft. Sie passt in eine lange Liste zweifelhafter Bewertungen, die dem Kontinent im Allgemeinen und Südafrika im Besonderen nicht gerecht werden. Es fällt Europa immer noch schwer, über Afrika nachzudenken, ohne neokolonialen Reflexen zu erliegen.

Das andere Afrika

Der Erfolg der WM hat nun einige frische Gedanken angestoßen: Jenseits des schaurig-schönen Bildes vom Chaos- und Katastrophen-Kontinent muss es noch ein anderes Afrika geben. Wenn diese Einsicht weltweit durchgesickert ist, dann kann man die Fußball-WM tatsächlich als bemerkenswertes Ereignis der Völkerverständigung betrachten.

Das jedenfalls ist der wichtigste Gewinn, den sich Südafrika mit dem Turnier erkämpft hat. Es ist dies nicht das Verdienst Sepp Blatters und seiner Fifa; es ist die Frucht eines afrikanischen Ehrgeizes, der das Land viele Monate lang beflügelt und getragen hat. Südafrika wollte der Welt zeigen, wozu es fähig ist. Und es hat den Plan durchgezogen. Die Stadien waren rechtzeitig fertig. Das Land hat Touristen und Fans beschützt, trotz der hohen Kriminalitätsrate, die Südafrika belastet. Es hat sie gut und sicher in die Stadien gebracht, manchmal war das vielleicht etwas chaotisch. Aber alles in allem lief diese WM glatt, gemessen an den abenteuerlichen Geschichten, die Afrikas Transportbranche sonst so schreibt - mit überladenen Taxis, schiffbrüchigen Fähren und museumsreifen Fluggeräten.

Wenn in Europa dennoch über den WM-Verkehr gemeckert wurde, oder über den angeblich unerträglichen Lärm der Vuvuzelas, so verrät dies weniger über Afrikas Eigenheiten als über die Empfindlichkeiten und Bequemlichkeit vieler Europäer.

Turnier voller Ironie

Diese WM war auch voller Ironie. Zum Beispiel das Wetter: Sollte dies nicht der Sonnen-Kontinent sein, wo man sich wenigstens auf wohlige Wärme verlassen kann? Aber nein, Sepp Blatter wollte es anders. Die WM in den afrikanischen Winter zu legen, war eine absurde Entscheidung der Fifa. Nur den Afrikanern konnte man diese Frechheit zumuten, weil man sie eben nicht besonders ernst nimmt. Es hieß dann immer wieder, dass es zu schwierig gewesen wäre, den Zeitplan der WM umzustellen. Unmöglich war es nicht. Allein der Wille fehlte.

Nun wunderten sich also manche, warum die Fanparks in Südafrika so verwaist waren. Können diese Afrikaner nicht feiern? Und können sie sich nicht auch mal für andere Mannschaften begeistern? Natürlich können sie. Aber nicht da draußen, in eisiger Kälte. Fußball soll ja Spaß machen, also sitzen sie zu Hause oder in der Kneipe am Fernseher, wie jeder Mensch, der sich seine Zehen nicht ohne Not abfrieren möchte.

Der Gastgeber war genauso wenig verantwortlich für die Idee einer Winter-WM wie für die monopolistischen Geschäftspraktiken, die ebenfalls der Weltfußballverband durchgesetzt hat. Damit grenzte er Zehntausende Kleinhändler im Lande aus. Wenn der Fifa die Entwicklung Afrikas so wichtig gewesen wäre, wie sie glauben machen wollte, dann hätte sie auch Raum schaffen müssen für diese kleinen Geschäfte.

Überzogene Erwartungen

Südafrika weiß nun, wie wenig hinter der Rhetorik der Fifa steckt. Das Land wird noch lange darüber diskutieren, ob sich die hohen WM-Investitionen tatsächlich gelohnt haben, und wie man künftig die Stadien unterhalten und nutzen soll. Die Fifa aber packt wieder ihre Koffer, sie zieht weiter, zum nächsten Milliardengeschäft in Brasilien. Dabei ist es überfällig, dass sich ein Unternehmen, das mit dem Fußball riesige Gewinne macht, auch an den Kosten des Gastgebers seiner Turniere beteiligt - zumal wenn es um ein Land wie Südafrika geht, das jeden Dollar braucht, um seine Entwicklungsprobleme zu lösen.

Südafrikas Ruf im Ausland mag davon profitieren, dass der Staat als Gastgeber glänzte. Aber die Erwartungen, dass der Fußball die junge Nation im Inneren fest zusammenschweißen könnte, waren überzogen. Das große Wir-Gefühl blitzte zwar immer wieder auf in diesen Wochen der WM. Aber das allein kann die Gräben in der Gesellschaft nicht dauerhaft überbrücken.

Es geht dabei weniger um Spannungen zwischen Weiß und Schwarz, sondern mehr um die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm. Die gute Stimmung bei der WM war stets überlagert vom anhaltenden Frust der unteren Schichten, die sich vom Wohlstand ausgeschlossen fühlen. Da ist Wut und Ernüchterung über eine politische Klasse, die das Volk zwar vom Joch der Apartheid befreit hat, aber es nicht schafft, die Bürger mit dem Nötigsten zu versorgen. Millionen brauchen Häuser, Toiletten, Strom und Wasser. 14 Jahre nach Nelson Mandelas Triumph leben sie noch immer in Schachteln aus Wellblech.

Südafrika hat bei der WM bewiesen, was das Land alles stemmen kann. Diesen Schwung muss es jetzt hinübertragen in die Zeit nach dem Turnier. Daran werden die Bürger ihre junge Demokratie messen. Und sie dürften die WM schnell vergessen, wenn sich an ihrem Schicksal nicht bald etwas ändert.

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