Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Bastian Schweinsteiger:Angst vor dem Sechser-Loch

Bislang hat Schweinsteiger die Rolle als Mittelfeld-Chef gut ausgefüllt. Nun bangt der DFB um seinen Einsatz gegen England, und es stellt sich die Frage: Wer könnte ihn zur Not ersetzen? Der Kader gibt nicht viele Alternativen her.

Thomas Hummel, Johannesburg

Im Soccer City haben die Veranstalter einen schier endlos geschwungenen Gang geschaffen, den die Mannschaften mit ihrem Begleittross allesamt bewältigen müssen. Hinter einer hüfthohen Ballustrade warten Berichterstatter aus aller Welt auf ein Wort, manchmal drängeln sie sich so nah aneinander, dass die Ballustrade umfällt und die Grenze zwischen Spieler und Öffentlichkeit für wenige Sekunden einstürzt. Am Mittwochabend, nach dem 1:0 gegen Ghana im letzten Vorrundenspiel der WM 2010, musste auch Bastian Schweinsteiger durch diesen Gang, es ist der einzige Weg zum Mannschaftsbus. Es war ein Leidensweg.

Er hatte zwar keine dieser riesigen Kopfhörer auf, die wie überdimensionale Ohrenwärmer aussehen und das Zeichen senden: Sprecht mich nicht an! Dennoch schien Schweinsteiger in diesen Sekunden überhaupt nichts wahrzunehmen. Das Gesicht wirkte verschlossen, der Blick ging zu Boden, die Schultern hingen weit nach unten - und er zog leicht das linke Bein nach. Bastian Schweinsteiger humpelte.

Zwei Meter vor ihm wedelte ein Mitglied der DFB-Delegation mit den Händen. "Er sagt nichts, heute nicht, er wird nichts sagen" und so weiter. Schweinsteiger schlich hinter dem Mann her, stumm, humpelnd. Doch das Nichtssagen wurde zur lautesten Ansage an diesem Abend. "Der spielt hier nicht mehr", bemerkte ein Reporter und blickte ihm nach.

Löw formuliert umständlich

Der Eindruck, Bastian Schweinsteiger habe sich im Spiel gegen Ghana eine nicht unerhebliche Blessur im hinteren linken Oberschenkel zugezogen, verstärkte sich noch, als Hans-Wilhelm Müller-Wohlfarth den Gang entlangging. Der Arzt des DFB blieb zwar stehen, sagte auch was - und doch nichts. "Kein Kommentar zu Schweinsteiger. Ich habe dem Bundestrainer gerade meine Diagnose gegeben, er wird gleich kommen." Der Fall Schweinsteiger wurde zur Chefsache erklärt.

Dann kam Ko-Trainer Hans-Dieter Flick und rückte mit dem ersten Befund heraus: Muskelverhärtung. Ob Schweinsteiger bis Sonntag, 16 Uhr, zum Achtelfinale gegen England wieder fit sein kann? Das wird vermutlich so schnell niemand beantworten, es kündigen sich Tage des Bangens an um den deutschen Mittelfeldlenker. "Es wird kritisch", konkretisierte Flick am Donnerstagmittag.

Während der Pressekonferenz hatte Löw noch nichts vom genauen Zustand Schweinsteigers gewusst, und war dennoch schon hoch nervös. "Ich hoffe, er ist mit seiner Muskelblessur früh genug rausgegangen. Sein Ausfall wäre für unser Spiel gegen England nicht gerade von Vorteil." Die etwas umständliche Formulierung im Löw-Deutsch bedeutet übersetzt: Es wäre eine Katastrophe.

Auf seiner Position im defensiven Mittelfeld hat die DFB-Truppe ja schon einige schlechte Botschaften verkraften müssen. Michael Ballack, Simon Rolfes und Christian Träsch verletzten sich, ebenso die B-Lösung Heiko Westermann. Torsten Frings und Thomas Hitzlsperger bestanden den Löw'schen Tauglichkeitstest nicht. So stehen in Südafrika nur zwei Profis im Kader, die auch im Verein auf der zentralen Position spielen: Schweinsteiger und der Stuttgarter Sami Khedira.

Vor allem seit dem Ausfall von Michael Ballack konzentriert sich sehr viel auf den 25-Jährigen vom FC Bayern. Schweinsteiger sollte die Chefrolle im Mittelfeld übernehmen. Mit seinen nun 77 Länderspielen ist er einer von wenigen Erfahrenen im DFB-Team, seine hervorragende Saison in München gab Anlass zur Hoffnung, er könne das deutsche Spiel prägen.

Und Schweinsteiger erfüllte diese Hoffnungen bislang, auch wenn andere mehr im Fokus standen. Gerade im schwierigen Spiel gegen Ghana, als einigen jungen Spielern die Nervosität arg anzumerken war, stemmte er sich gegen die bulligen Afrikaner, verteidigte mit Händen und Füßen die Bälle, eilte bei Gyans Großchance schnell genug in den Strafraum zurück, gab dem deutschen Auftritt zumindest phasenweise Struktur. Er setzte das um, was er vorher versprochen htte: "Ich versuche das Tempo zu steuern, die Richtung vorzugeben. Ich muss auch viel defensiv arbeiten und viel reden auf dem Platz." Sein Job sei es, die Mannschaft mit klugen Pässen voranzubringen.

Bereits Mitte der zweiten Halbzeit schleppte sich Schweinsteiger allerdings merklich angeschlagen über den Platz. Die Kraft schien am Ende, und offenbar wurde einem Muskel das Geackere zu viel. Er verließ nach 81 Minuten den Platz, am Ende klatschte er noch einmal brav ins Publikum.

Lahm als Notlösung?

Für ihn kam Toni Kroos. Auch im Testspiel gegen Bosnien-Herzegowina hatte der 20-Jährige schon einmal in der Zentrale gespielt, allerdings nur für drei Minuten. Diesmal waren es also schon neun, und es könnte durchaus sein, dass am Sonntag ziemlich viele dazukommen. Er scheint derzeit der erste Ersatzmann auf dieser Position zu sein - obwohl er sie im Verein noch nie gespielt hat und in Soccer City erst sein fünftes Länderspiel bestritt.

Vor allem nach den vielen Verletzungen kurz vor der WM flammte immer wieder die Diskussion auf, welchen Plan B denn Löw in der Tasche hat, wenn Schweinsteiger oder Khedira einmal ausfallen sollten. Beide haben inzwischen eine gelbe Karte gesehen, womit sich die Frage nach einem eventuellen Achtelfinalsieg gegen England neu stellen könnte. Antworten gab der Bundestrainer darauf nicht; er wechselte Kroos ein, im Testspiel gegen Ungarn schickte er Dennis Aogo nach der Pause in die Zentrale.

Die Frage, ob vielleicht Philipp Lahm der Notnagel sein könnte, beschieden Löw und auch der Kapitän bislang mit einer klaren Absage. Doch nun könnte diese Möglichkeit wieder in den Mittelpunkt rücken. Philipp Lahm hat bislang eines seiner 68 Länderspiele im defensiven Mittelfeld bestritten. Am 22. August 2007 im Wembley-Stadion, Deutschland gewann gegen England 2:1.

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