WM 2010: Arne Friedrich:Und Paulus schießt ein Tor

Viele Verteidiger hecheln bei dieser WM ihren großen Namen hinterher. Es ist einer der Senioren im deutschen Team, der überrascht - und dem Turnier immer unheimlicher wird.

Christof Kneer

Arne Friedrich hat in der vergangenen Woche viele Interviews geben müssen. Er ist ja ein gefragter Mann inzwischen, er genießt das durchaus. Arne Friedrich hat bei dieser WM den größten Imagetransfer seit Saulus und Paulus hinter sich, und man muss sich wirklich Mühe geben, wenn man Friedrich noch etwas zur Last legen will. Seine Spieleröffnung? Lange nicht mehr so schlicht wie früher, unter anderem, wie er selbst sagt, dank des Techniktrainings beim ehemaligen Hertha-Coach Lucien Favre. Sein Verein? Ist nicht mehr Hertha BSC, ist jetzt der VfL Wolfsburg. Und seine Torbilanz im Nationaltrikot? Sie war das Letzte, was den Friedrich-Kritikern noch geblieben war.

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Im Viertelfinale gegen Brasilien gelang Arne Friedrich, woran er selbst nicht mehr recht glaubte: Der 31-Jährige erzielte sein erstes Tor im DFB-Trikot.

(Foto: afp)

"Ich habe eineinhalb Tore beim DFB gemacht, obwohl's nicht in der Statistik steht", hat Friedrich vergangene Woche vergnügt erzählt. Das ganze Tor gelang ihm gegen die Färöer-Inseln, gleich bei seinem ersten Länderspiel, wobei Friedrich-Kritiker sofort einwenden werden, dass der bezwungene Torwart Oliver Kahn hieß. Es war: ein Eigentor. In die richtige Richtung gelang ihm ein halbes Tor, ein strammer Schuss war's gegen Bulgarien, "aber dann hat der Jancker den Schuss mit der Schulter abgelenkt". Das Tor wurde dem Jancker gutgeschrieben, der brauchte auch jedes.

Dass Arne Friedrich noch mal ein richtiges Tor im DFB-Hemd schießt, hat in der vergangenen Woche nicht mal Arne Friedrich geglaubt. Er hat ein paar selbstironische Witze darüber gemacht, alles in allem galt ein Friedrich-Treffer als ungefähr so wahrscheinlich wie ein deutschen Tor nach einer Standardsituation. Und jetzt: Schießt Deutschland das 1:0, nach urplötzlich einstudierter Freistoßvariante. Und das 3:0 schießt, aus Mittelstürmerposition, Arne Friedrich.

Unverhoffte Chance

"Ich hatte nicht mehr damit gerechnet", gestand Arne Friedrich, 31, nach dem ersten Treffer im 77. Länderspiel. Für einen, der nicht mehr damit rechnet, ist er dann aber ziemlich entschlossen in eine jener Lücken gesprintet, die die argentinische Abwehr freundlicherweise klaffen ließ. "Ich würde gerne öfter Tore schießen, weil man das Gefühl nicht beschreiben kann", sagte er später. Man kann das Gefühl aber erahnen, wie jener Bauchklatscher-Jubel bewies, der auf Jürgen Klinsmann zurückgeht und seitdem diver heißt.

Hochkonzentrierte Lässigkeit

Arne Friedrich kann bei dieser WM nicht mehr viel verlieren. Er hat sich jetzt sogar eine Statistik besorgt, mit der er zur Not in alle Ewigkeit leben kann. Auch für Berti Vogts findet sich nur ein einziger Länderspiel-Treffer in den DFB-Datenbanken (in 96 Länderspielen), Jürgen Kohler und Karlheinz Förster durften auch nur zweimal jubeln. Arne Friedrich, lange Jahre in der Öffentlichkeit eher geduldet als geschätzt, hat jetzt also eine richtig seriöse deutsche Abwehrspieler-Biographie. Zumindest auf dem Papier ist er jetzt einer von ihnen - einer von den knorrigen DFB-Innenverteidigern, ohne die es einfach nicht geht.

Allmählich wird einem dieser Friedrich unheimlich. Gegen Spieler wie Higuain, Tevez oder Messi hat er mit derselben hochkonzentrierten Lässigkeit verteidigt wie zuvor gegen den Engländer Rooney. Der deutsche Fußball neigt ja mitunter in vorauseilender Demut dazu, andere Länder und Ligen zu verherrlichen (manchmal mit Recht, manchmal nicht), aber wer diese WM in ihrer Breite betrachtet, muss feststellen, dass viele der verherrlichten Verteidiger ein Turnier gespielt haben, das sich mit dem des Arne Friedrich nicht vergleichen lässt.

Nemanja Vidic, John Terry, Fabio Cannavaro, William Gallas - viele von ihnen leben inzwischen mehr von ihrem in der Vergangenheit (durchaus rechtmäßig) erworbenen Ruf. Arne Friedrich hingegen bestreitet zurzeit genüsslich die umgekehrte Karriere: Er, der selbst in Deutschland als bestenfalls solide galt, wird in ausländischen Medien als einer der verlässlichsten Verteidiger des Turniers gehandelt. Kein Missverständnis: Es geht hier wirklich um Arne Friedrich.

Nächster Halt: Champions League

"Ich habe noch nie in der Champions League gespielt, das ist mein Ziel", sagt Arne Friedrich. Bei seinem neuen Klub in Wolfsburg muss er jetzt erst mal ein Jahr ohne Europa durchstehen, aber wer die vergangenen paar Wochen verfolgt hat, muss plötzlich alles für möglich halten. Dass Friedrich den VfL in die Champions League schießt zum Beispiel, mit einem Tor aus Mittelstürmerposition vermutlich.

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