WM 2010: Argentinien:"Eswejnstejger, bist du nervös?"

Auf die verbale Duelleröffnung von Bastian Schweinsteiger reagieren die Argentinier eher belustigt, genauso wie auf Tintenfisch Paul. Dabei setzen sie selbst auf Tierorakel.

Peter Burghardt

Manchmal sind die Deutschen immer noch sonderbar, finden die Argentinier. Da ist dieser Trainer mit dem eigenwilligen Haarschnitt, der ständig in der Nase bohrt - waren die Alemannen nicht seit einiger Zeit tadellos erzogen? Dann braucht dieser Industriegigant einen Tag, um seinen Präsidenten zu wählen. Und vertraut einem Tintenfisch.

WM 2010: Pressekonferenz deutsche Nationalmannschaft

Bastian Schweinsteiger eröffnete das Verbal-Duell mit Deutschlands Viertelfinalgegner: Dass die Argentinier versuchten, den Schiedsrichter zu beeinflussen, sei respektlos, "aber so sind die Argentinier, das zeigt ein bisschen ihren Charakter und ihre Mentalität", sagte der Mittelfeldspieler. Die Argentinier lassen sich davon nicht provozieren.

(Foto: ag.ddp)

Am Rio de la Plata sah man fasziniert dabei zu, wie die Hellseherkrake Paul, auf Spanisch: Pablo, in einem Oberhausener Aquarium eine Muschel aus einem Plastikgefäß mit schwarzrotgoldener Fahne fischte. Der Becher mit der argentinischen Flagge blieb unberührt wie vorher der von Australien und Ghana, bloß bei den Serben griff er angeblich zu. "Er hat uns kein Saugfüßchen gereicht", gluckst das Sportblatt Olé.

"Ein Ritual, hoffentlich geht ihm das Wasser aus." Die Polypenbilder erheitern auf allen Kanälen. Und da war noch dieser komische Vogel namens Schweinsteiger.

Der quält Latinos schon länger, weil sein Name Krämpfe im Gaumenbereich verursacht. In den Nachrichten mussten die Kommentatoren nun wieder mit dieser unendlichen Reihe scharfkantiger Konsonanten kämpfen, denn Bastian Schweinsteiger ("Eswejnstejger") hat das Duell vom Samstag eröffnet.

So erfuhr auch das Publikum in Buenos Aires und Mendoza, was dieser rotblonde Alemancito so alles behauptet. Dass die Argentinier versuchten, den Schiedsrichter zu beeinflussen, respektlos, "aber so sind die Argentinier, das zeigt ein bisschen ihren Charakter und ihre Mentalität". Cómo? Wie bitte? "Schweinsteiger wusste, wo, für wen und warum er sprach", vermuteten Ohrenzeugen der Zeitung La Nación und vernahmen einen argentinischen Korrespondenten der Deutschen Presse-Agentur.

Schweinsteiger, erläuterte der, sei ein Musterschüler van Bommels, der für den FC Bayern kleine Tritte und Ellbogenstöße verteile. Jedenfalls: Es geht los.

Das kleine Vorspiel verschlechtert das germanische Image wieder ein wenig, nachdem die veränderten Manieren auf dem Rasen zuletzt für Aufsehen gesorgt hatten. Das flotte Spiel der jungen Riege gefällt selbst Anhängern von Messi und Maradona, die sich früher über Abwehrschränke mokiert hatten. Der deutsche Ruf in Argentinien war immer noch geprägt von Disziplin und Leberwurst, woran die Einwanderungswellen nach den Weltkriegen beteiligt waren, siehe die bizarre Enklave Villa General Belgrano bei Córdoba.

"Ein neues und edles Deutschland", lobt der Kolumnist Ezequiel Fernàndez Moores und schwärmt von Özil und Khedira, Einwanderersöhnen aus der vernünftigen Bundesliga, die obendrein so intelligent sei, schon seit Januar mit dem Ball Jabulani zu spielen. Illustriert ist das Stück mit einem Cartoon von Klose mit Maßkrug und Lederhose. Schweinsteigers Grätsche erinnert dagegen in Ansätzen an die Prügelei beim letzten WM-Treffen in Berlin.

Paella mit Paul

Die unnötige Niederlage nach Elfmeterschießen und die folgende Keilerei vor vier Jahren sind unvergessen, damals endeten die berechtigten Hoffnungen auf den Titel mit einem weiteren Trauma. Man weiß noch, dass der deutsche Torwart Lehmann einen Zettel mit den Namen der Schützen dabei hatte, auf solche Ideen kommen bloß Deutsche. Diego Maradona irrte in jenem Sommer als übergewichtiger Promi-Fan im weißblauen Trikot durch Deutschland, ähnlich schwer zu fassen wie der braune Problembär Bruno. Und seine Wiedergeburt Lionel Messi saß in jenem Viertelfinale bloß auf der Ersatzbank, Trainer José Pekerman wollte ihn nicht einwechseln. Ein Desaster, fast so schlimm wie 1990, als Maradona nach der Finalniederlage heulte. Da denkt man lieber an den 3:2-Finalsieg 1986 und an den 1:0-Erfolg vor ein paar Wochen im Münchner Freundschaftsmatch.

Dort kannte Maradona noch nicht mal den Bayern Thomas Müller und begann die Pressekonferenz erst, als dieser ihm unbekannte Jüngling an seiner Seite als deutscher Nationalstürmer identifiziert worden war. Argentiniens Trainer will ähnlich spielen lassen wie in der Münchner Arena, wo er erstmals als Stratege auffiel. Vielleicht rückt der Mailänder Walter Samuel in die Abwehr und vielleicht muss der wacklige Münchner Martín Demichelis weichen. Viele Argentinier sind überzeugt, dass Demichelis von seiner Lebensgefährtin abgelenkt wird, einem ehemaligen Bikinimodel.

Vielleicht dürfen sich im Mittelfeld Juàn Sebastiàn Verón und Javier Pastore oder Jonàs Gutierrez versuchen. Ansonsten trinkt Argentiniens Auswahl Mate, isst Grillfleisch, hört von Tévez ausgewählte Musik, und Maradona schickte den Satz in die Heimat: "Wir werden unser taktisches System nicht ändern." Die Republik hofft, dass Wiedergänger Messi die Deutschen schwindlig spielt und endlich ins Tor trifft.

Und Eswejnstejger? Ein väterliches Lächeln zog sich über Diegos bärtiges Gesicht. "Was ist los mit dir, Schweinsteiger, bist du nervös?", sprach Maradona. Das kennt man in diesem Tonfall sonst vom ehemaligen Staatschef Néstor Kirchner, der gerne die ihm gegenüber kritische Zeitung Clarín verspottet: "Was ist los mit dir, Clarín, bist du nervös?" Das Präsidentenpaar Cristina und Néstor soll den Argentiniern übrigens mehr Glück bringen als einst Carlos Menem, in dessen Gegenwart meistens verloren wurde.

Was weitere Glücksbringer betrifft, so gibt Diego Armando Maradona gerne selbst das Orakel, sollen die Deutschen doch an ihren Pulpo Paul glauben, den Tintenfisch. "Paul endet am Samstag in einer Paella", warnt La Gaceta. Armer Paul. Außerdem haben die Argentinier unterdessen Pepe und Macky entdeckt. Das eine ist ein Papagei und das andere eine Seelöwin im Zoo von Buenos Aires, und beide tippen auf Argentinien.

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