Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Achtelfinale:Meisterstück der Mini-Gauchos

Südkorea macht das Spiel, Uruguay die Tore. Im ersten Achtelfinale der WM setzen sich die Südamerikaner mit 2:1 durch und demonstrieren, dass ihre Kombination aus starker Abwehr und treffsicheren Stürmern sie noch weit bringen könnte.

Jonas Beckenkamp

Das schöne am Ende einer WM-Vorrunde ist, dass alles vorhersehbarer wird. Das Jonglieren mit möglichen Spielpaarungen vereinfacht sich um einige Variablen, frappierende Favoritenstürze werden seltener und der Weg ins Finale nimmt für die Brasiliens, Deutschlands und Argentiniens dieser Welt Konturen an. Normalerweise. Doch bei dieser WM ist einiges anders, nicht nur der gewöhnungsbedürftige Geräuschpegel in den Stadien. Bereits zu Beginn der K.o.-Runde ist laut Spielplan klar, dass entweder Ghana, die USA, Südkorea oder aber Uruguay mindestens bis ins Halbfinale des Turniers gelangen. Uruguay? Waren das nicht jene begabten, aber meist glücklosen Mini-Gauchos von der anderen Seite des Rio Plata mit dem Hang zum Rustikalen?

Zumindest in den vergangenen sechs Jahrzehnten konnte der erfahrene Fußball-Smalltalker mit diesem Klischee überzeugend fachsimpeln, doch jetzt steht das Team des zweifachen Alt-Weltmeisters (WM-Titel 1930 und 1950) überraschend im Viertelfinale der WM 2010. Verantwortlich dafür ist eine Reihe von glücklichen Umständen: Wie es die Auslosung wollte, gerieten die Südamerikaner zunächst in eine machbare Gruppe, die nach dem beinahe freiwilligen Rückzug der Franzosen urplötzlich ohne Favorit verblieb. Dann gewann die "Celeste" nacheinander gegen übernervöse Südafrikaner und bereits fast qualifizierte Mexikaner, blieb in der Vorrunde ohne Gegentor und sah sich im Achtelfinale mit Südkorea konfrontiert - ein vergleichsweise angenehmer Gegner, wie sich zeigte: Uruguay gewann die Partie mit 2:1.

Alle wollen "einfache Gegner"

Nun mag der Weg der "Urus" ins Viertelfinale kein allzu steiniger Stolperpfad gewesen sein, doch wenn es nach dem uruguayischen Mittelfeld-Idol Enzo Francescoli geht, hatte es die Truppe um Sturmführer Diego Forlan dafür in der WM-Qualifikation umso schwerer. "Die südamerikanische Qualifikation ist die härteste, das stärkt die Teams." Ob das die Art Selbstbewusstsein von Uruguays Abwehr-Haudegen Diego Lugano ("Wir wollen Weltmeister werden!") rechtfertigt, sei dahingestellt. Zumal inklusive Südkorea noch vier Gegner angesichts der Stärke anderer Teams wohl liebend gerne gegen die himmelblauen Außenseiter antreten würden. Entsprechend euphorisch berichtete die auflagenstärkste südkoreanische Zeitung Chosun Ilbo im Vorfeld der Partie von "relativ einfachen Gegnern" und schielte bereits auf die möglichen Viertelfinal-Gegner USA und Ghana. Im Konzert der Kleinen ergibt sich die Brisanz auch aus der Tatsache, dass immer der Andere als noch leichtere Beute zu gelten scheint.

Um ihre Ambitionen zu unterstreichen, begannen beide Teams so abgeklärt wie alte Achtelfinal-Hasen. Ein Freistoß von Südkoreas Sturmführer Park Chu-Young klatschte nach nur fünf Minuten an den Pfosten - die bisher betoneske Abwehr der Uruguayer schien gewarnt: Gegen diese quirligen, aktiven Asiaten mussten sie besonders auf der Hut sein. Grund zur Sorge bestand aber nicht allzu lange, denn im Sturm der "Celeste" tummeln sich mit Forlan und Luis Suarez zwei Stürmer von ziemlich beachtlichem Format. Noch keine zehn Minuten waren gespielt, als eben jener Forlan einen halbhohen, eigentlich kaum erwähnenswerten Kullerball in den südkoreanischen Sechzehner flankte, und alles auf die Fangarme von Keeper Jung Sung-Ryong spekulierte - außer Suarez. Weil Südkoreas Torwart den Jabulani passieren ließ wie einen Schuljungen am Zebrastreifen, stand der aktuelle Torschützenkönig der holländischen Liga völlig alleine vor dem leeren Gehäuse und schob ungehindert ein - das 1:0 für die Uruguayer war bereits das siebte Turnier-Gegentor für den WM-Vierten von 2002.

Ein durchaus ansehnliches Spiel nahm seinen Lauf, was vor allem daran lag, dass da zwei angriffsfreudige Mannschaften zu Werke gingen: Hier Uruguay mit seinem schnellen, zielstrebigen Konterfußball, da die Südkoreaner mit ihrem technisch feinen Kombinationsspiel über die Flügel. Nach einer halben Stunde brachte sich wieder Monaco-Stürmer Park (nicht zu verwechseln mit Manchesters Park Ji-Sung) in gute Schussposition - sein Versuch mit links verfehlte das Tor der "Urus" aber knapp, das Gefühl eines Gegentores bei dieser WM blieb den Südamerikanern weiterhin erspart. Kein Wunder bei einer Defensive, die mit ihrem großen Geschick beim Ballabluchsen und ihrer Kompromisslosigkeit eine beinahe italienische Aura versprüht. Einziger Eindringling blieb weiterhin der unermüdliche Park, der kurz nach Wiederanpfiff eine ungewollte Kopfballablage der uruguayischen Innenverteidigung an den Elfmeterpunkt über den Kasten von Keeper Fernando Muslera katapultierte - ein Signal zu mehr südkoreanischer Initiative.

Der Lohn für diese Bemühungen kam in der 68. Minute: Nach einem Freistoß von halbrechts entschied sich die Defensive der "Celeste" fatalerweise zu einer Kopfballkerze im eigenen Strafraum, das Spielgerät segelte durch den regnerischen Nachthimmel von Port Elizabeth und tropfte punktgenau auf den Kopf des südkoreanischen Mittelfeldspielers Lee Chung-Yong - der Ball trudelte zum ersten Mal bei dieser WM ins Tor der Uruguayer, es stand 1:1. Sollte dieses Außenseiterduell einem Epilog per Verlängerung oder gar Elfmeterschießen entgegensteuern?

Traumtor von Suarez

Einer hatte etwas dagegen: Luis Suarez, der Torjäger von Ajax Amsterdam. Zehn Minuten vor dem Ende schnappte sich der 35-Tore-Mann aus der Eredivisie nach einer Ecke den Ball an der Sechzehnerkante, umkurvte zwei Südkoreaner und ließ einen genialen Schlenzer in den Torwinkel los, bei dem das Leder einen Spinn entwickelte, dass einem schwindelig werden musste. Suarez' dritter WM-Treffer demonstrierte, dass die "Urus" vielleicht doch kein so leichter Gegner für die Südkoreaner waren, wie sie sich erhofft hatten.

Die Asiaten schienen geschlagen, doch sie versuchten es noch einmal. In der 87. Minute tauchte der eingewechselte Lee Dong-Gook frei vor Muslera auf, doch anstatt unter dem uruguayischen Keeper hindurchzuflutschen, blieb der Schuss des Südkoreaners kurz vor der Linie liegen. Es hätte nur noch gefehlt, dass eine Pfütze diese Regenschlacht vor dem Gang in die Verlängerung bewahrt hätte. Doch dazu kam es nicht mehr, die Uruguayer kämpften um ihr Leben, aus den Mini-Gauchos war eine veritable Cowboy-Crew geworden - das Viertelfinale war geschafft.

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