WM 2006:Sanfter Wink im Kaminzimmer

GERMAN CHANCELLOR SCHROEDER EXCHANGES A HANDSHAKE WITH FIFA PRESIDENT BLATTER IN BERLIN

Wer wollte hier mit wem aufs Bild? Vermutlich beide mit beiden: Gerhard Schröder (r.) und Sepp Blatter.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Aus alten Regierungsakten geht hervor, wie die deutsche Politik Ende der 1990er den damaligen Fifa-Chef Sepp Blatter umgarnte.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

Vorfahrten mit Blaulicht, rote Teppiche, Fernsehkameras, Blitzlicht und Umarmungen wichtiger Menschen - als Sepp Blatter, der Arbeitersohn aus dem Wallis, eine Weile schon Fifa-Präsident war, wurde er von den Mächtigen behandelt, als wäre er selbst ein ganz Großer.

"Am Anfang, wenn ich zu einem Staatschef ging, schaute ich von unten nach oben - irgendwann waren wir auf Augenhöhe", hat der 79-Jährige jüngst in einem Gespräch mit der Weltwoche gesagt.

Als angeblicher Meister der Fußballwelt ließ er sich feiern und wurde gefeiert - nicht von den Fans (die pfiffen ihn in den Stadien für gewöhnlich aus), sondern von denen, die sich irgendetwas von dem Chef des Fußball-Weltverbandes erhofften. Für sich selbst oder für ihr Land.

Deutsche Politiker, egal, wer gerade an der Macht war, machten da keine Ausnahme. Dass der gefallene, merkwürdig unrasierte Sepp Blatter nach dem Urteil der Fifa-Ethikkommission, die ihn gerade für acht Jahre gesperrt hat, die Welt nicht mehr versteht, ist vor diesem Hintergrund schon fast nachvollziehbar.

Alte Regierungsakten, die in diesen Tagen auch von der Staatsanwaltschaft Frankfurt und der Wirtschaftskanzlei Freshfields angefordert wurden, belegen den kuriosen Umgang mit Blatter. Die Deutschen umwarben ihn, hätschelten ihn, behandelten ihn wie einen ganz Großen. So zeigt ein Vermerk des Kanzleramtes vom 8. Juni 1999 die Probleme der Deutschen im Umgang mit dem Chef des Fußball-Weltverbandes. Der damalige Präsident des deutschen Bewerber-Komitees, Franz Beckenbauer, und dessen Helfer Fedor Radmann wollten am 9. Juni im Kanzleramt vorbeischauen, zur Vorbereitung des Gesprächs hatte ein Referatsleiter ein paar Zeilen notiert: Blatter habe sich "zum wiederholten Mal mit Nachdruck für Südafrika als ausrichtendes Land ausgesprochen". Wahrscheinlich werde Beckenbauer vorschlagen, dass der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Blatter zu einem "good-will-Gespräch" zusammentreffen solle. "Aus Sicht des Fachreferats" werde geraten, auf eine solche Bitte keine definitive Antwort zu geben: "Die 1998 erfolgte Wahl von Herrn Blatter zum Fifa-Präsidenten und deren Begleitumstände sind in der Öffentlichkeit noch nicht vergessen."

Der frühere Fifa-Generalsekretär Blatter war 1998 erstmals zum Präsidenten gewählt worden, und um die Umstände dieser Wahl hatte es bereits Geraune gegeben. Der damalige DFB-Präsident Egidius Braun, ein frommer Kartoffelhändler aus Aachen, hatte danach gemeint, Stimmen für Blatter seien gekauft worden. Zu einem ähnlichen Schluss war auch der Buchautor David A. Yallop gekommen. Was riet damals das Referat des Kanzleramtes der Hausspitze mit Blick auf das bevorstehende Gespräch mit Beckenbauer? Ein klassisches Beamten-Einerseits-Andererseits: "Die Unterstützung der DFB-Bewerbung durch die Bundesregierung sollte auch im Hinblick auf die reellen Chancen angemessen sein."

Aber nach dem Gespräch in der Regierungszentrale kam schon Tempo in die Angelegenheit.

Radmann schrieb ans Kanzleramt, Beckenbauer und er wären schon "sehr dankbar", wenn "ehestmöglich" eine "Einladung des Herrn Bundeskanzler an den Fifa-Präsidenten organisiert werden könnte. Vielleicht eine kleine Anregung: So wie wir den Präsidenten kennen, wäre beispielsweise ein Abendessen in kleiner Runde in Berlin sehr willkommen."

Im Oktober 1999, also ein halbes Jahr vor der Abstimmung, traf man sich dann in Berlin. Ursprünglich hatte man sich in einer Hütte am Watzmann in Berchtesgaden treffen wollen, aber das war den Beteiligten dann wohl doch zu beschwerlich.

Schröder hatte einen Sprechzettel dabei: "Sie, Herr Blatter, sind ein exzellenter Kenner des Fußballs." Er bitte den Präsidenten, die deutsche WM-Bewerbung zu unterstützen. Bei dem Termin sagte Schröder dann, man solle sich doch auch nach der Entscheidung in kleinem Kreis an einem schönen Ort treffen. Im Kanzleramtsvermerk steht: "Blatter stimmte dem Vorschlag zu. Den Auftrag der Organisation nahm Radmann an. Allen Beteiligten schien klar zu sein, dass natürlich an einen Termin vor der endgültigen Entscheidung gedacht ist."

"Im Kaminzimmer" sei es dann, so steht es im Vermerk, zu einem "Gedankenaustausch unter vier Augen" zwischen Schröder und Blatter sowie zwischen dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily und Blatter gekommen.

Blatter gab sich als Weinkenner und Uhrensammler zu erkennen

DFB-Präsident Braun habe wegen Augenproblemen abgesagt: "Deutlich wurde, dass Blatter nicht unbedingt an eine Augenerkrankung von Braun glaubte. Die Distanz zwischen Blatter und Braun scheint unüberbrückbar zu sein. Das ist ein echtes Problem der DFB-Bewerbung für 2006." Blatter habe sich als "Weinfachmann und Uhrensammler" zu erkennen gegeben. Ein sanfter Wink. Später kam es dann, wie Unterlagen zeigen, zum Austausch von Geschenken. Obwohl es viele Bedenken in der Bundesregierung gab, bekam Blatter dann auch noch das Große Bundesverdienstkreuz.

"Unser Sport ist eben ein Spiegelbild der Gesellschaft mit allem Guten und Schlechten", hat Blatter mal zu einem Jubiläum des DFB geschrieben. Das ist wohl so.

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