WM 2006Hitzewallung im Gletschereis

Lesezeit: 3 Min.

Frankreichs Torwartkonflikt verschärft sich - und offenbart Fehler des Nationaltrainers Raymond Domenech.

Ralf Itzel

Eigentlich soll der Liebling des Landes im Mittelpunkt stehen, wenn die französische Nationalelf am heutigen Samstag im ausverkauften Stade de France die Auswahl Mexikos zum Test empfängt (20.45 Uhr, Eurosport). Zinédine Zidane trägt zum hundertsten Mal das blaue Trikot - und zum letzten Mal auf französischem Boden. Nach der WM hängt der Genius die Stollenschuhe an den Nagel, deshalb sagt die Grande Nation nun Adieu. Doch ohne es zu wollen, ist Fabien Barthez ins Zentrum des Interesses gerückt. Die Spannung ist groß: Was, wenn dem Fänger gegen den starken Gegner ein Fehler passiert?

Konkurrenten: Barthez und Coupet.
Konkurrenten: Barthez und Coupet. (Foto: Foto: rtr)

Die Torwartdiskussion, bisher in Frankreich unaufgeregter geführt als in Deutschland, hat in diesen Tagen eine ungeahnte Heftigkeit erreicht. Denn dem zum Ersatzmann degradierten Grégory Coupet sind im Trainingslager in Tignes in den Alpen die Sicherungen durchgebrannt. Nach heftigem Streit mit Nationalcoach Raymond Domenech packte er seine Sachen und türmte. Offenbar war es allein der telefonischen Intervention des Präsidenten seines Klubs Olympique Lyon zu verdanken, dass er doch wieder kehrt machte.

Die Eskapade war zwei Tage lang Titelstory der Sportzeitung L'Équipe, sogar die Abendnachrichten des TV-Senders TF1 begannen damit. Schließlich schrammten Les bleus, die Blauen, knapp an einer kleinen Katastrophe vorbei. Hätte die Nummer zwei wirklich hingeschmissen, wäre die Equipe mit einem Spieler weniger zur WM gereist, denn nur Verletzte dürfen jetzt noch ersetzt werden. Außerdem waren die Umstände des Ausreißversuchs spektakulär: Um die Gruppenmoral zu stärken, hatte Domenech seine Mannen, angeseilt und mit Steigeisen an den Füßen, durch tiefen Schnee den Gletscher der Grande Motte hoch gescheucht. Auf 3656 Metern über dem Meer merkte Coupet, dass sich einer mal wieder vornehm zurückgehalten hatte: Barthez war, eine alte Wadenverletzung vorschützend, auf der Zwischenstation geblieben. Wieder musste den Lyoner das Gefühl beschleichen, immer der Dumme zu sein. Denn während er stets macht, was er soll, tut der andere meist, was er will, und wird dafür auch noch belohnt.

Barthez tanzt gerne aus der Reihe. Der Glatzkopf begann die Saison, indem er einen Schiedsrichter bespuckte, was ihm fünf Monate Sperre einbrachte, und beendete sie mit einem weiteren Eklat: Nach dem mit Marseille in Paris gegen Saint Germain verlorenen Pokalfinale stieg der Kapitän als einziger nicht hinauf zum Staatspräsidenten Chirac, um die Silbermedaille entgegenzunehmen, sondern verschwand in der Kabine. Die Begründung: "Ich musste dringend mal." Zwischen diesen beiden Vorfällen lagen zum Teil mäßige Leistungen.

Coupet dagegen verhielt sich vorbildlich und hielt vorzüglich. Die Kollegen wählten ihn zum vierten Mal zum besten Torwart der Ligue 1, auch in anderen Umfragen lag er vorn. Doch Domenech entschied sich für Barthez. "Es stand 50-50", sagte der Trainer, "es musste eine Wahl getroffen werden." Für Barthez spricht allein die Vergangenheit: Die Erfolge, die Erfahrung, die Tatsache, dass er sich in den großen Spielen nie etwas zuschulden kommen ließ. Auch zählt er auf wichtige Fürsprecher wie Zidane. Und vielleicht ist Domenech dankbar, weil der 34-Jährige ihm, wenn auch zögerlich, von Beginn an die Stange hielt, während andere Stars zurücktraten.

Dass Musterprofi Coupet die Krise kriegt, deckt Fehler in der Vorgehensweise des Trainers auf. Immer wieder verschob er die Entscheidung und stieß den Ausgebooteten dann vor den Kopf. Barthez erfuhr zuerst von seinem Glück, als Coupet eine Woche vor der Reise nach Tignes dann auch mal eingeweiht wurde, war die Neuigkeit längst durchgesickert. Etwas mehr Taktgefühl hätte Coupet, der unter Domenech häufiger im Tor stand als Barthez, schon verdient gehabt, schließlich ist diese WM für den 33-jährigen ewigen Ersatzmann die letzte Chance. Immerhin war Domenechs Krisenmanagement diesmal in Ordnung. Er ging in die Offensive, trat vor die Presse und zeigte Verständnis: "So etwas kann vorkommen, wenn man unter Druck steht." Probleme gehörten eben zum Gruppenleben dazu, es werde auch noch andere geben.

Dann appellierte er staatstragend und selbstbewusst an die Einheit ("wir werden 23 sein am 9. Juli für das WM-Finale") und legte den Zwischenfall ad acta. Zum Abschlusstraining schritten Trainer und Ersatztorwart demonstrativ Seite an Seite, man lachte sogar. Doch wie lange wird der Burgfrieden halten? Vor der Abreise nach Paris stellte sich die Delegation noch zum Gruppenfoto mit dem Hotelpersonal auf. Nur einer fehlte: Fabien Barthez.

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