Wladimir Klitschko vor dem Powetkin-Kampf:Einstein zermürbt sie alle

Heavyweight boxing world champion Klitschko smiles as he is covered in perspiration after defeating Pianeta in Mannheim

Wladimir Klitschko bei seinem Kampf im Mai gegen Pianeta

(Foto: REUTERS)

Es ist der bedeutendste Schwergewichtskampf seit Jahren: Wladimir Klitschko geht als Favorit in das hoch dotierte Duell mit Alexander Powetkin. Der Ukrainer trainiert hart, er hat seinen Stil verfeinert - und boxt nun noch intelligenter.

Von Benedikt Warmbrunn, Going am Wilden Kaiser

23 Stunden und 53 Minuten lang lebte Joshua Tufte zuletzt jeden Tag ein angenehmes Leben. Er schläft in einem komfortablen Hotel in Tirol, um sieben Uhr Morgensport in der Trainingshalle, anschließend ein ausgiebiges Frühstück mit viel Obst und viel Eiern, ausruhen, Mittagessen mit viel Gemüse und viel Proteinen, Mittagsruhe in der klaren Luft am Fuße des Wilden Kaisers, um 16 Uhr zurück in die Trainingshalle, aufwärmen, lockern, Hände bandagieren, Seilspringen, Schattenboxen, Handschuhe anziehen, Mundschutz rein. 23 Stunden und 53 Minuten lang stellte der Tag für Tufte keine Herausforderung dar.

Dann ging Tufte drei Stufen nach oben, zu einem Seilgeviert. Dort wartete auf ihn eine Herausforderung, die er sich nicht schwerer vorstellen kann. Dort wartete Wladimir Klitschko.

Es ist ein Nachmittag Mitte September, Tufte klettert durch die Seile, er steht seinem Gegner nun gegenüber. Klitschko grinst. Tufte nickt. Dann boxen sie gegeneinander, zweimal drei Minuten lang, dazwischen eine Minute Pause. Wladimir Klitschko bleibt dabei Wladimir Klitschko, 37, der Schwergewichtsweltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF, der Mann, der die Gewichtsklasse seit Jahren dominiert. Joshua Tufte bleibt auch Joshua Tufte, 26, ein Talent aus Kernersville, North Carolina, 14 Kämpfe, 14 Siege.

"Nur ein Gedanke: überlebe!"

Zugleich ist Tufte nun aber Alexander Powetkin, den die WBA ebenfalls als Weltmeister führt (Klitschko als sogenannten Superchampion) und auf den Klitschko am kommenden Samstag in Moskau trifft. Tufte ist nun der Mann, der Klitschko in Schwierigkeiten bringen soll.

Das Duell zwischen Klitschko und Powetkin ist der wichtigste Boxkampf des Jahres außerhalb der USA, dazu der bedeutendste der einst so ruhmreichen Klasse der schweren Männer, seit Wladimirs älterer Bruder Vitali gegen den Briten Lennox Lewis verloren hat. Das war 2003.

Klitschko gegen Powetkin ist ein politisch aufgeheiztes Duell, der Ukrainer Klitschko gegen den Russen Powetkin, die Kampfbörse von umgerechnet 17,84 Millionen Euro. Angeblich interessiert sich sogar der russische Präsident Wladimir Putin für den Ausgang des Kampfes. Und doch kümmert Tufte an diesem Nachmittag all das nicht. "Wenn ich gegen Wladimir in den Ring steige", sagt Tufte, "habe ich nur einen Gedanken: überlebe!"

Die erste Runde. Tufte, klein, füllig, bewegt sich wie Powetkin (klein, füllig), er schleicht um Klitschko (groß, durch- trainiert) herum, den Kopf geduckt, leicht wackelnd, er schlägt viel, Gerade zum Körper, Schwinger über Klitschkos linken Arm zum Kopf. Er trifft nicht.

Tufte, der Mann, der mehrmals in der Woche mit Klitschko in den Ring steigt, der immer wieder aufs Neue versucht, diesen Mann zu schlagen, der immer wieder aufs Neue daran scheitert, Tufte also sagt: "Du kannst gegen Wladimir machen, was du willst, er stellt sich darauf ein. Um ihn zu besiegen, brauchst du immer auch einen Plan B und Plan C."

"Niemand denkt so schnell wie Wladimir"

Wladimir Klitschko hat in den vergangenen Jahren seinen Stil verfeinert, er boxt aufrechter, das Gewicht auf den Fersen, der linke Arm, die Führhand, hält die Gegner auf Distanz, zermürbt sie mit jedem Schlag. Wladimir Klitschko ist ein kaum zu treffender Boxer geworden, ein Meister der Defensive, kombiniert mit enormer Power. Dass er, der Olympiasieger von 1996, auch gegen Powetkin, immerhin der Olympiasieger von 2008, als klarer Favorit gilt, liegt jedoch nicht an seiner Größe, seiner Haltung, seiner Kraft.

"Es geht um eine Eigenschaft, die im Boxen nicht oft zu sehen ist", sagt Jonathon Banks, Klitschkos Trainer, "es geht um Intelligenz. Niemand denkt so schnell wie Wladimir, niemand kann den Gegner so gut lesen." Tufte, der mehrmals in der Woche von Klitschko gelesen wird, sagt: "Wladimir ist der Einstein des Boxsports." Wladimir Klitschko sagt: "Je höher du gehst, desto besser wird dein Blick auf den Berg."

Die zweite Runde. Klitschko hat sich Tufte eine Runde lang angeschaut, er weiß nun, wie dieser um ihn herum schleicht, dass er den Kopf duckt und wackelt, dass er Geraden zum Körper schlägt, Schwinger über den linken Arm zum Kopf. Tufte ist nun zwar ein zäher Gegner, ein Gegner, gegen den Klitschko immer aufpassen muss, der ihn mit einem Schlag böse treffen könnte. Und doch kann er ihn sich nun ausrechnen. Und trifft ihn. Immer wieder. Linke Gerade. Rechte Gerade. Aus allen Winkeln. "Es bringt so viel Spaß, ein paar Dinge zu ändern, so dass du die Konkurrenten frustrierst", sagt Wladimir Klitschko.

Klitschko hat diese Frustrationskraft jahrelang verbessert, in Gesprächen, in Kämpfen, im Sparring mit zähen, ehrgeizigen Boxern wie Joshua Tufte. Dazu laufen während des Trainings auf zwei Bild- schirmen Aufnahmen der Kämpfe des nächsten Gegners, "die schaust du dir tausendmal an", sagt Klitschko, "und jedes Mal kriegst du einen anderen Blick".

Dieser Blick macht Klitschko nahezu unbesiegbar - und dieser Blick ist es auch, der seinen Status in der Geschichte des Schwer- gewichtsboxens definieren wird: ein Boxer, der sich auf seine Intelligenz verlässt.

Ein Gong erklingt, das Ende der zweiten Runde. Wladimir Klitschko klopft Joshua Tufte auf die Schulter, er lächelt ihm aufmunternd zu. Er wurde herausgefordert, und doch hat er alles gesehen. Joshua Tufte klettert aus dem Ring, Mundschutz raus, Handschuhe weg, Bandagen ab. Trinken. Atmen.

Er weiß, dass er verloren hat. Er weiß aber auch, dass er, das 26 Jahre alte Talent aus Kernersville, North Carolina, nun einen besseren Blick auf den Berg hat.

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