Wladimir Klitschko:Plötzlich in der Haut eines Verlierers

Wladimir Klitschko

Kein Entkommen: Wladimir Klitschko (links) muss sich zum ersten Mal wieder geschlagen - nach elf Jahren und sieben Monaten.

(Foto: AFP)
  • Nach elf Jahren und sieben Monaten verliert Wladimir Klitschko das erste Mal. Die Niederlage im WM-Kampf gegen Tyson Fury lässt den Ukrainer verstört und ratlos zurück.
  • Ein Rückkampf ist vertraglich fixiert.
  • Hier geht es zur Rundenkritik des WM-Kampfes.

Von Saskia Aleythe, Düsseldorf

Natürlich reißt Wladimir Klitschko die Arme hoch. Boxer machen das so, wenn die Ringglocke schrillt. Doch dann wird es surreal. Wladimir Klitschko ist ruhig, alle sind sie ruhig um ihn herum, seine Mannschaft aus Trainer, Bruder, Management, sie stehen mit ihm in einer Ringecke. Es gibt ein paar Rückenklopfer, wortlos. Auf der anderen Seite: britisches Gewusel, kräftige Umarmungen. Und daneben Ringsprecher Michael Buffer, der verkündet: Es gibt einen neuen Schwergewichts-Weltmeister. Taaaaaaiiiissssseeen Fjuuuuuriiiiii. Alles was britisch ist, hüpft. Klitschko schluckt.

Elf Jahre und sieben Monate, 4249 Tage insgesamt. So lange war der Ukrainer unbesiegt. Nun ist er gleich drei Gürtel los, den der WBA, WBO und IBF. Tyson Fury ist plötzlich Weltmeister im Schwergewicht. Ein Ereignis, auf das außerhalb des Fury-Lagers die wenigsten gewettet hätten. In Düsseldorf war das nun Realität: Einstimmig entschieden die Punktrichter für Fury (115:112, 115:112, 116:111).

Das Gefühl der Niederlage, Klitschko hatte es eine Ewigkeit nicht mehr empfunden. "Unser ganzes Team ist traurig nach all den Jahren. Das war eine dieser Nächte, wo auch mal die Sterne schlecht stehen", befand Manager Bernd Bönte. "Es ist ungewohnt, in einer anderen Haut zu stecken", sagte Klitschko auf dem Pressepodium nach dem Kampf. Und meinte die Haut eines Verlierers.

Da saß er nun. Gefasst, professionell wie immer. Er gratulierte Fury, der verdient gewonnen hätte. Doch sah er dabei aus wie sonst nur seine Gegner: Unter dem linken Auge ein verarzteter Cut, rechts an der Augenhöhle blaue Schatten, an der Stirn eine Beule. "Mein Gesicht im Spiegel sieht nicht so vernünftig aus", sagte Klitschko, "im Boxen gibt es oft Nebenwirkungen. Die habe ich heute zu spüren bekommen." Zwei Plätze links von ihm: Tyson Fury fast ohne Blessuren. Und vor allem: Mit seinen Gürteln. Verkehrte Welt in Düsseldorf.

Was Klitschko wirklich zu schaffen machte, war die Zappelei von Fury: Der Engländer tänzelte ständig von der Rechts- in die Normalauslage, bewegte sich viel, war wendig und schwer bis gar nicht berechenbar. "Er war schnell mit seinen Händen und seinem Körper", sagte Klitschko später, "seine Größe und seine Reichweite haben eine Rolle gespielt. Ich habe einfach kein Rezept gefunden". Klitschko konnte sich seine Gegner jahrelang mit dem Jab vom Hals halten - gegen Fury ging das nicht, der Engländer hatte schließlich die längeren Arme. Die er auch schon mal lässig hinter dem Rücken verschränkte - provokanter ging es nicht.

Dieser Fury bleibt weiterhin ein Rätsel

Die ersten vier Runden waren viel Schattenboxen und Ausweichen. In der fünften Runde traf Fury Klitschko empfindlich, der blutete fortan unter dem linken Auge. Die restlichen Runden wurde hauptsächlich geklammert. Zweimal landete Klitschkos Rechte auch beim Gegner, aber ohne ihn ins Wanken zu bringen. "Die erste Hälfte des Kampfes habe ich mich richtig sicher gefühlt, danach hatte ich nicht mehr das Gefühl für die richtige Distanz", sagte Klitschko. "Ich war auch nach dem Kampf sicher, dass ich es nicht geschafft habe."

Dass er zwölf Runden lang keine Lösung fand, trotz Furys Hampelei ins Boxen zu kommen, überraschte. Wladimir habe generell eine gute Technik und eine gute Kondition, teilte sein Bruder Vitali mit, das Problem in dieser Nacht in Düsseldorf war: "Heute war davon nicht viel zu sehen." Im Trainingscamp hatte Wladimir 200 Sparringsrunden absolviert - mit ähnlichen Kämpfern wie Fury einer ist.

Wobei: Wer dieser Fury überhaupt ist, bleibt weiterhin ein Rätsel. Er hatte sich ja allerhand einfallen lassen, um den Kampf zu vermarkten, er gab verstörende Interviews, beleidigte, schauspielerte, sang - als neuer Weltmeister musste er sich erst einmal sammeln. Schon beim ersten Interview im Ring brach ihm die Stimme weg, dann sang er schon wieder, diesmal ein Ständchen für seine Frau, die mit dem dritten Kind schwanger ist, erst einen Tag vor dem Kampf hatte Fury davon erfahren. Fury sang Aerosmith, Klitschko blickte säuerlich durch den Ring - es kann nicht viele Momente im Leben des Ukrainers gegeben haben, die schlimmer waren.

Es wird einen Rückkampf geben

"Diesen Sieg hat mir Gott geschenkt", meinte Fury dann noch, "da ist ein Traum wahr geworden." Fury schwitzte, Fury schnaufte, resümierte auf Nachfrage auch gerne seine Boxkarriere: Er entstammt einer Kämpferfamilie, sein Vater und andere diverse Verwandte hatten sich im Boxen versuchen, nur ihm war nun der WM-Titel gelungen. Dann strich sich der 2,06-Meter-Mann mit beiden Händen übers Gesicht, massierte die Augenhöhlen und kleine Tränen weg.

Einen Rückkampf soll es definitiv geben, eine Klausel im Vertrag verlangt das. Furys Onkel und Trainer würdigte die Klitschko-Brüder noch als große Weltmeister im Schwergewicht - und kündigte mit Verweis auf Fury an: "Ihr seht hier die zukünftige Schwergewichts-Sensation". Wladimir Klitschko saß wie festgemeißelt in seinem Stuhl. Nur die Augen bewegte er hin und wieder. In seinem Blick loderte es noch.

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