Wladimir Klitschko:"Ich fühle mich mit 39 besser als mit 29"

Wladimir Klitschko v Bryant Jennings - Open Workouts

Üben für das Leben nach dem Boxen: Weltmeister Wladimir Klitschko, 39, engagiert sich bereits als Fitness-Berater.

(Foto: Al Bello/Getty Images)

Der Boxer verteidigt seinen WM-Titel gegen Bryant Jennings: Ein Gespräch über den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören.

Interview von Benedikt Warmbrunn

SZ: Herr Klitschko, wovor haben Sie, der Boxweltmeister im Schwergewicht, Angst?

Wladimir Klitschko: Natürlich habe auch ich Angst, die nimmt mir mein Titel nicht weg. Jeder Mensch kennt Ängste, das ist ein Geschenk der Natur. Ich versuche, Ängste immer positiv zu sehen. Ich habe zum Beispiel Angst zu verlieren - also trainiere ich sehr diszipliniert. Oder Höhenangst: Die habe ich auch. Aber das ist ja nur ein Selbstschutz. Du trittst nicht zu nah an den Abgrund. Wenn ich diese Angst nicht hätte, wäre ich schlaff und unaufmerksam.

Sie haben schon früh gesagt, dass Sie Angst davor haben, nicht den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu finden. Am Samstag boxen Sie in New York gegen Bryant Jennings, Sie sind der Weltmeister - und Sie sind 39 Jahre alt: Wie groß ist diese Angst inzwischen?

Natürlich denke ich darüber nach. Wir wiederholen ja immer wieder die Fehler, die andere schon gemacht haben. Viele der großen Meister des Boxens sind zu lange dabeigeblieben, und am Ende haben sie verloren.

Joe Louis zum Beispiel. Oder Muhammad Ali.

Genau. Ich glaube allerdings nicht, dass sie verloren haben, weil sie alt waren. Das Alter sehe ich eher als Vorteil. Ich fühle mich mit 39 besser als mit 29. Mein Durchhaltevermögen ist größer, meine Schnelligkeit hat sich verbessert, meine Ausdauer ist besser, auch meine Balance. Meiner Theorie nach verlieren große Meister, wenn sie nicht mehr motiviert sind - und wenn sie sich nicht mehr weiterentwickeln. Die Konkurrenz liest irgendwann ab, was du machst. Und wenn du immer das Gleiche tust, dann wird es auch dich irgendwann erwischen.

Wie wehren Sie sich gegen die Zeit?

Ich suche immer nach neuen Trainingsmethoden, nach neuen Trainingsinhalten. Es geht darum, sich zu quälen - aber du darfst nicht übertreiben. Zu viel und immer das Gleiche zu trainieren, ist schlimmer, als zu wenig zu trainieren. Dann verlierst du oft die Lust, dann bekommst du als Sportler einen Burn-out. Du willst dann gar nichts mehr machen. Aber es gibt Verträge, und du machst weiter. So lange, bis du verlierst.

Hatten auch Sie einen Burn-out?

Ja. Das war 2003. Nachdem ich gegen Corrie Sanders verloren hatte. Ich hatte in den Jahren zuvor unglaublich viel geboxt. Ich weiß noch, dass ich im ersten Jahr innerhalb von zwölf Monaten 15 Kämpfe hatte. Vielleicht waren es auch 16 oder 17. Es gab Monate, in denen ich jeden Samstag geboxt habe. Das ging immer weiter, immer nach vorne. Und ich bin nur noch von einer Vorbereitung in die andere gesprungen. Im Dezember 2002 hatte ich noch gegen Jameel McCline geboxt. Und am 8. März: schon wieder Boxen. Ich war definitiv nicht motiviert und hatte nur noch einen Gedanken: Ich haue den in der ersten oder zweiten Runde um - und dann fahre ich endlich in den Urlaub.

Dann aber wurden Sie selbst in der zweiten Runde ausgeknockt.

Ich kann Ihnen versichern: Das war nicht schmackhaft. Ich hatte richtig trainiert, hatte nichts falsch gemacht. Aber ich war der Verlierer. Damit musste ich erst einmal klarkommen. Ich wollte zunächst vom Boxen nichts mehr hören oder sehen.

Was machen Sie seitdem anders?

Manche sagen: Im Alter musst du mehr trainieren. Ich aber sage: Im Alter musst du weniger trainieren. Ich mache jetzt viel mehr Pausen. Natürlich trainiere ich weiter sehr intensiv und viel spezifischer. Doch ich mache nur noch das, was mich die Zeit im Ring genießen lässt. Ich nehme mir auch mehr frei. Wenn du sieben Tage lang unter Spannung stehst, wirst du irgendwann gebrochen sein.

Was machen Sie, um sich abzulenken?

Natürlich bleibt Boxen immer im Kopf, aber ich bin physisch nicht angespannt und daher abends nicht auch noch zusätzlich mental schlapp. In meiner boxfreien Zeit spiele ich einfach mal ein paar Stunden Schlagzeug, gehe Kite-Surfen oder Golfen. Manchmal mache ich auch Gehirn-Trainingsspiele. Da sitze ich dann eine Stunde lang vor einem Computer und bekomme Herausforderungen gestellt, die meinen Geist wachhalten. So bleibe ich viel motivierter. Und ich glaube, dass ich so noch lange erfolgreich boxen kann.

Welcher Boxer hat Ihren Studien zufolge den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören gefunden?

Mein Bruder, auch wenn das unbewusst war. Durch sein Engagement in der Politik hatte er einfach keine Zeit mehr, um sich auf den Sport zu konzentrieren. Das beeindruckt mich: Dass er seine Karriere für danach schon während seiner Profikarriere aufgebaut hat. Irgendwann kommt einfach der Punkt, an dem du dir mehr Abwechslung wünschst, an dem du an anderen Dingen auch Spaß findest. Du lebst ja dein Leben nicht, um zu trainieren, sondern du willst Dinge machen, die dich unterhalten. Das klingt jetzt sehr philosophisch, oder?

Philosophieren Sie ruhig weiter.

Nun ja, es sind ja wahre Worte. Ich habe das schon oft beobachtet. Viele Boxer haben ja auch nicht weitergemacht, weil es ihnen so viel Spaß gemacht hat, sondern aus anderen Gründen. Wegen des Geldes zum Beispiel.

Das sollte Ihnen ja kaum passieren.

Ich werde jedenfalls sicher nicht ewig Profisportler sein. Auch ich bin gerade dabei, mir neben dem aktiven Boxen eine zweite Karriere aufzubauen. Und da schaue ich eben gerne auf meinen Bruder. Vitali hat 2004 bei der Orangenen Revolution in der Ukraine mit der Politik angefangen. Dann hat er sich immer weiterentwickelt. Er hatte zwar ein Comeback im Ring, aber irgendwann ist die Politik immer wichtiger und der Sport immer unwichtiger. Und so hat er aufgehört, ohne als ein alter, geschlagener Boxer aus dem Ring zu kriechen. Er ist mit 42 Jahren in einem Alter aus dem Sport gegangen, in dem er noch genug Energie hatte, um eine neue Aufgabe für sich zu finden. Das muss das Ziel sein.

Was werden Sie denn einmal machen?

Dafür erarbeite ich mir mit der Klitschko- Management-Group verschiedene Strategien und Konzepte. Zum einen engagiere ich mich mit der KMG und mit K2 Promotions schon jetzt sehr im Boxgeschäft. Zum anderen habe ich bewiesen, dass mein Erfolg ein System hat. Dieses will ich weitergeben. Anfang nächsten Jahres wird es zum Beispiel an der Universität St. Gallen einen von mir initiierten Studiengang zum Thema "Challenge Management" geben. Daneben habe ich vor Kurzem ein Fitness-Onlineportal auf den Markt gebracht, mit dem jeder nach meinen Plänen trainieren und sich ernähren kann.

Also wird auch der jüngere Klitschko-Bruder spätestens mit 42 in seine nächste Karriere starten?

Nein, nein. Da können Sie mich nicht locken. So eine Aussage werde ich nicht treffen. Das hängt einfach von zu vielen Faktoren ab. Wichtig ist, dass ich mich auf das Karriereende vorbereite - und dass ich nicht auf einmal überrascht bin und mir das ganze Umfeld fehlt.

George Foreman zum Beispiel hatte aufgehört, war Prediger - und dann ist er doch noch einmal zurückgekehrt.

Ja, ursprünglich, weil er Geld für seine Kirche brauchte, und das bekam dann eine Eigendynamik. Seine alten Box-Shorts musste er erweitern, weil er so zugenommen hatte. Da hat ihn der Ehrgeiz gepackt. Die meisten Kämpfe nach seiner Rückkehr sind aber sicher nicht so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hat, er hat ja ziemlich viel eingesteckt. Gerade im Kampf gegen Michael Moorer, als Foreman der älteste Weltmeister wurde, das war schon bemerkenswert. Aber bevor Sie mich fragen, ob ich mir ein Comeback vorstellen könnte: Ich sage nur, dass ich mich jetzt nicht begrenzen werde. Ich werde nicht sagen: bis dann - und nicht weiter. Aber es ist mir bewusst, dass ich nicht ewig boxen werde.

Der Kampf gegen Jennings ist Ihr erster in den USA seit 2008, seit einer Titelvereinigung gegen Sultan Ibragimov in New York. Warum waren Sie so lange weg?

Es ist wirklich schön, wieder in den USA zu sein. Aber weil Sie da einen Vorwurf andeuten: Ich finde, dass ich in Europa viele große Kämpfe gemacht habe, die so nur in Europa möglich waren. Zum Beispiel 2009 gegen Ruslan Chagaev in Gelsenkirchen, im Fußballstadion, vor 61 000 Zuschauern. Ich habe insgesamt sechsmal in einem ausverkauften Stadion geboxt, und das Interesse außerhalb der USA war immer riesengroß. Ich denke, dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt für ein bisschen Abwechslung ist. Also kehre ich in die USA zurück, dazu in den Madison Square Garden mit seiner Tradition an großen Box-Kämpfen.

Wie erklären Sie sich, dass Sie in den USA kritischer gesehen werden als in Europa?

Zum Boxen gehören ja immer zwei. Als ich gegen Ibragimov in den Ring getreten bin, war er nicht gekommen, um zu kämpfen. Ich konnte kaum etwas machen, weil er sich nur versteckt hat. Das war langweilig, und wahrscheinlich haben sich das viele Zuschauer gemerkt. Nach meinem letzten Kampf gegen Kubrat Pulev, der von HBO in den USA übertragen wurde, ist das Interesse jedoch wieder deutlich gestiegen.

Pulev hatten Sie im November in der fünften Runde ausgeknockt. Davor hatte er Sie als ein sehr offensiver Gegner aber auch durchaus gefordert.

Eben. Das ist es, was die Leute sehen wollen. Das einzig Gute, was ich über Pulev sagen kann, ist: Er ist gekommen, um zu gewinnen. Also hatten wir einen guten Kampf. Und auf einmal ist es so, dass die amerikanischen Fans wollen, dass ich da bin. Das amerikanische Fernsehen will, dass ich da bin. Der Madison Square Garden will, dass ich da bin. Und ich boxe natürlich dort, wo die Nachfrage am größten ist.

Die amerikanischen Box-Fans wollen im Schwergewicht am liebsten Schläger wie früher Mike Tyson sehen. Warum haben es Strategen wie Sie hier schwerer?

Natürlich kann man sich über meinen Stil beschweren. Ich denke aber: Safety first. Ich möchte nicht getroffen werden. Das ist für mich die wahre Kunst des Boxens. Am liebsten wäre mir ein Kampf, in dem ich nicht ein einziges Mal getroffen werde - und dann irgendwann meinen Gegner ausknocke. Natürlich verstehe ich, dass ein wilder Schlagabtausch mehr Action hat und unterhaltsamer sein kann. Aber denken Sie nur an Floyd Mayweather: Er ist ein Stratege, er boxt sehr defensiv - aber kein anderer Sportler verdient mehr als er. Weil ihn die Leute sehen wollen.

"Ich bin in meinem Element. Und ich will noch ein bisschen auf dieser Bühne bleiben."

Bryant Jennings, WBC-Weltmeister Deontay Wilder, der Brite Tyson Fury: Nach langer Zeit gibt es wieder Gegner für Sie, die interessante Kämpfe versprechen. Wie schwer war es für Sie, geduldig auf diese Zeit zu warten?

Na ja! Ich glaube schon, dass jeder meiner bisherigen Gegner in seinem Kampf gegen mich die Chance seines Lebens gesehen hat. Aber es stimmt: Die drei Boxer, die Sie genannt haben, die sind wirklich gut. Ich freue mich daher, auf die Zeit, die jetzt kommt. Ich werde nicht müde, auf der Pressekonferenz zu hören, dass die jüngeren Boxer mich durch den Ring scheuchen werden. Oder wenn sie wie Jennings sagen, dass ich schon graue Haare hätte. Das finde ich lustig. Das unterhält mich.

Aber dass Sie sich jetzt gegen bessere Gegner beweisen können, das reizt Sie schon auch?

Natürlich stimmt es, dass ich in einem Boxkampf nur gut aussehe, wenn mich mein Gegner vor eine Herausforderung stellt. Aber bei einem WM-Kampf zählt mehr als große Worte oder deine bisherigen Taten. Da musst du zum Mann werden. Ibragimov oder David Haye hatten große Taten angekündigt, sie hatten sicher auch eine Strategie: Aber im Ring kam nichts. Sie waren dem Druck nicht gewachsen. Dem Druck der Zuschauer. Und dem Druck durch jeden einzelnen meiner Schläge.

Sollten Sie Jennings besiegen, sind Sie seit neun Jahren und drei Tagen ununterbrochen Weltmeister. Zum Rekord von Joe Louis fehlen Ihnen dann nur noch zwei Jahre, acht Monate und fünf Tage. Wie sehr treibt Sie das an?

Überhaupt nicht. Ich schaue nicht, wo mein Platz in der Geschichte ist. Das kann ich mir anschauen, wenn ich irgendwann aufgehört habe.

Und wie wollen Sie dann als Boxer in Erinnerung bleiben?

Auch darauf werde ich nicht antworten. Das klingt sonst so, als ob ich am Ende meiner Karriere wäre. Glauben Sie mir: Ich genieße meine Zeit im Sport. Ich war schon richtig am Boden, 2003 zum Beispiel, ich war zerstört, ich war der Loser der Klitschkos, ein Weichei. Daher weiß ich, dass ich mir verdient habe, was ich jetzt habe. Ich bin in meinem Element. Das ist meine Bühne. Und ich will noch ein bisschen auf ihr stehen bleiben.

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