Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Zwischen Grübeln und Lockerheit

Vier Siege im Weltcup, zwei Erfolge im Europacup: Die Para-Skifahrerin Anna-Maria Rieder kann auf eine beeindruckende Serie verweisen. Für den Bundestrainer gilt sie bei künftigen Weltmeisterschaften und Paralympischen Spielen als Medaillenkandidatin.

Von Jonas Hüster

Wenn Anna-Maria Rieder kurz vor einem Rennen zu angespannt ist, dann ist ihr Skitechniker für sie da, erzählt sie. Er steht am Start, oben auf dem Berg, und kümmert sich um das richtige Material. Was Anna-Maria Rieder in solchen Momenten aber auch braucht, ist eine gewisse Lockerheit. Bevor sie also zum Starthaus muss, um sich dann wenig später den Abhang hinunterzustürzen, sagt ihr Techniker gerne: Sie solle das Ganze wie ein Nachwuchsrennen sehen. "Dann muss ich innerlich schmunzeln," sagt Rieder, "das hilft ganz gut und ich kann befreiter fahren."

Dass die 21-Jährige aus Oberammergau schnell fahren kann, hat sie in den vergangenen Wochen mehrfach gezeigt. Beim Weltcup der Para-Ski-Alpinen im österreichischen Leogang sicherte sie sich vier Siege in vier Rennen, davor gewann sie zweimal hintereinander im Europacup. An diesem Freitag findet das letzte Europacup-Saisonrennen in Malbun in Liechtenstein statt, am Mittwoch wurde sie dort beim vorletzten Lauf Zweite. Der Titel in der Gesamtwertung ist ihr schon jetzt nicht mehr zu nehmen. Sie fährt in der Startklasse der stehenden Frauen (LW9-1), vor allem im Slalom und Riesenslalom. Seit der Saison 2015/16 gehört sie zum Nationalteam.

Die Schule hat Rieder abgeschlossen - nun will sie sich voll auf den Sport konzentrieren

Woher ihre aktuelle Dominanz kommt, kann Rieder sich selbst kaum erklären. "Ich habe versucht, einfach nur Spaß zu haben, hatte viele gute Trainingstage mit dem Team und zusätzlich daheim mit meinen Eltern, die meine Heimtrainer sind", sagt sie. "Insgesamt konnte ich heuer meine Trainingsleistungen besser im Wettkampf umsetzen." Über die Saison sei sie sicherer geworden, anfangs habe sie noch leichte Probleme gehabt, wenn die Bedingungen nicht zu ihrem Fahrstil und zur Art ihrer Beeinträchtigung passten. Rieder hat eine sogenannte Hemiparese, ihre linke Körperseite ist gelähmt.

Dabei sei Rieder inzwischen auf allen Geländen recht stabil, sagt Bundestrainer Justus Wolf - bei ihr hänge es eher vom Schnee ab. Wenn die Piste besonders eisig sei, werde es schwieriger für die Skifahrerin. Er sei aber absolut zufrieden mit ihr, für künftige Weltmeisterschaften und Paralympische Spiele sieht Wolf in ihr eine Medaillenkandidatin. Worin Rieder sich verbessern könne, sei das Thema Lockerheit. "Sie macht sich enorm viele Gedanken, was ja grundlegend gut ist. Manchmal aber eben zu viel, sie verkopft dann im Wettkampf," sagt Wolf. In dem Punkte gebe sie ihrem Coach recht, meint Rieder selbst. Sie überlege vor oder zwischen den Durchgängen, was sie besser machen könnte - manchmal auch, welche Ränge noch möglich sind: "Wenn ich nur daran denke, fahre ich nicht mehr gescheit Ski."

In dieser Saison habe sie aber an Lockerheit gewonnen und weniger an die Platzierungen gedacht. Ein Grund dafür sei, dass sie die Schule beendet habe. Vorher sei es eine Doppelbelastung gewesen, wenn sie Schulalltag und Skifahren miteinander vereinbaren musste. Nachdem sie das Abitur in Garmisch-Partenkirchen gemacht hat, will sich Rieder jetzt voll auf den Sport konzentrieren. Sie hofft auf einen Platz im Zoll-Skiteam, dort steht sie auf einer Warteliste. Eigentlich hätte sie schon nach Beendigung der Saison 2019/2020 Mitglied werden sollen, erzählt Rieder. Durch die Verschiebung der Sommerparalympics auf 2021 seien aber die Plätze für die professionelle Sportförderung der Wintersportler teilweise blockiert gewesen. Für 2021 sehe es ganz gut aus.

Dieses Jahr hätte erstmals eine gemeinsame WM im Para Ski nordisch, Para Snowboard und Para Ski alpin stattfinden sollen

Mit zwei Jahren stand Rieder das erste Mal auf Skiern, sie startet für den RSV Murnau und den SC Garmisch. Es sei immer klar gewesen, dass sie den Sport erlernen würde. Ihre Eltern arbeiten als Trainer im Spitzensport und Nachwuchsbereich, sie hat die Berater praktisch auf dem Sofa sitzen, das hilft nicht nur in der Vorbereitung, sondern das ganze Jahr über.

Während der Corona-Pandemie konnten immerhin fast alle Lehrgänge des Nationalteams stattfinden. Die ganze Saison sei trotzdem ein Kraftakt gewesen, sagt Bundestrainer Wolf. Es brauchte viel Bürokratie, Abrechnungen, Tests und Übernachtungen mussten organisiert werden: "Jeder Weltcup war in etwa so anstrengend wie sonst die Paralympics. Aber wir haben es hingekriegt."

Rieder ist froh, dass sie noch immer Ski fahren kann, trotz Pandemie. "Ich nehme das so hin, wie es ist. Anderen Menschen geht es schlechter, manche haben ihren Job verloren," sagt sie. Die diesjährige WM wurde wegen des Coronavirus verschoben, eigentlich hätten erstmals gemeinsame Weltmeisterschaften im Para Ski nordisch, Para Snowboard und Para Ski alpin stattfinden sollen. Das Turnier ist nun für das kommende Jahr vor den Paralympischen Spielen geplant. Es wäre ihre dritte WM - bei ihrer ersten Teilnahme 2017 holte sie Bronze im Slalom. Neben den Weltmeisterschaften hat Anna-Maria Rieder 2018 auch in Pyeongchang an den Paralympischen Spielen teilgenommen. Einmal dort eine Medaille zu holen, wäre schon "sehr cool", sagt sie. Nur zu viel Druck machen möchte sie sich nicht. Aber für den Notfall hat sie ja ihren Techniker.

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