Wintersport und Klimaschutz:Skihalle statt Südamerika

Wintersport und Klimaschutz: Im vergangenen Winter allen voraus: Martin Nörl (gelbe Hose) wird sich strecken müssen, um beim Saisonauftakt mit der Weltspitze mitzuhalten.

Im vergangenen Winter allen voraus: Martin Nörl (gelbe Hose) wird sich strecken müssen, um beim Saisonauftakt mit der Weltspitze mitzuhalten.

(Foto: Ilya Naymushin/Imago)

Um das Klima zu schützen, verzichteten die deutschen Snowboarder zuletzt auf das Sommertraining auf der Südhalbkugel - und nehmen dafür einen möglichen Wettbewerbsnachteil in Kauf.

Von Johannes Knuth

Für einen Snowboardcrosser war Martin Nörl in den vergangenen Wochen auf recht unbekanntem Terrain unterwegs. Das Habitat des 29-Jährigen ist für gewöhnlich ein Kurs mit Steilwandkurven, Sprüngen und Wellen, in diesem Herbst fanden er und seine deutschen Kollegen sich dann in einer Skihalle in den Niederlanden wieder. "Ich war erst recht skeptisch", sagt Nörl, "ich dachte aber auch, es ist schlechter." Ein paar Riesenslalomtore und Steilwandkurven ließen sich schon in den Schnee pressen, es gab sogar einen Park für Sprünge und Tricks. "Da sind wir auch ein bisschen freestylen gegangen", sagt Nörl, er lacht, "was ein Boardercrosser halt so kann."

Der Anlass für die ungewohnte Exkursion war ein nicht ganz so freudiger. Die Gletscher, auf denen die Snowboarder im Sommer und Herbst in Europa trainieren, waren zuletzt geschlossen oder kaum befahrbar, so weit war die Sommerhitze in die Höhe gekrochen. Und in die Wintergebiete auf der Südhalbkugel, nach Chile und Argentinien, wollten die Deutschen nicht reisen, ganz bewusst. Sie nehmen dafür sogar in Kauf, dass sie im kommenden Winter vielleicht nicht ganz mithalten werden mit den Besten, zumindest in den ersten Rennen.

Der deutsche Verband Snowboard Germany, der Deutsche Skiverband sowie die Stiftung Sicherheit im Skisport haben vereinbart, dass sie bis 2030 ihren CO2-Ausstoß halbieren wollen. 2040 wolle man sogar klimaneutral agieren, sagt Snowboard-Verbandspräsident Hanns-Michael Hölz. Er räumt ein: "Das sind herausfordernde Zielsetzungen". Er wolle aber nicht bloß "ganz viel über das Thema reden", sondern auch "zum Handeln kommen". Das manifestiert sich derzeit in kleineren und größeren Dingen; von der Fahrgemeinschaft zum Skigebiet im Ausland bis zum Beschluss der Snowboarder, sich in diesem Sommer exklusiv in Europa auf die nahende Saison vorzubereiten - wenn es sein muss in der Skihalle. "Wenn wir jetzt zum Training nach Südamerika fliegen würden", sagt Hölz, "wären wir ja Teil des Problems und nicht der Lösung."

Manche Athleten fänden es sinnvoll, erst im Herbst mit dem Training im Schnee zu beginnen

Die Sportverbände haben sich dabei mit "Sports for Future" zusammengetan, einem Bündnis, das den Klimawandel im und mit Sport bekämpfen will. Dessen Vorsitzender Stefan Wagner sagt: "Wir müssen sichtbar machen, wie gravierend die Veränderungen schon sind", bei der Gletscherschmelze etwa. Wagner findet es "problematisch, wenn man dem Wintersport allein den Schwarzen Peter zuschiebt", wichtiger sei, dass alle Parteien feststellten: "Wir haben echt ein Problem, wir sind alle für die Lösung verantwortlich." Und da gebe es kaum bessere Botschafter als Sportler, findet er. Die Athleten erlebten ja als Erste, wie ihnen die Gletscher unter den Skiern und Boards wegschmelzen.

Stefan Baumeister, einer der besten Raceboarder der vergangenen Jahre, kann das bestätigen. Weil der Gletscher in Zermatt im Sommer geschlossen war, wichen er und die Kollegen nach Saas-Fe aus, und auch dort hockten sie oft im Hotel. "Wenn dann dort das Wasser den Berg herunterströmt und man weiß, das ist kein geschmolzener Schnee, sondern geschmolzenes Eis vom Gletscher, wird man schon nachdenklich", sagt Baumeister. Statt weiter aufs Eis zu drängen, fände er es sinnvoller, grundsätzlich erst im Herbst auf Schnee zu trainieren - so, wie es die Alpinen immer wieder diskutieren, bislang noch ohne Beschluss. Er sei jedenfalls froh, sagt Baumeister, dass Snowboard Germany die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz so sehr in den Fokus rücke.

Seine Kollegin Ramona Hofmeister, die dreimalige Gesamtweltcupsiegerin, sieht es pragmatisch. Die wenige Zeit, die man vor dem Winter im Schnee trainiere, müsse man eben so gut es geht nutzen. Dafür habe sie umso intensiver im Kraftraum geschuftet, "dann steht man auch topfit auf dem Schnee", findet Hofmeister. Sie fühle sich derzeit sogar noch fitter als sonst.

Die Snowboardcrosser können nicht so leicht auf Schneetage verzichten - das ist auch eine Frage der Sicherheit

Martin Nörl, der im vergangenen Winter die Gesamtwertung der Boardercrosser gewann, wiegt seine Worte sorgfältig, ehe er sie zu einem Statement verwebt: "Ich glaub schon, dass es was bringt, wenn man nicht dort hinfährt", er meint: im Sommer in den Süden. Nur: "Eine Skihalle ersetzt keinen echten Schnee oder echten Berg." Snowboardcrosser fahren die längsten Kurse, sie rangeln oft zu viert nebeneinander im Lauf, über mehrere Runden - da müsse man vor der Saison genügend Tage den Ernstfall proben, "das ist ja auch eine Frage von Sicherheit", sagt Nörl. "Am Ende", sagt er, "ist es unser Job. Wir müssen gucken, dass wir bestmöglich auf den ganzen Winter vorbereitet sind."

Das weitet schon den Blick auf die kommenden Winter: Wer viel Schnee braucht, wie die Snowboardcrosser und die alpinen Abfahrer für ihre Kurse, zugleich Weltspitze sein will und das alles mit blütenweißem Umweltgewissen - dem steht ein Slalomlauf bevor. Nörl findet: "Auf Dauer werden wir uns überlegen müssen, wie wir in Europa weltcup-taugliche Strecken in der Länge fahren können." Viele gibt es im Sommer und Herbst selbst bei kälteren Bedingungen nicht, in Deutschland sind die Kurse oft erst im Januar rennfertig. Viele Mitbewerber reisten im Sommer wieder nach Südamerika, "kein riesiger Wettbewerbsnachteil", glaubt Nörl, aber ein kleiner wohl schon.

Für die Deutschen war es da nicht gerade von Nachteil, dass der Weltcup-Auftakt in Les-Deux-Alpes zuletzt von Ende Oktober auf Anfang Dezember geschoben wurde, wegen des warmen Wetters. So bleibt noch Zeit, demnächst in Österreich oder Südtirol im Schnee zu trainieren. Aber allein aufs Glück - und die Skihalle - würde sich Nörl in Zukunft nicht unbedingt verlassen wollen.

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