Süddeutsche Zeitung

Skispringen:Auf die große Rampe

Die Skispringerinnen starten in einen Winter, der neue Reize bringt: eine Mini-Tournee zum Jahreswechsel und die Premiere im Skifliegen.

Von Volker Kreisl

Es ist nicht nur das Skispringen, es ist mehr, jedenfalls klingt es aus allen Silben, wenn Katharina Althaus sagt: "Ich liebe Lillehammer." Es ist der erste Weltcup auf der Frauen-Tour durch den Winter, und das kleine Städtchen in Mittelnorwegen hat bereits das, was Wintersportlern so wichtig ist. Weißen Himmel, weiße Atemwolken in kalter Luft, und vor allem das Wichtigste: weiße Unterlage. "Jetzt geht's endlich in den Schnee", frohlockt Althaus.

Die Oberstdorferin ist seit einigen Jahren schon die beständigste Springerin. Sie hat einen stabilen Anlauf, einen effektiven Absprung, und mit ihrer Flugtechnik kommt sie sehr weit. Althaus ist eine wichtige Figur in diesem Team, das zu Saisonbeginn auch wieder junge Sportlerinnen mit dabei hat, die sich noch im Schatten der Besseren entwickeln müssen. Das ist die eine, gewissermaßen nationale Aufgabe von Althaus, die andere geht weit darüber hinaus.

Die Zeit, in der männliche Funktionäre die Athletinnen bevormundeten, nähern sich dem Ende

Anders als im Kampf um die größte Weite auf der Schanze können Skispringerinnen im Kampf um Gleichberechtigung Rückenwind durchaus gebrauchen. Beim Fliegen drückt er sie auf den Hang - danach, wenn es um all die Wettkämpfe geht, die die Männer längst bestreiten, können die Frauen weiterhin Unterstützung gebrauchen. Immerhin, die Zeit, in der der ehemalige Weltverbands-Chef Gianfranco Kasper offen Bedenken anmeldete, Skispringen zerstöre beim Landen womöglich die Gebärmutter, ist vorbei. Dieser konservativen Phase folgte die Einsicht, dass Springerinnen weder im Flug noch beim Landen, noch beim Heruntergleiten oder Skiabschnallen Schaden erleiden.

Schleppend ging es dennoch weiter. Denn während Frauenspringen im Gegensatz zu fast allen anderen Winterdisziplinen kaum gefördert wurde, konnte es auch nicht die großen Bühnen bespielen, weshalb es in vielen Nationen wiederum auch nur schleppend gefördert wurde, wie die deutsche Schanzen-Pionierin Ulrike Gräßler einmal darlegte.

Nun, 30 Jahre später, ist das Winterprogramm der Frauen immer noch nicht auf demselben Stand wie das der Männer. Immerhin, zehn Sprünge auf Großschanzen sollen nun über die Saison hinweg absolviert werden, auch stehen Mixed-Springen im Programm der Weltmeisterschaften, diesmal von Ende Februar an in Planica in Slowenien. Und doch bleiben Ungerechtigkeiten. Denn das Highlight des Winters, die gewissermaßen prominenteste, weil nahezu von allen Großereignissen anderer Sportarten befreite Phase zwischen Weihnachten und 6. Januar, jene Zeit, in der alles still zu stehen scheint, außer in den Tälern der Vierschanzentournee, dieses Zeitfenster hatten die männlichen Springer bislang exklusiv.

Wie die erste Tournee der Frauen aussehen könnte, ist noch offen

Damit ist es wohl bald vorbei. Skisprungfunktionäre haben bereits Pläne vorbereitet. Schon im vergangenen Winter präsentierten Österreichischer Skiverband und die Ortsklubs eine Mini-Tour der Frauen: das Sylvester-Tournament. Auch in diesem Jahr starten die beiden Springen an Silvester und Neujahr. Mit den Frauen-Weltcups in Villach und Ljubno sei ein erster kleiner Traum in Erfüllung gegangen, sagte Kärntens Landeshauptmann Arno Arthofer dem Portal skispringen.com: "Etwas ist in Bewegung geraten."

Fragt sich nur, wohin die weitere Bewegung führt. Denn im Winter 2023/2024 soll eigentlich schon die Vierschanzentournee der Frauen ihre Premiere feiern. Und Katharina Althaus, 26, Olympia-Silbergewinnerin und viermalige Weltmeisterin, richtet ihre Karriereplanung auf diesen nächsten möglichen Höhepunkt ihrer Laufbahn aus. Gedanken, die Laufbahn früher zu beenden, verwarf sie, nachdem die Sportpolitik sich festgelegt hatte: "Wir haben so sehr gekämpft, dass wir auch eine Tournee bekommen. Jetzt werde ich natürlich versuchen, dabei zu sein", sagt Althaus.

Wie diese große Tournee genau aussehen wird, ist aber noch ungewiss. Die Zeitspanne zwischen den Jahren beträgt maximal zehn Tage, die Tournee ist also vorne und hinten begrenzt, und es steht fest, dass die Frauen nicht einfach in die vollgestopften Wettkampftage der Männer integriert werden können. Erste Pläne deuten an, dass die Frauentournee, jedenfalls im deutschen Part, den Männern entgegenkommen könnte, also erst in Garmisch-Partenkirchen und dann in Oberstdorf ausgetragen würde. Auf österreichischer Seite könnten ähnliche Pläne entstehen.

Zudem, schon in diesem Winter dürfte Althaus' anderer großer Traum in Erfüllung gehen. Jene Disziplin, die Bedenkenträger lange den Kopf schütteln ließ: Das Skifliegen auf den sogenannten Monsterbakken, den Flugschanzen. Da schießen Springer und am 19. März erstmals auch Springerinnen in Vikersund/Norwegen mit weit mehr als 100 Stundenkilometern über eine Riesenrampe in den Himmel über dem Hang und surfen auf einem Luftkissen in Richtung Landezone. Und auch wenn die Wettkampfjury die Gefahr etwa durch Anlaufverkürzung und Windmessung kontrollieren kann, so ist dies auch für erfahrene Springerinnen wie Katharina Althaus ein völlig neues Erlebnis, ein wirklich großer Schritt.

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