Wintersport: Skicross:Mit blutiger Nase aufs Podest

Bei der deutschen Skicross-Premiere im Allgäu fährt Heidi Zacher trotz Unfall auf Platz zwei. Eine Sicherheitsdebatte wie bei den Alpinen wehren die Skicrosser jedoch ab.

Carsten Eberts, Grasgehren

Im Zielraum patschte sich Heidi Zacher sofort zwei Hände mit Schnee ins Gesicht. Das Frauenfinale war gerade vorüber - und Zacher blutete kräftig aus der Nase. Kurz nach dem Start war sie mit ihrer Mannschaftskollegin Anna Wörner kollidiert, sie schlug mit dem Gesicht auf der Piste auf. Ein unglücklicher Unfall, an dem niemand eindeutig Schuld trug. Das Finale jedoch war eigentlich gelaufen.

FIS Freestyle Ski Cross World Cup - Day 2

Spektakuläre Sprünge vor traumhafter Kulisse: Skicrosserin Heidi Zacher

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Das Gewaltige an Zachers Leistung war, dass sie dennoch aufs Podest fuhr. Sie überholte die kurz darauf ebenfalls gestürzte Schweizerin Katrin Müller und holte sich mit Rang zwei die Weltcupführung zurück - trotz lädierter Nase und veritabler Schmerzen. "Unterwegs hatte ich schon den Blutgeschmack im Mund. Aber ich dachte mir, ich muss einfach weiterfahren", sagte Zacher nach dem Rennen. Dann gab sie Entwarnung: Die Nase sei nicht gebrochen, nur geprellt. Für die WM am kommenden Wochenende im amerikanischen Deer Valley sollte sie fit sein.

So wurde es nichts mit dem erhofften deutschen Sieg zum Heimweltcup. Bei den Frauen gewann die Schwedin Anna Holmlund, Zacher wurde Zweite, Wörner Vierte. Bei den Männern siegte erneut der Österreicher Andreas Matt, der derzeit beste Skicrosser der Welt. Die Deutschen hatten das Finale knapp verpasst: Simon Stickl wurde Fünfter, Daniel Bohnacker fuhr auf Rang sechs.

Auch ohne Heimsieg wird der erste Weltcup auf deutschem Boden als gelungen in Erinnerung bleiben. 70 Fahrer aus 13 Nationen waren am Start, das ZDF übertrug die Finalläufe live, die Atmosphäre war eher heimelig als überbordend professionell. Nicht vergleichbar mit den Party-Großveranstaltungen im Biathlon oder Skispringen, keine "Hände zum Himmel", keine Glühweingelage. Die Leute wollten spektakulären Sport sehen - den bekamen sie.

Entsprechend zufrieden klangen die Statements nach den Rennen. "Als ich oben weggefahren bin, haben die Leute schon gejubelt. Das war super", sagte Zacher: "So ein Heimweltcup ist schon was anderes." Als Bundestrainer Alex Böhme die offizielle Zuschauerzahl zu hören bekam, blieb ihm kurz die Stimme weg. Dann sagte er: "Das ist Wahnsinn. Wir hatten mit 3000 Leuten gerechnet." Gekommen waren über 4500.

Der ehrgeizige deutsche Skiverband hatte natürlich versucht, Maßstäbe zu setzen. Die Strecke in Grasgehren ist mit 1200 Metern nicht nur die längste aller Weltcupstationen, sondern auch eine der anspruchvollsten. Die Skicrosser stürzten sich über 18 Hindernisse - unter anderem ein "Cornerjump", bei dem sich die Fahrer in der Luft um fast 90 Grad drehen. Etwas weiter dann die Steilkurve, die die Fahrer mit Kompression in die Wand drückt, kurz darauf der nächste Sprung.

Ehrenkodex unter Fahrern

Skicross wurde in Grasgehren als spektakuläre Sportart zelebriert - da stand natürlich zu befürchten, dass sich die Sicherheitsdebatte der Abfahrer auch auf die Skicrosser übertragen würde. Am Samstagmittag stürzten nicht nur Zacher und Wörner: Gleich im ersten Ausscheidungsrennen erwischte es den Österreicher Florian Stengg, er knallte nach einem Sprung auf den Rücken. Größere Blessuren trug er glücklicherweise nicht davon.

FIS Ski Cross-Weltcup

Heidi Zacher vorneweg: Die deutsche Skicrosserin wurde bei der Deutschland-Premiere in Grasgehren Zweite.

(Foto: dpa)

Trotz solcher Bilder sind die Skicrosser bemüht, Gelassenheit zu demonstrieren. "Die härteren Stürze passieren im Alpinen", sagt etwa die Deutsche Alexandra Grauvogl, die an diesem Tag auf Platz 16 fuhr. Beim Skicross fahren zwar vier Fahrer gegeneinander, die sind jedoch mit rund 40 Stundenkilometer langsamer unterwegs als die alpinen Kollegen. Richtig schwere Stürze sind eine Weile her, in der Abfahrt hingegen verunglücken die Spitzenfahrer reihenweise. "Skicross ist ganz sicher nicht die gefährlichste Disziplin", findet Grauvogl: "Da muss unser Image besser werden."

Das findet auch Martin Fiala, der als früherer Abfahrer und Skicrosser beide Disziplinen kennt. Er spricht von einer Art "Ehrenkodex", den die meisten Fahrer einhalten: sinnlose Überholmanöver sein lassen, auf die Konkurrenten achten. Rücksichtslose Anfänger würden entsprechend zurechtgewiesen. Fiala erzählt: "Beim letzten Weltcup in Les Contamines ist ein junger Franzose wilde Sau gefahren. Da sind die Älteren hingegangen und haben ihm die Meinung gesagt."

Auch Bundestrainer Böhme kennt diese Debatten - sie gehören irgendwie dazu. Seine Konzentration gilt der anstehenden WM. Mit Simon Stickl, Daniel Bohnacker, Paul Eckert und Thomas Fischer wird er vier Männer mitnehmen, bei den Frauen haben sich Heidi Zacher und Anna Wörner qualifiziert.

Vor allem Zacher dürfte in den USA als Medaillenkandidatin gelten, auch wenn der Bundestrainer davon nichts wissen will: "Heidi kann ganz befreit fahren, Druck bekommt sie von mir keinen", sagt Böhme. Dann lacht er: "Soviel Pech wie heute muss sie ja nicht immer haben."

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