Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Professionelle Freigeister

Lesezeit: 3 min

Die neue Generation der Freerider fährt nicht mehr nur einfach gerne abseits der Piste. Talente wie Max Pfab und Florian Gassner streben früh eine Profikarriere an

Von ANNA DREHER, München

Im Sommer hat er einfach mal gar nichts gemacht, einfach nur gechillt, sagt Max Pfab. Er hat dann schnell gemerkt, dass das keine so gute Idee war. Zumindest nicht für ihn, einen angehenden Wintersportprofi. Als dieser Sommer vorbei war und wieder Schnee lag, hat ihn jeder Schritt den Berg hoch gequält. Und es sind viele Schritte, die der Grafrather gehen muss, bevor er sich sein Snowboard nehmen und den Berg wieder runterfahren kann. Pfab ist Freerider, er fährt nicht auf den gepflegten Pisten, sondern dort, wo kaum jemand hingeht, weil dort kaum jemand hin und vor allem: kaum jemand wieder herunterkommt, ohne sich sehr wahrscheinlich zu verletzen.

Beim Freeriden geht es um den Einklang mit der Umgebung, das Ski- und Snowboardfahren in seiner ursprünglichsten Art - mitten in der unberührten Natur, von oben am Berg. Anders als bei der Abfahrt oder im Slopestyle sind beim Freeriden lediglich Start und Ziel festgelegt. Die Fahrer schauen sich den Hang vorher aus der Ferne an, müssen sich eine Linie einprägen und dann von der umgekehrten Perspektive aus dem Gedächtnis abrufen können. Und spontan reagieren. Durch Sprünge von meterhohen Felsen sind die Abfahrten besonders schwierig. Wer eine Strecke mit Tricks und sicherer Landung, sauberer Technik und einer interessanten Route schneller als alle anderen beendet, gewinnt. Wer dabei besonders gut ist, nimmt an der Freeride World Tour teil, die seit ihrer Gründung 2008 nach der Fusion mit zwei anderen Wettkämpfen der größte Wettbewerb in dieser Sparte ist.

Genau dort will Max Pfab hin. Er gehört zu einer neuen Generation von Freeridern, die nicht einfach nur gerne abseits der Piste fährt, sondern dann auch entdeckt, dass sie das auch professionell machen könnte und schaut, was drin ist für sie. Es sind Fahrer, die genau wissen, dass es die Freeride World Tour gibt. Und wie in anderen Sportarten darauf hinarbeiten, eines Tages selbst zur Elite ihres Sports zu gehören.

"Ich möchte unbedingt dort hin, aber die sind schon alle krass drauf", sagt Pfab. "Was die Geschwindigkeit und die Höhe der Absprünge angeht, ist der Unterschied zwischen den Profis und uns schon noch groß." Mit uns meint der 17-Jährige die Teilnehmer der Junior Tour, der vor sechs Jahren gegründeten Nachwuchsserie der Freerider. In Fieberbrunn in Tirol findet am Wochenende der vorletzte Tourstopp statt, Anfang April dann noch im schweizerischen Verbier. Die Hänge in verschiedenen Ländern Europas und der USA sind nicht ganz so steil, ansonsten sind die Abläufe die gleichen wie bei den Profis. Dort gibt es Liveübertragungen und Videozusammenschnitte, die Aufmerksamkeit wächst. Diesen Schritt wollen Hunderte schaffen - Plätze gibt es jedoch nur wenige. In Frankreich, Österreich, Norwegen und der Schweiz finden deswegen inzwischen spezielle Trainingslager für Nachwuchsfahrer mit professionellen Teams und Trainern statt. Die USA arbeiten schon länger so. Der Aufwand spiegelt sich in den Ranglisten wieder: Deutsche Freerider gehören nur selten zu den Besten.

"Die Professionalisierung des Nachwuchses hat vor etwa drei Jahren angefangen", sagt Berti Denervaud, sportlicher Leiter der Freeride World Tour. "Mittlerweile fangen viele direkt mit Freeriden an, insgesamt ist das Niveau deswegen gestiegen und die Nachfrage auch. Immer mehr wollen an den Nachwuchs- und Qualifikationswettbewerben teilnehmen, um es auf die Freeride World Tour zu schaffen."

Auch Florian Gassner gehört zu dieser nächsten Generation, auch er möchte es zur Freeride World Tour schaffen. "Wie die dort fahren ist sehr inspirierend", sagt der 18 Jahre alte Münchner. "Es gibt ja in unserer Sportart kein Richtig oder Falsch. Jeder fährt so, wie es zu seinem Stil passt, und am Ende kann damit jeder gewinnen." Früher ist Gassner Alpinski gefahren, aber irgendwann war ihm der Leistungsdruck zu groß und das Miteinander zu wenig. Natürlich seien auch Freerider ehrgeizig, sagt er, aber alle seien wie eine große Gruppe von Freunden. "Auch die Profis sind überhaupt nicht abgehoben, mit denen reden wir ganz normal und bekommen Tipps." Diesen Spaß daran, gemeinsam gut Ski zu fahren, spüre man sogar bei den Wettkämpfen.

Seit er zwei ist, steht er auf Skiern, mit 13 hat er diesen ganz besonderen Spaß bei einem Schulaustausch in Kanada kennengelernt. Ein Jahr später startete er bei der Junior Tour. "So viele Gedanken aus der Vorbereitung in wenigen Minuten oder Sekunden zeigen zu können, ist ein befreiendes Gefühl", sagt Gassner. Max Pfab hat mit sechs Jahren angefangen zu Snowboarden. Er ist viel im Funpark gefahren, war im Nachwuchskader des Deutschen Skiverbandes - aber als er das erste Mal einen Wettkampf abseits der Piste fuhr, wollte er nichts anderes mehr machen. Ihm helfen seine Erfahrungen aus der Freestyle-Szene, bei der Weltmeisterschaft im Februar verpasste er die Bronzemedaille nur um 0,6 Punkte. Einfach nur chillen wird er erst mal nicht mehr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3414690
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.03.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.