Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Podiumsplatz und viele Siege

Lesezeit: 7 min

Viel los im Wintersport: Andre Lange dominiert beim Bob-Weltcup und selbst von den alpinen Herren gibt es positives zu berichten.

Lange dominiert

Doppel-Olympiasieger Andre Lange jubelte nach seinem überragenden Doppelsieg beim Bob-Weltcup-Auftakt auf seiner Lieblingsbahn in Calgary nur kurz und ließ die Feier ausfallen.

,,Ich bin erst mal froh, dass wir so erfolgreich den Berg runtergekommen sind. Aber wir haben materialtechnisch noch viel Arbeit vor uns'', meinte Lange mit ernster Miene. Dazu bestand aber eigentlich kein Grund, denn der Perfektionist war beim Saisonstart auch auf Einheitskufen eine Klasse für sich und wiederholte seinen Vorjahrestriumph im Zweier und Vierer.

Nachdem er mit Kevin Kuske zunächst mit dem Riesenvorsprung von 0,56 Sekunden auf Steven Holcomb/Brock Kreitzburg (USA) im kleinen Schlitten gewonnen hatte, lag er in der Königsdisziplin mit seinem neuen Hintermann Alexander Rödiger ,,nur'' 0,10 Sekunden vor dem im Rosenheim gebauten Bob des Russen Jewgeni Popow. Zu wenig für Lange, der bereits am Sonntag zum nächsten Weltcup nach Park City weiterreiste: ,,Jewgeni hat uns zu 120 Prozent gefordert. Das es so knapp war, zeigt, dass noch viel zu tun ist.''

Noch mehr Arbeit haben die deutschen Bob-Frauen vor sich, denn Cathleen Martini als Zweite und Olympiasiegerin Sandra Kiriasis auf Platz drei kassierten eine überraschende Niederlage gegen die US-Amerikanerin Shauna Robock. Generalsekretär Stefan Krauß vom deutschen Verbandes BSD war insgesamt trotzdem zufrieden: ,,Ein starker Saisonauftakt unserer Bobfahrer auch mit Blick auf die neue Situation mit den Einheitskufen. Der Doppelerfolg ist besonders wichtig für die weiteren Rennen.'' Zufrieden war Krauß auch mit der Leistung von Nachwuchsmann Karl Angerer, der im kleinen Schlitten auf Platz sechs hinter Matthias Höpfner fuhr. )

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Fortschritt mit dreieinhalb Drehungen

Travis Rice aus Jackson Hole in den USA war der Mann, nach dem sie die ganze Zeit gesucht hatten. Er war der Tagessieger beim Snowboard-Festival Air&Style im Münchner Olympiastadion, der neue Träger des Ring of Glory, hervorgegangen aus einem Turnier mit 16 erlesenen Sprungakrobaten vor 27500 Zuschauern. Travis Rice fühlte sich sehr geehrt, es war einer seiner größten Siege, Air&Style ist schließlich nicht irgendein Sprungwettbewerb in der Welt des Actionsports, sondern ein Kultereignis, das vor zwölf Jahren aus der Szene selbst entstand.

,,Das ist ungefähr so wie ein Grand Slam im Tennis'', sagte Travis Rice, und doch wollte er nicht so tun, als wäre er wirklich der Beste gewesen. Er war eben der, der den besten letzten Sprung im Finale gestanden hatte. Mehr nicht, sondern nur ein Hauptdarsteller neben anderen, ein Bauer im Weinberg seines Sports sozusagen. Er dachte kurz an das, was gewesen war, an die vielen Tricks, die bei einem solchen Contest noch nie jemand gezeigt hatte, an dieses Feuerwerk aus Einfällen und Risiko, und er sagte: ,,Das macht wirklich demütig.''

Die Snowboarder haben sich vor bald zwei Jahrzehnten eine eigene Kultur geschaffen, eine eigene Mode, eine eigene Musik, eine eigene Haltung zu dem, was sie unter Sport verstehen, und so definieren sie auch für sich selbst, was denkwürdig ist. Ihr Air&Style war diesmal ein Fest, das einen weiteren Fortschritt in ihrer Welt bedeutete, und wenn die Leute von außen das nicht verstehen wollten, war ihnen das egal.

Die Kenner waren sich einig: Die Springer hatten an diesem lauten Wintersport-Abend Maßstäbe für die Zukunft gesetzt. Der Münchner David Benedek, Air&Style-Gewinner 2002, diesmal Vierter und euphorisch gefeiert, sagte bei aller Bescheidenheit: ,,Im Vergleich zum allgemeinen Niveau im professionellen Snowboard-Sport kann man schon sagen, dass das der Contest mit dem höchsten Niveau aller Zeiten war.''

Bis ans Limit

Travis Rice ist wirklich nicht der einzige Gewinner gewesen mit seinem doppelten Rückwärtssalto mit halber Drehung (double backflip to 180) im Finale. David Benedek zum Beispiel war auch einer. Eigentlich hatte er sogar schon nach seinem ersten Versuch im Erstrundenduell mit dem Schweizer Nicolas Müller gewonnen: Er hatte seinen Double corked 1260, einen Überkopfsprung mit dreieinhalb Drehungen, vorher erst zwei Mal gestanden; unter anderem wenige Stunden zuvor im Training, als er feststellte, dass der Kunstschnee-Hang weich genug war, um diese Höchstschwierigkeit aufrecht ins Ziel zu bringen.

Also wiederholte er das Kunstwerk, das an dieser Stelle eine Weltneuheit war, entfachte damit einen Jubel, wie er sonst nur im Fußballstadien bei wichtigen Toren zu hören ist, bekam mit 285 von 300 Punkten die höchste Wertung des Tages und setzte damit ein Zeichen für die Kollegen.

Oder Antti Autti, der Olympia-Fünfte aus Finnland, der im Halbfinale den amerikanischen Halfpipe-Olympiasieger Shaun White an die Grenzen seiner Schaffenskraft brachte. Auch Autti zeigte einen 1260 - Shaun White sah es, wagte seinerseits die dreieinhalb Drehungen, die er vorher noch nie gemacht hatte, und blieb um eine Winzigkeit von fünf Punkten zurück. Shaun White ist es nicht gewohnt zu verlieren, im vergangenen Winter hat er gar nicht verloren, aber er konnte sich nicht böse sein.

Er hatte alles versucht, und er war auch ein bisschen an den fast perfekten Bedingungen gescheitert. ,,Wenn der Sprung hier schlecht gewesen wäre, hätte Shaun White ganz sicher gewonnen, weil er alles fahren kann und alles am allerbesten'', sagte David Benedek. ,,Aber wenn die Bedingungen so gut sind, dass sich alle an ihr Limit herantasten können, dann sind die Unterschiede so marginal, dass auch mal der Antti weiter vorne sein kann.''

Aber es blieb auch eine Frage zurück nach dem Spektakel: Entfernt das Snowboarden sich von dem, was man künstlerischen Anspruch nennen könnte, hin zu einer reinen Darbietung sportlicher Techniken? Das, was die Snowboarder Style nennen, das unverwechselbar Schöne eines Sprungs, der Ausdruck, der sich nicht unbedingt in der Zahl der Drehungen widerspiegelt, war der Freestyle-Szene immer wichtiger als das Bemühen um immer spektakulärere Tricks.

In München nun wirkte ein bekennender Stylist wie Nicolas Müller chancenlos und der Wettbewerb insgesamt wie die atemberaubende Jagd nach dem besten Stunt. Aber natürlich hat niemand das Ende des Styles ausrufen wollen. Dieser Abend sollte eher als ein Zeichen des Aufbruchs stehen bleiben. Als eine Darbietung von neuen Techniken, denen die Artisten bald ihre künstlerische Note hinzufügen werden. ,,Die Technik prescht vor, der Style prescht nach'', sagte David Benedek, und damit wollte er wohl auch sagen, dass unter Snowboardern bald normal sein dürfte, was vor Kurzem noch undenkbar erschien. Auf der nächste Seite: Was im Wintersport sonst noch passiert ist.

Wolf führt wieder

Eissprinterin Jenny Wolf hat ihre Weltcup-Führung über 500 Meter zurückerkämpft. In der chinesischen Millionenstadt Harbin erreichte sie in 38,41 Sekunden den insgesamt achten Sieg im Eisschnelllauf-Weltcup und löste die zweitplatzierte Südkoreanerin Lee Sang-Hwa (38,47) an der Spitze der Gesamtwertung wieder ab.

,,Es lief super. Im Moment klappt einfach alles'', sagte die 27-jährige Berlinerin nach ihrem Sieg im direkten Duell gegen die Südkoreanerin. In den bisherigen sechs Weltcup-Konkurrenzen liegt Jenny Wolf nun mit drei Siegen gegenüber Lee (zwei Erfolge) wieder vorn und ist nach der sechsten Podest-Platzierung auf dem besten Weg, ihren im Vorjahr erkämpften Gesamt-Weltcup zu verteidigen.

Im ersten 100-Meter-Rennen der Saison blieb Jenny Wolf, die auch auf der Kurzstrecke den Weltcup zu verteidigen hat, hinter der Chinesin Xing Aihua zurück. In 10,31 Sekunden stellte Xing den inoffiziellen Weltrekord von Olympiasiegerin Swetlana Schurowa (Russland) ein. Über 1000 Meter zog Chiara Simionato (Italien) mit zwei Siegen und 322 Punkten an Anni Friesinger (300) vorbei, die sich nach den drei Strecken-Erfolgen im November eine Regenerations-Auszeit auf Lanzarote gönnt. Simionato siegte am Sonntag in 1:17,14 wie schon tags zuvor vor Olympiasiegerin Marianne Timmer (Niederlande/1:17,65). Beste Deutsche war jeweils die Erfurterin Judith Hesse auf den Plätzen elf und zwölf.

Bei den Männern siegte der Südkoreaner Lee Kyou-Hyuk über 500 und 1000 m und liegt nun in beiden Klassements an der Spitze. Der beste deutsche Sprinter Anton Hahn (Erfurt) musste am Sonntag wegen eines Magen-Darm-Infekts ebenso passen wie Jan Friesinger (Inzell), der schon tags zuvor nicht starten konnte.

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Neureuther auf dem Podium

Felix Neureuther hat sein großes Ski-Talent endlich zu seinem ersten Podiumsplatz im alpinen Weltcup genutzt. Der 22-jährige Partenkirchener fuhr am gestrigen Sonntag beim Slalom in Beaver Creek/USA überraschend auf den dritten Platz. ,,Es ist ein Wahnsinn, das ist so geil für uns als Team. Man sieht einfach nach den guten Resultaten, dass wir als Mannschaft zusammenwachsen'', sagte Neureuther. Neureuther lag 1,40 Sekunden hinter dem Schweden Andre Myhrer, der im von vielen Ausfällen gezeichneten Slalom seinen ersten Weltcup-Sieg in 1:48,60 Minuten vor dem Kanadier Michael Janyk (1:49,33) herausfuhr.

Trotz der Platzierung von Neureuther gab es auch Trauer im deutschen Team. Der nach dem ersten Lauf zweitplatzierte Alois Vogl wurde nach langem Hin und Her disqualifiziert, weil er angeblich bei einem Tor eingefädelt hatte. Zunächst war der Zwieseler zum zweiten Durchgang zugelassen worden, wurde jedoch nach heftigen Protesten anderer Nationen aus der Wertung genommen. ,,Ich bin gut drauf, das stimmt mich trotzdem optimistisch'', sagte Vogl. Neureuther erklärte: ,,Für den Luis ist das echt bitter, ich hätte meinen Podiumsplatz für ihn gern hergegeben''. Der Partenkirchener hatte einen Tag zuvor beim Sieg von Massimiliano Blardone (Italien) als 22. sein zweitbestes Riesenslalom-Resultat erreicht.

Im Slalom fuhr der Sohn von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther mit Startnummer 17 im ersten Lauf bereits auf Platz vier und behielt im äußerst schwierigen zweiten Durchgang trotz mehrerer kleiner Fehler die Nerven. ,,Bei den Fehlern aufs Podium - das hätte ich nicht gedacht'', staunte er. ,,Der Felix ist halt so ein guter Skifahrer, dass er trotz Fehlern noch einen guten Lauf runterbringt'', sagte Cheftrainer Werner Margreiter. Nach Abfahrer Stephan Keppler (Ebingen) hat sich nun auch Neureuther für die Weltmeisterschaft im Februar in Are/Schweden bereits qualifiziert.

Millers wilde Fahrten

In den bisher sieben Männer-Rennen gab es sieben verschiedene Sieger - und die vor der Saison hoch gelobten Österreicher gingen zum fünften Mal leer aus. Auch US-Skistar Bode Miller konnte nicht zufrieden sein, denn wie schon bei der Super-Kombination verschenkte er auch beim Riesenslalom am Samstag klar in Führung liegend den Sieg.

,,Mich hat schon überrascht, dass ich im ersten Lauf Bestzeit hatte. Ich bin doch nur in der Gegend herumgerutscht und hatte keinen Rhythmus'', sagte der viermalige Weltmeister, der 24 Stunden zuvor noch bei der Abfahrt triumphiert hatte. Besser machte es Teamkollege Ted Ligety, der sich hinter Blardone und dem im Gesamtweltcup führenden Aksel Lund Svindal platzierte. Miller wunderte sich nicht direkt über seine mäßige Vorstellung im Riesenslalom, schließlich hatte sein Augenmerk im Training vor allem den Speed-Disziplinen gegolten.

Die Arbeit dafür hat sich ausgezahlt für Miller, er kam in der Abfahrt zu seinem 23. Sieg im Weltcup vor dem Schweizer Didier Cuche und seinem amerikanischen Landsmann Steven Nyman. Miller ließ sich bei der Fahrt auf seinem Hausberg auch nicht von einem slowenischen Coach aus dem Konzept bringen, der unmittelbar vor ihm bäuchlings über die Piste rutschte. Der Fahrer zog unbeeindruckt seine Kurve mit 100 km/h weiter. ,,Als Skirennfahrer ist man solche Sachen gewohnt und kann damit umgehen'', erklärte er. ,,Als ich realisiert hatte, dass ich ihn nicht treffen würde, war er gleich wieder das letzte, was mich beschäftigte.''

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Quelle:
SZ vom 4.12.2006
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