Wintersport:Mit Lieferservice und Charterflug

17.10.2020, Rettenbachferner, Soelden, AUT, FIS Weltcup Ski Alpin, Riesenslalom, Damen, 1. Lauf, im Bild Lena Duerr (GER; Wintersport - Ski Alpin - Lena Dürr

Lena Dürr war beim Riesenslalom-Auftakt in Sölden die beste deutsche Skirennfahrerin: auf Rang 38.

(Foto: Eibner/imago)

Die Aufgaben sind für die bayerischen Skirennfahrerinnen schon groß genug. Nun kommen noch Corona-Bedingungen und wachsende Anspannung hinzu.

Von Johannes Knuth

Lena Dürr wird mit ihrer Haltung vermutlich keine absolute Mehrheit finden, aber die 29-Jährige lässt sich davon nicht die Freude vertreiben. "Mir macht's Spaß da oben", sagt sie über den bevorstehenden Weltcup-Stopp der alpinen Skirennfahrerinnen in Levi, 135 Kilometer nördlich des Polarkreises. Der Hang ist nicht gerade furchterregend steil, was Dürrs manchmal etwas breitspuriger Fahrweise aber nicht abträglich ist; Platz sechs vor drei Jahren in Finnland ist bis heute eines der besten Slalom-Resultate der Slalom-Expertin vom SC Germering. Dürr mag auch dieses spezielle Licht im hohen Norden, den sanften Trubel in Levi, wo sie den Siegern traditionell ein Rentier vermachen. An diesem Brauch wird auch in diesem Jahr nicht gerüttelt, trotz Corona und ungewöhnlich warmer Temperaturen.

Als die Alpinen vor knapp einem Monat in Sölden ohne große Störfälle in die Saison aufbrachen, war das auch ein Mutmacher, dass Wintersport in der Pandemie funktionieren kann. Jetzt rollt der Betrieb allmählich richtig an, am Samstag und Sonntag mit zwei Slaloms in Levi - diesmal nur für die Frauen, um den Weltcup-Tross länger zu trennen. Von der zarten Anfangsfreude ist derzeit aber eher wenig zu spüren. Der Cheftrainer des schwedischen Teams wurde unlängst positiv auf das Coronavirus getestet, die finnischen und schwedischen Behörden schickten das Team daraufhin kollektiv in Quarantäne, obwohl alle anderen Tests offenbar negativ ausgefallen waren. Die schwedischen Fahrerinnen werden Levi also verpassen, was viele Kollegen mit Unverständnis quittierten - weshalb diese rigide Sanktion, obwohl die Vorschriften sonst so strikt sind? Levi könnte auch ein unappetitlicher Vorgeschmack darauf sein, wie konfus es demnächst auf den interkontinentalen Wintertourneen zugehen könnte.

Die eine oder andere Junge "riecht schon die Lunte", hat der Cheftrainer beobachtet

Klar, sagt Lena Dürr: Auch im Deutschen Skiverband (DSV) verspüre man gerade ständig ein "mulmiges Gefühl". Vor Levi etwa, da mussten sich alle Fahrerinnen und Betreuer am Flughafen in Zürich testen lassen, dann ging es per Charterflieger des Weltverbandes Fis nach Kittilä, dort wartete ein weiterer Test. Und ein Positivresultat reicht, und das ganze Team verschwindet im Zweifel in der Isolation, wie im Fall der Schwedinnen. Im Dezember und Januar, wenn die Athleten auch um die letzten Normen für die WM in Cortina d'Ampezzo fahren, könnte das viele noch in große Schwierigkeiten stürzen, auch wenn der DSV seine WM-Kriterien dann wohl anpassen würde. Bis dahin liegt eine etwas trügerische Stille über der Szene. Die deutschen Slalomfahrerinnen hatten bis zuletzt in Sölden trainiert, bei "wirklich tollen Bedingungen", sagt Dürr, ansonsten habe man in einer Blase gelebt, sogar das Essen wurde per Lieferservice angekarrt. Am Start, glaubt Dürr, "blendet man das ohnehin alles aus".

Im DSV könnten sie schon deshalb auf diesen "extremen" Aufwand (Frauen-Cheftrainer Jürgen Graller) verzichten, weil die sportlichen Aufgaben groß genug sind. Lena Dürr etwa: War die nicht vor auch schon wieder, kurz mal nachblättern: sieben Jahren in die Weltspitze gestürmt? Sie gewann damals einen Parallelslalom in Moskau, getragen von der Unbekümmertheit einer jungen Athletin, die nur eine Richtung kennt: bergauf. Dann schlitterte sie in ein Tief, aus dem sie bis heute nicht so recht herausgekommen ist. Mal haderte sie mit der Abstimmung ihrer Skier, mal war die Trainingsform gut, aber im grellen Licht der Weltcup-Bühne wirkte es oft so, als schmelze ihr Selbstbewusstsein mit jedem Schwung zusammen. Auch Christina Ackermann, die zuletzt ihre Karriere beendet hat, schaffte es nie so recht, ihr Talent dauerhaft in Erfolge zu verwandeln. So kämpft das einst so starke Technik-Ressort der deutschen Frauen seit Jahren um den Anschluss. Der Rückzug von Viktoria Rebensburg hat dieses Unterfangen zuletzt nicht gerade einfacher gemacht.

Jürgen Graller hat einiges bewegt, seit er vor drei Jahren aus Österreich zum DSV umgezogen ist, und wenn man ihn auf die Stagnation im Technik-Ressort ansprach, verwies er ausdauernd auf die Talente im Unterbau, Europacup, Fis-Rennen, zweite und dritte Rennsportliga. Diese wolle er in diesem Winter nun verstärkt in die erste Liga hochziehen, ohne ihnen große Erwartungen aufzuschnallen. In Levi profitiert unter anderem Luisa Mangold vom SC Garmisch von diesem Schnupperkurs, für die 20-Jährige ist es die erste Hospitanz im Weltcup. "Die eine oder andere riecht schon die Lunte", hat Graller beobachtet, er erhofft sich davon einen baldigen "Umbruch" im Team. Zwei seiner größten Talente hat er zuletzt aber schon wieder in den Krankenstand verabschiedet: Martina Willibald (SSC Jachenau), 21, erlitt einen Kreuzband- und Meniskusriss, auch Nora Brand (SC Starnberg), 20, fällt länger aus.

Graller lädt also auch sein Stammpersonal ein, sich am besagten Umbruch zu beteiligen: Dürr müsse sich spätestens zum Saisonende "unter die Top 10" im Slalom etabliert haben, findet er; Marina Wallner (SC Inzell), Jessica Hilzinger (SC Oberstdorf) und Marlena Schmotz (SC Leitzachtal), die zuletzt mit Verletzungen zu kämpfen hatten, unter den besten 20 der Welt. Dürr bestätigte zuletzt immerhin, dass sie die Rolle des Aushängeschildes schon gerne übernehmen würde, nach Rebensburgs Rücktritt. Levi wäre zumindest nicht der schlechteste Ort, um damit anzufangen.

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