Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Mehr als nur Reinschnuppern

Martina Willibald zählt zu den Medaillenkandidaten bei der Junioren-WM.

Von Thomas Becker

Beim Tiefenbrunner Sepp ist die Welt noch in Ordnung. Eine Fahrt mit dem Hanslbauer-Lift kostet bei ihm 50 Cent, 30 Fahrten 6 Euro. Gut, man fährt nur 450 Meter weit und das auch erst ab halb zehn, aber immerhin. Seit der Lift im kleinsten Skigebiet im Isarwinkel vor 54 Jahren in Betrieb ging, gab es keine einzige Preiserhöhung. Nebenan im Liftstüberl verlangt der Schorsch für die Halbe Bier 2,90 Euro, fürs Rüscherl 2,50 Euro und für den Strammen Max 5,20 Euro. Hier, am Hanslbauer-Lift, hat Martina Willibald ihre ersten Rutscher getan. Die 20-Jährige vom SSC Jachenau ist eine der Medaillenhoffnungen des Deutschen Ski-Verbands (DSV) bei der dieses Wochenende beginnenden Ski-Weltmeisterschaft der Junioren im norwegischen Narvik.

Drei ältere Geschwister hat Willibald, "alle sind Rennen gefahren und waren auch wirklich gut", erzählt sie. Am besten war die drei Jahre ältere Schwester Elisabeth: Slalom-Spezialistin, 16 Weltcuprennen, drei Mal in die Punkte gefahren, und 2016 bei der Junioren-WM in Sotschi Gold gewonnen - der größte sportliche Erfolg in der Vereinsgeschichte. Im Jahr darauf wurde sie Mutter, hörte mit den Rennen auf und gibt der kleinen Schwester nun Tipps: "Die Eli stimmt mich immer sehr positiv ein, eine echt gute Unterstützung."

Sieben Jungen und sieben Mädchen schickt der Nachwuchs-Bundestrainer Andreas Ertl in Narvik in den elf Rennen an den Start. Willibald hat dort ein straffes Programm vor sich. "Mein Fokus liegt ganz klar auf Riesenslalom und der Kombination, aber ich werde wohl alle Disziplinen fahren", sagt sie. Am Mittwoch ist das Team angereist, dann stehen zwei Tage Training an, bevor es am Samstag mit der Abfahrt losgeht. Willibald ist bei den Frauen neben der Speed-Spezialistin Carina Stuffer vom WSV Samerberg die einzige mit Weltcup-Erfahrung: "Nach meinen guten Ergebnissen in dieser Saison, hieß es dann: 'Darfst auch mal im Weltcup starten'", sagt sie. "Im Europa-Cup lag ich letztes Jahr immer so in den Top 25 - heuer war ich sofort in den Top 15 dabei. Am Anfang wusste ich gar nicht, warum jetzt funktioniert, was vorher nicht ging." In der Europacup-Wertung verbesserte sie sich im Riesenslalom im Vergleich zum Vorjahr von Platz 53 auf 18, in der Kombination von Rang 28 auf 20.

Ihre Premieren lesen sich so: Erstes Fis-Rennen 2015, erster Europacup 2017, erster Weltcup 2019, am 28. Dezember in Lienz. "Diesen ersten Weltcup werde ich nie vergessen", sagt sie heute. Ihr Debüt in der höchsten Liga war schon ein paar Wochen zuvor bei der Kombination in Val d'Isere geplant, doch die musste abgesagt werden. Wie anders so ein Weltcup-Rennen ist? "Gar nicht so viel anders als im Europacup, aber halt berühmtere, bekanntere Gesichte wie die Mikaela Shiffrin oder die Vicky Rebensburg", erzählt Willibald und gibt zu: "Vor Lienz war ich schon sehr nervös, bin am Start gestanden und hab' gedacht: 'Wow! Irgendwie hat man sich das als kleines Kind immer erträumt: ein Mal Weltcup fahren! Jetzt ist es wirklich so weit: Du darfst im Weltcup starten!'"

Nervös wie sie war, hat sie dann nicht ihre "allerbeste Performance abgeliefert, aber das war auch nicht unbedingt die Erwartung. Es ging mehr ums Reinschnuppern." Mit Startnummer 60 landete sie noch auf Platz 50. Zwei Sekunden fehlten ihr beim Riesenslalom in Lienz zu Platz 30 und zum Erreichen des zweiten Durchgangs. Beim zweiten Weltcupstart einen Monat später in Sestriere war es nur noch eine Sekunde. "Da war mein Skifahren echt gut", sagt sie, "aber leider hatte ich da einen Fehler gleich am Anfang." Was ihre Ski-Technik betrifft, weiß sie um ihre Defizite, gerade achtet sie aber auf andere Dinge, aktiv Ski zu fahren vor allem. "Oft ist es so, dass ich bloß runter fahre, und es reicht trotzdem für ein Top-20-Ergebnis im Europacup", sagt Willibald. "Wenn ich aber einen aktiven Lauf fahre, kann ich auch Bestzeit fahren. Ich muss also schauen, dass ich das mit Bewegung mache, einfach Spaß haben, dann geht das schon." Rennlauf könnte so einfach sein - theoretisch.

Die Junioren-WM in Narvik wird die letzte für Willibald sein. Den zeitgleich stattfindenden Weltcup in Are muss sie dafür sausen lassen, damit war es das für diese Saison mit den Einsätzen in der Traum-Liga. Aber dafür lockt in Narvik die Aussicht auf Edelmetall, möglich wäre es. "Der Bundestrainer meinte vorab, ich soll Spaß haben, Gas geben und einfach schauen, was dabei rauskommt", sagt Willibald. "Medaillendruck gibt es nicht, das ist alles relativ entspannt. Aber klar: Eine Junioren-WM-Medaille zum Saisonabschluss wäre schon schön."

Und danach? Ihr elf Jahre älterer Bruder musste sich auch irgendwann zwischen Rennlauf und einem bürgerlichen Beruf entscheiden - und stellte die Skier in den Keller, wie ihre Schwester. Das wird Martina Willibald nach der Weltmeisterschaft sicher nicht tun. Nach der Realschule bewarb sie sich bei der Bundespolizei in Bad Endorf und macht dort seit 2016 eine Ausbildung. Zum Tiefenbrunner Sepp und seinem Hanslbauer-Lift wird sie es wohl erst nach der Karriere wieder öfter schaffen. Aber die Preise sollen da ja recht stabil sein.

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SZ vom 06.03.2020
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