Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Hanteln zu Flügeln

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Bob-Pilot Johannes Lochner hat einen Schritt nach vorne gemacht: Er ist schneller am Start, ruhiger in der Spur und könnte sein Ziel erreichen - eine Medaille bei Olympia.

Von Volker Kreisl

Skigefahren ist Johannes Lochner auch. Das hat ihm schon als Teenager großes Vergnügen bereitet, allerdings - die Slalomstangen haben genervt. Die waren im Weg, wegen denen musste er jedes Mal ums Eck fahren und bremsen, weshalb Lochner noch heute weiß: "Das Geilste war immer die Abfahrt."

Bremsen ist also nicht seine Stärke. Lochner, 29, liebt die Geschwindigkeit und die freie Fahrt, und auch deshalb blickt er nach dem Saisonende nun mit Freude auf die nächsten Jahre. Mittlerweile ist er Bobpilot, er hat Höhen und Tiefen erlebt, Zeiten mit großen Problemen und auch mit Schmerzen, aber jetzt liegt der Rest seiner Karriere vor ihm wie eine freie Bahn.

An deren Ende locken die Olympischen Spiele im Februar 2022 in Peking. Seit dieser Saison, speziell aber auch seit der Weltmeisterschaft in Altenberg vergangene Woche hat er wieder ein Ziel im Visier: eine Olympia-Medaille ist wieder möglich, vielleicht sogar die goldene. Denn Lochner, der Tempofreund, hat zuletzt einige Lasten abgeworfen, und könnte nun noch schneller werden.

WM-Zweiter ist er in Altenberg geworden, im Zweier- wie im Viererbob, doch er hat mehr gewonnen als zwei Silbermedaillen. Denn auf den ersten Blick war dies eine schwere Niederlage - nur die nächste Version einer Silberserie gegen den ewig gleichen Gegner: Francesco Friedrich, der Teamkollege, mit dem er bereits gemeinsam in die Karriere gestartet war, der deutsche Goldpilot und Rekord-Weltmeister, dem er so oft unterlag. Bei der WM 2015 wurde Lochner im kleinen Schlitten Zweiter hinter Friedrich, bei der WM 2016 schnappte ihm Friedrich Gold um 17 Hundertstel weg. Bei der WM 2017 wurde Lochner dann Weltmeister, allerdings zeitgleich mit Francesco Friedrich, der nach vier Läufen exakt ebenfalls 3:14,10 Minuten schnell war, und somit neben ihm auf dem obersten Podium stand.

Am Sonntag war Lochner nun wieder von Friedrich überholt worden, fünf Hundertstel fehlten, Verfolgungswahn könnte man da kriegen, aber Lochner schien sich diesmal nicht damit zu befassen. Vielleicht wusste er seine eigene Leistung zu schätzen, vielleicht ist er auch gereift und will sich nicht mehr auf einen Gegner fixieren und davon ablenken lassen, jedenfalls sagte er nach dem Rennen der dpa: "Friedrich hat verdient gewonnen, meine Medaillen beflügeln mich für Olympia."

Er hatte ja schon zuvor Siege in eigener Sache errungen. Man könnte sagen, er hatte 2019 überhaupt erst gelernt, wieder aufrecht zu stehen, jedenfalls beim Krafttraining. Ein Winter voller Enttäuschungen lag hinter ihm, eine Saison in einem zu engen Zweierschlitten, einem Frauenbob, der nach einem Materialumstieg nur noch übrig war. Lochner und sein Anschieber zogen sich blaue Flecken zu, schlitterten nach einem Sturz mit den Schultern übers Eis und verbrannten sich die Haut, und eine Siegchance hatten sie ohnehin kaum, weil Johannes Lochner am Start nicht schnell genug war.

Es war der alte Skifahrer in ihm, der jahrelang falsch trainiert hatte. Beim Skifahren geht es um Ausdauer, und auch um Kraft in den Beinen, aber nie darum, einen 170 Kilogramm schweren Bob in Rekordzeit über eine Eisfläche zu wuchten, um danach hinein zu springen und davon zu brausen. "Ich habe immer Krafttraining gekannt, spezielles Sprinten aber gar nicht", sagt Lochner. So gab er sich mit den gleichen Anschubzeiten zufrieden, bis er sich dachte: "Da sind noch ein paar Prozent mehr drin." Dann wechselte er den Sprinttrainer, und unter dem Münchner Leichtathletik-Coach und Bob-Nachwuchstrainer Patrick Saile lernte er auch wieder aufzustehen - aus der tiefen Hocke, mit einer 180-Kilo-Hantel auf dem Rücken.

Lochners Anschubzeiten verbesserten sich Stück für Stück, und jede Hundertstelsekunde, die er nun am Start gewinnt, macht seinen Schlitten im Hangabtrieb schneller, ist eine Grundlage für eine möglichst kurze Fahrt. Zugleich hat er etwas Druck abgeladen: "Ich weiß, ich bin vorne mit dabei, und kann mir schon mal einen Fehler beim Lenken erlauben." Es ist eine der großen Herausforderungen für alle Bob-Piloten. Sie sind nicht wegen ihrer Schnellkraft, sondern wegen ihrer Kunst als Lenker ausgesucht worden, und müssen lange daran arbeiten, das Niveau ihrer Crew zu erreichen.

Im März trainieren die Bobfahrer nun noch einmal in Lake Placid/USA, um sich für die nächsten Aufgaben, die Weltmeisterschaft dort im kommenden Jahr zu rüsten und auch schon für Olympia 2022. Im Sommer geht es bereits darum, den richtigen Schlitten für die Spiele auszusuchen, einen vom deutschen Sportgeräte-Institut FES oder von einem privaten Bob-Bauer. Noch hat Johannes Lochner also nicht alle seine Aufgaben erledigt. Und doch ist er in diesem Winter weit gekommen, er hat seine inneren Blockaden gelöst und auch seine Anschubprobleme hinter sich gelassen. Denn das Bremsen, das mag er nicht.

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SZ vom 05.03.2020
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