Wintersport:"Frauen-Biathlon? Wird sich nicht durchsetzen"

Wintersport: Deutsches Frauen-Team 1991: Mit Uschi Disl (stehend, 3.v.l.) und Petra Schaaf (später Behle, knieend vor Disl) sowie Antje Misersky (vorne rechts).

Deutsches Frauen-Team 1991: Mit Uschi Disl (stehend, 3.v.l.) und Petra Schaaf (später Behle, knieend vor Disl) sowie Antje Misersky (vorne rechts).

(Foto: imago sportfotodienst)
  • Historischer Rückblick zum Start der Biathlon-WM an diesem Donnerstag: Wie fing es mit dem Sport bei den Frauen an?
  • "Frauen sollen unser Leben schmücken, aber nicht mit einem Gewehr durch den Wald rennen", sagte anfangs Alexander Tichonow, der bis 2014 im Weltverband Vize-Präsident war.
  • Hier geht's zum Liveticker der WM 2017 in Holzfilzen

Von Saskia Aleythe

Immerhin: Das Fernsehen ist dabei, 1986 im Schwarzwald. Eine Holländerin brettert die Abfahrt hinunter, sie hat Skier an den Füßen, ein Gewehr auf dem Rücken. Dann ein Sturz, ein Salto, direkt hinein in eine Kuhle. Die Botschaft dieser Bilder:Tja, Frauen und Biathlon - das kann schmerzhaft ausgehen.

Renate Schinze erinnert sich an den Spott in der damaligen TV-Berichterstattung, die mehr Warnung zu sein schien als ein offenes Kennenlernen mit den neuen Sportlerinnen. Schinze, erste Trainerin der deutschen Frauen, lacht heute darüber. Im Grunde wusste sie schon damals: Frauen und Biathlon, das kann auch sehr erfolgreich ausgehen.

Wenn an diesem Donnerstag die Biathlon-WM in Hochfilzen startet, sind keine spöttischen Bilder zu erwarten. Viel mehr Bilder triumphierende Athletinnen. Home-Storys mit Protein-Müsli, Klettertouren und Kraftraum-Szenen, Vorberichte, Nachberichte und zwischendurch etliche Stunden kommentierte Liveprogramm. Kein anderer Wintersport hat in Deutschland so hohe Einschaltquoten wie Biathlon, das liegt aktuell vor allem an den deutschen Frauen: Was Magdalena Neuner als Rekord-Biathletin an Aufmerksamkeit aufgetürmt hat, scheint Laura Dahlmeier mit ihrer sportlichen Dominanz momentan aufzufangen. "Natürlich bin ich stolz darauf, dass ich Teil dieser Entwicklung bin", sagt Renate Schinze, "aber ich bin am Anfang auch auf viel Widerstand gestoßen." Was man sich damals in ihrem Umfeld so zuraunte, hatte eher das Motto: "Das ist eine verrückte Idee, das wird sich bestimmt nicht durchsetzen." Nun, es kam dann doch ein bisschen anders.

Wie gewollt oder ungewollt das Frauen-Biathlon zu dieser Zeit war, ist eine Sache der Perspektive. Da gab es die Sätze der Macho-Athleten; Alexander Tichonow war damals einer der prägenden Sportler, er gab noch 1979 Folgendes zum Besten: "Unser Sport ist Männersache. Frauen sollen unser Leben schmücken, aber nicht mit einem Gewehr durch den Wald rennen." Später wurde der gebürtige Sowjet Vize-Präsident des Weltverbandes IBU, er war im Amt bis 2014. In Deutschland machte der Begriff "Flintenweiber" die Runde, Skeptiker sahen die Idee einer Frauensparte kritisch, unter ihnen viele Langlauftrainer, die nicht wollten, dass ihnen die Talente entwischen.

Ein Grüppchen von Enthusiasten ließ sich nicht abhalten

Doch das Grüppchen von Enthusiasten, die einfach mal loslegen wollten, ließ sich Mitte der Achtziger nicht mehr aufhalten. Biathlon-Referent Peter Bayer vom Deutschen Skiverband forcierte die Sache, in Bayern formierte sich eine Truppe um die junge Uschi Disl und in Willingen gab es die Bewegung um Schinze. "Wir waren Exoten. Wir sind in eine Männer-Domäne eingedrungen", sagt Petra Behle heute, die damals unter Schinze trainierte. Behle war eine der Ersten und Erfolgreichsten, die den Sport in Deutschland betrieben haben. Als sie damit begann, kannte sie ihn noch gar nicht.

Zeitplan der Biathlon-WM

Donnerstag, 9. Februar 2017

14.45 Uhr: Mixedstaffel (2x6 und 2x7,5 km)

Freitag, 10. Februar 2017

14.45 Uhr: Sprint der Frauen (7,5 km)

Samstag, 11. Februar 2017

14.45 Uhr: Sprint der Männer (10 km)

Sonntag, 12. Februar 2017

10.30 Uhr: Verfolgung der Frauen (10 km)

14.45 Uhr: Verfolgung der Männer (12,5 km)

Mittwoch, 15. Februar 2017

14:30 Uhr: Einzel der Frauen (15 km)

Donnerstag, 16. Februar 2017

14:30 Uhr: Einzel der Männer (20 km)

Freitag, 17. Februar 2017

14:45 Uhr: Staffel der Frauen (4x6 km)

Samstag, 18. Februar 2017

14:45 Uhr: Staffel der Männer (4x7,5 km)

Sonntag, 19. Februar 2017

11:30 Uhr: Massenstart der Frauen (12,5 km) 14:45 Uhr: Massenstart der Männer (15 km)

Fernsehen: Live in ARD und ZDF (im Wechsel) und Eurosport

1986 besuchte sie unter ihrem Mädchennamen Petra Schaaf als 17-jährige Langläuferin das Ski-Internat in Willingen, als ihre Lehrerin Schinze ein paar Schülerinnen fürs Biathlon gewinnen wollte. "Das war einfach spannend", erinnert sich Behle, "ich war jung genug, um das einfach auszuprobieren. An richtige Wettkämpfe habe ich damals noch gar nicht gedacht. Ich dachte, ich mache das parallel zum Langlauf." Im Sechser-Grüppchen fuhren sie nach Ruhpolding, zum Biathlon-Lehrgang des Deutschen Ski-Verbandes, bei dem sich auch die Truppe um Uschi Disl versammelte sowie ein paar Einzelkämpferinnen. "Wir haben geguckt, was die Männer machen und versucht, es nachzumachen", sagt Behle, was fast klingt wie die erste Begegnung von Jamaikanern mit Bob-Schlitten. Auch für Schinze war der erste Kontakt mit der Waffe etwas Neues: "Wir wussten beim ersten Training überhaupt nicht, wie man die Munition in das Magazin einlegt. Wir waren ja nicht bei der Bundeswehr."

"Wir haben schon gedacht: Na wer weiß, ob daraus etwas wird."

Das Militär ist der Ursprung des Sports: Biathlon ist aus dem Patrouillenlauf entstanden und da Frauen bei der Bundeswehr bis zum 21. Jahrhundert keine Rolle spielten, hatten sie auch wenig Überschneidungspunkte mit dem Biathlon. Berührungsangst mit der Waffe gab es beim Lehrgang in Ruhpolding aber keine. Rupert Plechaty war damals dabei, er trainierte schon viele Jahre die Männer im Schießen und brachte es dann auch Behle und Co. bei. "Da gab es keinen Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann an der Waffe stand", erinnert sich der heute 76-Jährige, "oftmals waren die Mädels sogar konzentrierter."

Doch auch Plechaty war zunächst skeptisch, was das Frauen-Biathlon angeht. "Das war ja keine gestandene Sache, wir haben schon gedacht: Na wer weiß, ob daraus etwas wird." Geprägt war die Haltung von Eindrücken aus Skandinavien: Da hetzten Frauen schon früher über die Loipen, das waren aber meist ältere Mütter mit ihren Kindern an der Strecke. "Das sah natürlich nicht nach Profisport aus", sagt Plechaty. Die deutschen Nachwuchs-Sportlerinnen hingegen stellten sich schnell ziemlich gut an: "Das war dann schon recht ansehnlich und hat auch gut harmoniert."

Zwei Jahre nach der ersten Begegnung mit der Waffe wurde Petra Behle Weltmeisterin: 1988 in Charmonix gewann sie überraschend den Sprint. "Da habe ich gemerkt: So verkehrt ist das mit dem Frauen-Biathlon vielleicht gar nicht." Damals fanden die Wettbewerbe noch mit den männlichen Junioren statt, erst 1989 gab es eine gemeinsame WM der besten Männer und besten Frauen. "Das war eine Anerkennung und eine Aufwertung für uns", sagt Trainerin Schinze. 1992 war Frauen-Biathlon dann bereits olympisch, für den damaligen Weltklasse-Athleten Fritz Fischer war Skepsis bei den Spielen in Albertville kein Thema: "Die Frauen waren gleich so erfolgreich, dass wir sie absolut respektiert haben." Antje Misersky wurde prompt Olympiasiegerin im Einzel und holte Silber im Sprint, die Staffel wurde Zweite. Als Dopingverweigerin hatte die DDR Misersky zuvor vom Sport ausgeschlossen, ohnehin glaubte man dort erst spät an eine Chance des Frauen-Biathlons.

Kakao vom US-Trainer

Als Petra Behle das Internat mit einem Abitur von 1,7 verließ, war sie schon zweifache Weltmeisterin - und hatte Schulden. Es gab zwar Unterstützung von der Deutschen Sporthilfe und dem Hessischen Sozialministerium, aber die Männer hatten finanziell weniger Sorgen.

Als Sportsoldaten konnten sie Beruf und Berufung miteinander verbinden, die Frauen mussten bei ihren ersten Weltcups und WMs stets günstige Zimmer erspähen. Für die Waffe war eine Eigenbeteiligung nötig, bei den Männern stellte sie die Bundeswehr. "Geld hatten wir nicht viel, aber dafür Idealismus", sagt Schinze. Beim Wachsen nahm sie deshalb auch mal eine billige Autopolitur. Sie profitierte davon, dass ihr Mann Oswald Schinze im Hessischen Landesverband Biathlon-Trainer war und Einfluss sowie ein Händchen für Sponsoren, Ausrüstung und Co. hatte.

Renate Schinze selbst muss zu dieser Zeit als Ober-Exotin gelten: International trainierten ausschließlich Männer im Biathlon, ob nun das eigene Geschlecht oder die Frauen-Teams. "Die erste WM in Frankreich, da war ein riesiger Saal voller Männer und ich habe mich gefragt: Wie sollst du das denn überstehen?" Schinze hat sich erst mal getarnt: "Ich habe mir einen großen Hut aufgesetzt und so getan, als wenn ich alles wüsste." Bald war das Versteckspiel überflüssig, die Hilfe untereinander groß. "Der Trainer aus den USA hatte immer Kakao für mich", die Italiener halfen beim Wachs aus oder mit einem Masseur. Ach ja, die Italiener. Ein eigenes Frauen-Team hatten sie damals noch nicht.

Waren das nun gute oder schlechte Zeiten für die deutschen Biathlon-Frauen? "Für mich ist es ein Privileg, das ich dabei war", sagt Behle heute, "ich habe meinen Sport gemacht und bin darin aufgegangen." Dass es gleich Titel und Medaillen für die Deutschen gab, hat die Bedenken von außen schneller schwinden lassen. "Ich habe mich nicht als Vorkämpferin für die Erfindung des Frauen-Biathlons gefühlt", sagt Schinze, "für mich war das einfach eine tolle Sportart." Vielleicht war die Mischung aus Mut und Gelassenheit genau die richtige.

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