Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Die eiskalte 13

In der Bahn von Whistler, wo bei den Olympischen Winterspielen ein Georgier in den Tod gerast ist, stürzen erneut reihenweise Bobfahrer. Dennoch wird dort am Wochenende der Weltcup ausgetragen.

Volker Kreisl

Natürlich stellt sich jetzt die Frage, warum ausgerechnet an diesem Ort schon wieder ein Weltcup stattfindet. Warum die Bobfahrer es nicht machen wie die Rodler und nach den Olympischen Spielen in Kanada das berüchtigte Whistler Sliding Center erstmal meiden.

Auf dieser Bahn war bei den Spielen ein Rodler umgekommen, zahlreiche Bob-Fahrer verletzten sich bei Stürzen, manche wurden aus ihren Gefährten auf die Bahn geschleudert. Der Rodel-Weltverband veranstaltet in diesem Winter keinen Weltcup in Whistler.

Die Rodler haben aber auch keinen kanadischen Präsidenten wie bis vor kurzem die Bobfahrer. Unter dem Kanadier Robert Storey wurde Whistler noch als erster Bob- und Skeleton-Weltcup ins Winterprogramm aufgenommen. Storey ist zwar abgewählt, nun muss sein Nachfolger, der Italiener Ivo Ferriani, erklären, warum man in Whistler startet: "Es war zu spät, das zu ändern", sagt er, und: "Wir müssen das Beste daraus machen." Denn die ersten Novemberfahrten in Whistler begannen, wie die letzten Februarfahrten aufhörten. Mit unberechenbaren Verhältnissen, halsbrecherischem Tempo, zahlreichen Stürzen und entsetzten Sportlern.

Vor zwei Wochen war der Königsseer Bahnchef Markus Aschauer nach Whistler aufgebrochen, um den Eisausbau zu optimieren. Wie bei Olympia dreht sich alles um die Kurvenkombination 12 und 13, in der die Bobfahrer, sollten sie sich bei Tempo 140 um ein paar Millimeter verlenken, durch die Fliehkräfte nach oben geschaukelt werden und umkippen. Aschauer stellte zunächst erleichtert fest, dass die Bahnbetreiber im Sommer ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Das Fundament von 12 und 13 wurde neu angelegt, zudem hatte man die Eisschichten in den vergangenen Tagen so verändert, dass die Bobs weniger ausscheren können. Dann wurde es kalt.

Die Temperatur sank am Dienstagabend, beim Zweierbob-Training der Männer und Frauen, auf 15 Grad minus. Die Eisoberfläche, erzählt der neue Bob-Bundestrainer Christoph Langen, sei so hart und glatt, dass die Kufen nicht mehr greifen: "Die rutschen wie auf einem Spiegel." Zugleich beginnen die Bobs zu rasen, der Schnellste erreichte 152,45 Stundenkilometer. Viele Athleten, von denen einige mit neuem Material und mit neuen Kollegen fahren, kamen damit nicht zurecht.

Betroffen sind Anfänger wie Topfahrer. Karl Angerer, der erfahrenste Deutsche, stürzte ebenso wie der kanadische Mitfavorit Lyndon Rush. Cathleen Martini kippte ihren Bob ebenso um wie Helen Upperton. Die Kanadierin zählt ebenfalls zu den Sieganwärterinnen am Freitag. "Die Geschwindigkeit macht die Bahn extrem gefährlich", sagt Angerer. Zwölf von 27 Bobs wurden im dritten Trainingslauf aus Sicherheitsgründen gar nicht mehr an den Start geschoben, zwei weitere stürzten noch.

Vermutlich hätte der Weltcup den Ruf dieser modernen und ambitionierten Kunsteisbahn korrigieren sollen, der Sport, der technisch anspruchsvoll ist und ziemlich spannend sein kann, hätte wieder im Vordergrund stehen sollen. Whistler hätte auch eine Antwort auf die Frage bringen sollen, welche Anschieber das beste Sommertraining hinter sich haben, und vor allem, welche Verbände die passenden Nachfolger für jene Spitzenfahrer präsentieren, die nach Olympia zurückgetreten sind. Mit ordentlichen Startzeiten und sicheren Fahrten hat das deutsche Talent Maximilian Arndt angedeutet, dass es vielleicht die Serie des viermaligen Olympiasiegers André Lange fortsetzt.

Aber Arndts Einsatz ist in Whistler bislang zweitrangig, das Thema Sicherheit hat den Eisbahnsport wieder erfasst, was nicht schlecht sein muss. Die meisten Fahrer lehnen hohes Tempo als Herausforderung mittlerweile ab, allen Akteuren ist bewusst, dass Waghalsigkeit fürs Bobfahren keine Werbung mehr darstellt. Und den Organisatoren in Whistler helfen wohl nur noch grundlegende Eingriffe in die Beschaffenheit und das Profil ihrer Strecke. "Wenn man diese Bahn retten will, muss man sie umbauen", sagt Angerer.

Zunächst einmal hat der Weltverband FIBT durchaus flexibel reagiert. Man hofft, dass die Temperaturen allmählich wieder steigen, bis dahin soll eine Programmänderung das Risiko minimieren. Im ersten Rennen am Donnerstagabend starten nicht wie geplant die Frauen, sondern die Männer im Zweierbob, die insgesamt erfahrener sind. Die Frauen nehmen dafür den Männerplatz am Freitag ein. Und die Entscheidung im Viererbob fällt erst am Samstag ab 16 Uhr, bis dahin soll der Spiegeleffekt auf dem Eis vorbei sein.

Christoph Langen sagt aber: "Wenn es am Wochenende immer noch so kalt ist, startet kein deutscher Viererbob." Die schweren Vierer sind besonders gefährdet bei diesen Verhältnissen, anders als die Zweier, die sich im Zweifel auf glitschiges Terrain noch besser einstellen können.

Die deutsche Zweier-Anschieberin Romy Logsch muss die Frage, ob sie einen Start riskieren soll oder nicht, allerdings gar nicht beantworten. Denn Logsch ist nicht dabei. Sie kuriert noch die Verletzung nach ihrem letzten Bob-Einsatz aus - eine hartnäckige Prellung im Sprunggelenk. Zugezogen im Februar, beim Sturz im Olympiafinale von Whistler.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2010/jüsc
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