Wintersport:"Cool Runnings" aus Südkorea

Bobsleigh World Championships in Igls

Souverän auf schrägem Eis: Won Yunjong und Seo Yeong Woo in Königssee, wo sie sich am Wochenende den Weltcup-Gesamtsieg sicherten. Auf dem vorderen Teil des Bobs klebt ein Foto ihres verstorbenen Trainers Malcolm Gomer Lloyd.

(Foto: Jan Hetfleisch/dpa)
  • Der Bob-Sport war in ihrem Land unbekannt, sie mussten sich Schlitten aus Jamaika leihen und 15 Schüsseln Reis am Tag essen.
  • Jetzt haben zwei Südkoreaner den Gesamtweltcup gewonnen.

Von Volker Kreisl

Won Yunjong und Seo Yeong Woo waren perplex. Sie standen da und konnten es nicht fassen, als wäre hier, beim Bob-Weltcupfinale in Königssee, gerade ein Wunder geschehen. "Wir können es nicht glauben", das war im Prinzip alles, was Won Yunjong und Seo Yeong Woo danach sagten. Die beiden standen auf dem Siegerpodium und blickten um sich wie Neugeborene. Sie waren tatsächlich überrascht.

Won Yunjong und Seo Yeong Woo hatten vor den letzten Rennen der Saison 63 Punkte Vorsprung in der Gesamtwertung. Ihre Führung im Zweierbob war derart komfortabel, dass sie schon auf Platz zehn abfallen und ihre Verfolger gleichzeitig gewinnen hätten müssen, was schon nach dem ersten Lauf ausgeschlossen war. Aber Won/Seo sind eben nicht irgendwelche Weltcup-Gesamtsieger, sie sind Koreaner. Sie stammen aus einer anderen Kultur als die alte Bob-Welt. Sie schauen immer noch mit großen Augen auf diese Szene, und weil sie so plötzlich auftauchten und kaum etwas sagen, schaut die Szene mit großen Augen zurück.

Bob als Sportgerät in Südkorea unbekannt

Das Staunen der Koreaner hat aber auch konkrete Gründe. Man gewöhnt es sich wohl ganz von selbst an, wenn man wie Won vor fünf Jahren noch ein 84 Kilogramm leichter Sportlehrer-Student war und wie Seo ein 100-Meter-Läufer. Wenn dann trotz erheblicher Schwierigkeiten und tragischer Rückschläge die Reise auf Kufen immer weitergeht. Und wenn man jetzt plötzlich zu den Gold-Kandidaten für die Olympischen Spiele 2018 zählt, in Pyeongchang, im eigenen Land.

Im Bob.

Dieses Sportgerät war bis vor Kurzem noch unbekannt in Südkorea. Dann begann sich die Region im Nordosten des Landes für die Winterspiele zu bewerben, und 1999 schloss man sich dem Weltverband IBSF an. Ein koreanischer Bob fuhr dennoch nicht, denn das Land ist zwar verrückt nach Short Track und Eiskunstlauf und hat auch ein "Miracle on Ice", die Olympiasiegerin Kim Yu-Na, aber weniger Sinn für schräges Eis. Als Pyeongchang dann im dritten Anlauf den Zuschlag bekam, musste alles ganz schnell gehen, aber erst mal nur mit dem Nötigsten, sprich: Bobfahrer, Trainer und eine Sommer-Trainingsbahn fürs Anschieben. Und darauf entstand dann das "Miracle on Asphalt".

So einfallsreich nannten die Zeitungen die Entwicklung der Trainingsgruppe um Won und Trainer Lee Yong, nachdem sich diese mit einem eher klapprigen Anfängerschlitten für die Spiele in Sotschi 2014 qualifiziert hatte. Die Trainingsgruppe fand das aber weniger witzig. Eine Sportlerin war beim Anschubtraining gestürzt und hatte sich das Schlüsselbein gebrochen. "Auf Eis wäre das nicht passiert" schimpfte Lee. Überhaupt kämpfte er gegen die Bürokratie. Der Agentur Reuters sagte er: "Alle sind stolz auf das 'Wunder auf Asphalt', aber man lässt uns nicht als Militärsport-Team zu, und zwar deshalb, weil wir keine vernünftige Strecke haben!"

Jamaika lieh den Koreanern ihren Bob aus

Sie waren damals relativ mittellos, aber sie hatten ihren Stolz. Als ihnen im Weltcup in Salt Lake City ein Bob kaputt gegangen war, konnten sie ihn nicht reparieren, es fehlte ja ein Mechaniker. Sie bekamen dann einen Leihschlitten, und zwar vom Team Jamaika, und das fanden die Koreaner einerseits großartig, andererseits auch "etwas peinlich", wie Trainer Kim Jung-Su sagte. Man müsse sich das mal vorstellen: "Die Jamaikaner kommen aus einem Schwellenland ohne Schnee, und wir sind aus dem reichen Staat mit Winter."

Vermutlich waren es gerade die Rückschläge, die den Willen weiter entfachten. Mittlerweile hatten die Koreaner einen neuen Trainer; der Briten Malcolm Gomer Lloyd vermittelte ihnen den entscheidenden Fortschritt. Vor zwei Monaten starb Lloyd dann überraschend an Krebs. Das Team war bestürzt, blieb aber diszipliniert. Gesprochen wurde über den Verlust nach außen nicht, beim Weltcup in Lake Placid trugen Won und die anderen dafür einen Schriftzug auf dem Helm: "Thank you Gomer." In Königssee hatten sie zudem ein Bild Gomers auf ihren Bob geklebt. Im Übrigen fuhr Won weiter wie bisher: mal mit kleineren Fehlern, mal überragend.

"Es gibt noch viel zu verbessern"

Das Bobfahren lässt sich vergleichsweise einfach erlernen, auf die Frage, warum es noch keinen südkoreanischen Superrodler gibt, sagen die Rodler: "Weil Bobfahren, anders als Rodeln, wie Autofahren ist." Doch auch sie geben zu, dass ein Aufstieg an den Bob-Lenkseilen zum Gesamtweltcupsieger innerhalb von drei Jahren eine grandiose Leistung darstellt. Won Yunjong und Seo Yeong Woo hatten ja nicht nur wenig Zeit, sondern auch keine Grundlagen. Anders als ihre Gegner aus den Alpen erhielten sie nicht schon als Jugendliche ein Gefühl fürs Rodeln. Nebenbei brauchten sie schnell ein Wettkampfgewicht, im Bob ist das ein Hangabtriebs-Gewicht. Gerüchten zufolge aß Won täglich 15 Schüsseln Reis, bis er 100 Kilo auf die Waage brachte.

Mittlerweile haben die Koreaner Sponsoren, sie werden von den Gegnern gefürchtet und zu Hause anerkannt. Won erklärte nach seinem Sieg am Königssee, dass der Weg noch lange nicht zu Ende sei: "Es gibt noch viel zu verbessern und viel Erfahrung zu sammeln." Und somit viel zu staunen.

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