Wintersport: Biathlon:Das neue Ruhpolding

Seltsam perfekt: Für Millionen Euro wurde die Biathlon-Arena in Ruhpolding auf WM-Tauglichkeit getrimmt. Die Athleten sind von der modernen Anlage begeistert - doch sie warnen vor der schweren Strecke.

Carsten Eberts, Ruhpolding

Wolfgang Pichler hatte plötzlich ein Platzproblem. "Was ist denn das für eine Fehlplanung hier", brummte Schwedens deutscher Biathlon-Trainer vor der schmalen Treppe, die hinunter in den Gang zum Schießstand führt. 15 Stufen, 1,20 Meter breit - zwei Männer von der Statur eines kräftigen Pichlers bekommen Probleme, wenn sie mitten auf der Treppe einander begegnen. Pichler wartete also, ließ den Gegenverkehr durch, setzte dann seinen Weg Richtung Schießstand fort. Dann lachte er, kurz und laut.

Germany's Greis competes during the men's 20 km individual biathlon World Cup event in Ruhpolding

Zur Premiere auf Platz sechs: Michael Greis in der Ruhpoldinger "Wand".

(Foto: REUTERS)

Pichler hatte den vielleicht einzigen Makel der neuen Chiemgau-Arena zielsicher erkannt, denn es gibt kaum etwas, das in Ruhpolding dieser Tage nicht seltsam perfekt anmutet. Für die WM 2012 wurde das Stadion für 16 Millionen Euro umgebaut, alles ist neu, vor allem größer: Auf der Tribüne haben statt 7000 nun 14.500 Menschen Platz, der Schießstand wurde direkt davor gerückt. Auch die Strecke wurde modernisiert: Die angenehme Abfahrt zum Schießstand gibt es nicht mehr. Der alte Berg ist nun weg.

Die Strecke ist anspruchsvoller geworden, von den Sportlern hört man zuallererst jedoch lobende Worte: Der Kurs sei harmonischer, die Radien besser aufeinander abgestimmt. "Das ist eines der besten Stadien, vor allem weil die Strecke breit und weitläufig ist", lobt der Norweger Emil Hegle Svendsen, Sieger des 20-Kilometer-Auftakts zum Beginn der Ruhpoldiger Festtage. Als Tagessieger fällt ihm das Lob natürlich leicht: "Ich glaube, man hat hier Großartiges geschaffen. Ganz klar, da freue ich mich jetzt schon auf die WM."

Schwierigste Stelle auf der modernisierten Strecke ist die langgezogene Abfahrt nach der Wende, direkt nach der berüchtigten "Wand", dem Ruhpoldinger Wahrzeichen. Die Abfahrt fordert höchstes fahrerisches Können, im Training gab es reihenweise Stürze. Was im Einzelstart noch zu meistern ist, könnte bei anderen Wettbewerben Probleme bereiten. "Im Massenstart kann das schon heikel werden", sagt Toni Lang. Auch Michael Greis glaubt: "Wenn es dort einen schmeißen sollte, zieht es die anderen mit runter." Die kritischsten Worte findet Arnd Peiffer: "Ich bin kein Freund davon. Das ist wenig durchdacht."

Aus einem Sieg der deutschen Männer zur Premiere wurde am Mittwoch nichts. Nicht mal aus einem Podestplatz. Greis kam als Sechster ins Ziel, Peiffer vergeigte das letzte Stehenschießen und landete auf Rang 20. Svendsen gewann vor dem Franzosen Martin Fourcade und dem Österreicher Dominik Landertinger.

Große Enttäuschung darüber kam bei den Zuschauern nicht auf. Sie feierten wie gewöhnlich, dick eingepackt mit Fähnchen links, Glühwein rechts, Hirschgeweih auf dem Kopf. Und sie wunderten sich über ihr neues Ruhpolding. Alles ist größer, perfekter - man könnte behaupten, Ruhpolding hätte etwas vom schnodderigen Charme früherer Tage verloren. Der Ort ist vom deutschen Biathlon-Boom der neunziger Jahre überrollt worden, hinkte in Sachen Technik und Infrastruktur längst gewaltig hinterher.

"An die Grenze gegangen"

Nun hat Ruhpolding die modernste Arena der Welt, noch vor Oberhof, dem anderen deutschen Biathlon-Ereignis. Wo früher VIP-Zelte aufgebaut wurden, steht eine Leichtbauhalle mit Panoramafenstern, das Medienzentrum ist neu errichtet, die Zuschauer kommen deutlich schneller von A nach B als zuvor. Hier ist die WM 2012 bereits greifbar.

Biathlon-Weltcup Ruhpolding

Alles neu: die Chiemgau-Arena in Ruhpolding.

(Foto: dpa)

Doch auch ein Gefühl des Abschieds bleibt. Einer, der die alten Tage noch erlebt hat, ist Frank Luck, zweifacher Olympiasieger und elffacher Weltmeister. "Bei meinem ersten Start 1986 konnten die Zuschauer locker bis zum Schießstand kommen und sich während des Rennens mit den Trainern unterhalten", erzählt Luck beim Mittagessen. Statt Schweinebraten mit Kräuterkruste und Rotweinsoße gab es damals Leberkäs, von da an wurde alles größer und größer.

"Vielleicht entwickelt sich jetzt ein neuer, anderer Charme", sagt Luck, mit mehr Zuschauern direkt an der Strecke, einem der schwersten Kurse überhaupt. Zugleich hofft er, dass seine Sportart weiterhin diesen Zuspruch erfährt: "Wenn man dieses gigantische Stadion ansieht, kann man nur hoffen, dass der Biathlon-Boom noch lange anhält."

Die deutschen Frauen sind vor ihrer Premiere (Start um 14:15 Uhr) indes mit dem neuen Kurs beschäftigt. Sie haben in gewisser Weise die Aufgabe, die Ruhpolding-Premiere aus deutscher Sicht zu retten, mit einem Platz auf dem Podest. Gute Chancen dazu haben sie, etwa die Gesamtsechste Andrea Henkel, weil sie eine ausgenommen gute Schützin ist. Oder Magdalena Neuner, der als starker Läuferin das Streckenprofil eher entgegenkommt.

Doch selbst Neuner hat Respekt vor dem neuen Kurs: "Die sind an die Grenze gegangen", sagt sie, "das wird in jedem Fall ein schwieriges Rennen." Nicht nur die langgezogene Kurve nach der Wende bereitet der Olympiasiegerin Sorgen, auch ganz profane Dinge wie das Wetter. Schon am Mittwoch war es mild, am Donnerstag soll es heftig regnen. "Es gibt angenehmere Bedingungen", sagt Neuner, "vielleicht sollte ich Gummistiefel mitnehmen."

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