Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Auf der Suche nach Sinnhaftigkeit

Der Allgäuer Snowboarder Elias Elhardt, 32, zählt zu den besten Freeridern der Welt und sieht doch eine große Widersprüchlichkeit in seinem Sport. Das verarbeitet er auch in Filmen.

Von Thomas Becker

Wenn alles normal gelaufen wäre, und klar, schon auch ziemlich gut, dann würde sich Elias Elhardt nächste Woche auf den Weg in die Schweiz machen. Nach Verbier, zum großen Finale der Freeride World Tour, der Wettbewerbsserie der Wintersportfreigeister. Elhardt ist Deutschlands bester Snowboard-Freerider. Aber was läuft gerade schon normal? Auch der Freeride-Wintersport hat die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zu spüren bekommen: Der letzte Tourstopp wurde abgesagt. Reisen sollte man wegen des Coronavirus ja ohnehin nicht mehr, da passt es ganz gut, dass sich die Hauptsaison zum Ende neigt, denn Elhardt zählt mit seinem Beruf zur "Risikogruppe Nummer eins", wie er es ausdrückt: viel unterwegs, viele Kontakte.

Dass das diesjährige Saisonfinale ausfällt, stand für Elhardt aber schon vor der offiziellen Bekanntgabe fest - er hatte sich nicht qualifiziert für den Showdown am Bec de Rosses, einem furchteinflößenden Stück Natur: Felsen und Klippen von oben bis unten, nur selten unterbrochen von ein paar Schneefeldern. So steil, dass man vom Gipfel aus nur das Ziel sieht: 55 bis 60 Grad Neigung. Die Fahrer nennen das ellbogensteil. Steht man im Hang, kann man sich mit dem Ellbogen anlehnen. Heil unten anzukommen, ist eine Erlösung - und ein Ritterschlag. Nur die Allerbesten bauen unterwegs Kunstsprünge ein. Und die anderen vier diesjährigen Stationen sind nicht sehr viel weniger herausfordernd.

In dieser Liga spielt Elhardt - als einziger deutsche Starter. Elhardt stammt aus Oberstaufen, ist gerade 32 Jahre alt geworden und wirkt wie das Gegenstück zum wilden Adrenalinjunkie: ruhig, aufmerksam, zugewandt. Als junger Kerl trug er Dreadlocks und war er ein großes Versprechen. Mit 16 Jahren nahm er an den ersten Slopestyle-Contests teil, mit 17 wurde er Juniorenweltmeister. "Das ging relativ schnell", sagt Elhardt bescheiden. "Air & Style bin ich gefahren, X Games auch - ich spul' jetzt mal schneller voran." Andere würden lang von diesem Top-Events des Extremsports schwärmen. Er sagt nur: "Ich bin in meiner Snowboardkarriere durch so viele Stationen gegangen - toll, dass es so viel Raum gibt, verschiedene Wege einzuschlagen."

In Verbier und im österreichischen Fieberbrunn wurde er 2018 Zweiter, in diesem Jahr lief es nicht so gut: Mit Platz acht und neun beim Wettkampf Anfang März Fieberbrunn verpasste der Allgäuer den nötigen sechsten Platz in der Gesamtwertung und damit das Ticket für Verbier. Aus sportlicher Sicht sei es denkbar schlecht gelaufen in Fieberbrunn, sagt er, und da klingt schon an, was diesen ungewöhnlichen Sportler ausmacht. Ihn interessieren weit mehr Dinge, als auf einem Brett durch den Schnee zu fahren. "Das Schönste an der Freeride World Tour waren die Begegnungen", erzählt Elhardt am Telefon. Der strenge Wettbewerbsgeist wie beispielsweise bei den Alpinen herrscht bei den Freeridern eher nicht. Die Konkurrenten sind häufig auch Freunde.

Elhardt ist unprätentiös, nicht mal eine eigene Website hat er. Dabei sind viele in seinem Gewerbe wahre Vermarktungsprofis, die dank zahlloser Sponsoren normalerweise um die Welt jetten, immer auf der Suche nach frischem Schnee. Ein Lebensentwurf, mit dem sich Elhardt nach zehn Jahren irgendwann "ein bissl schwer getan" hat: "Das war alles wenig sinnhaft. Okay, Profisport. Aber immer als Werbeträger um die Welt fliegen und die besten Bedingungen absahnen?", sagt er. "Bei all den Filmen in Japan, Alaska und sonstwo vermittele ich den Eindruck, dass man als Snowboarder ja mindestens ein Mal dort gewesen sein muss - was mir total leid getan hat. Am liebsten fahre ich daheim, aber damals habe ich etwas anderes vorgegeben."

Aus Elhardts Gedanken und Zweifeln am Grundkonzept seiner Sportart ist sein erster eigener Film entstanden: "Contraddiction", ein nachdenklich hinterfragender Halbstünder über die Widersprüchlichkeit seines Sports, über das Älter- und Erwachsenwerden in einem Sport, der sich der ewigen Jugend verschrieben hat. "Snowboarden ist das, was ich am meisten liebe", sagt Elhardt. "Das Verrückte ist, dass es mich trotzdem innerlich leer lässt, wenn es das Einzige ist. Ich merke, dass ich immer einen Zusatz brauche, um dem Ganzen mehr abgewinnen zu können."

Elhardt sucht ökologische oder soziale Projekte, um sich daran zu beteiligen - oder will sie initiieren

Neben dem Snowboarden studiert er Psychologie in Innsbruck. Die Suche nach Sinnhaftigkeit zeigt sich auch in seinem zweiten Filmprojekt, "Narcis", über ein Bergdorf im Kosovo. Elhardt wollte eine Geschichte erzählen, wie der Wintersport Leute zusammen bringen kann. "Ich wollte jemanden finden, der im Zusammenbruch und Wiederaufbau alles durchlebt hat", sagt er. "Das Snowboarden konnte sehr engmaschig eingebunden werden. Das Schwierige ist ja, eine Geschichte über den Sport hinaus erzählen, ohne sie an den Haaren herbeizuziehen."

In der anschließenden Drehpause kam das Angebot einer Saison-Wildcard bei der Freeride World Tour. Wieder eine andere Herausforderung - und ein Rückfall in alte Vielfliegerzeiten, die er ja eigentlich zurücklassen wollte. Die Freeride World Tour im Snowboard und Skifahren macht Station in Japan, Andorra, Kanada, Österreich und der Schweiz. Und diejenigen, die nicht eine Wildcard bekommen oder eh schon im Starterfeld positioniert sind, versuchen, über die Qualifikationstour einen Platz zu ergattern. Eine Junior Tour für den Nachwuchs gibt es auch.

Nachhaltigkeit und Profi-Freeriden gehen nun mal nicht wirklich zusammen, es ist ein Widerspruch. "Den muss ich mal aushalten und trotzdem meinen Werten gerecht werden. Das wird sich nicht gänzlich auflösen lassen", sagt Elhardt. "Deshalb suche ich nach anderen Plattformen, ökologischen oder sozialen Projekten, an denen man sich beteiligen oder sie sogar selber initiieren kann." Aus dem Sport heraus die Gesellschaft verändern, das ist auch sein Ziel. Ob als Snowboarder - oder als Geschichtenerzähler.

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Quelle:
SZ vom 20.03.2020
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